La Cenerentola

von Gioacchino Rossini (1792-1868)
Deutsche Oper Berlin

Aschenputtel oder der Triumph der Tugend
Dramma giocoso in zwei Akten; Libretto. Jacopo Ferretti

 

Und das Gute siegt zuletzt

Die Geschichte vom Aschenputtel, das als Dienstmagd ein schimpfliches Schattendasein im elterlichen Haus führt und am Ende den begehrten Prinzen heiratet, gehört zu den beliebtesten Topoi der Märchenliteratur. Rossini stützte sich vor allem auf die Version von Charles Perrault, dessen Cendrillon ou La petite pantoufle de verre von 1697 stammt. Kompositorisch konnte er aus dem Vollen schöpfen: Der Reichtum an opernwirksamen Motiven und Situationen, der Kontrast zwischen der schönen Unschuld und ihren garstigen Schwestern, auch die Moral der Geschichte, nämlich die Gewissheit vom Sieg des Guten, boten ihm beste Gelegenheiten für ebenso komische wie anrührende Szenen.

 Dem wäre eigentlich nichts hinzufügen, stünde es um die künstlerische Akzeptanz der Deutschen Oper nicht so problematisch. Das heißt: für ihr Publikum, das stets und jede Inszenierung – je nach Einsatz seiner Lieblingssängerinnen und Sänger, mit frenetischem Beifall bedankt, gibt es überwiegend keinen Zweifel an der Präsenz dieses Hauses, das sich allerdings in den Jahrzehnten seines Bestehens mehr in architektonischer Zweckmäßigkeit als in festlichem Glanz und eher in Solidität als in Spitzenleistungen einem treuen Freundeskreis und interessierten Touristen präsentiert hat.

So sind eigentlich auch die meisten Inszenierungen an diesem Hause zu betrachten: überwiegend von zweckdienlicher Sachlichkeit und vom Geldmangel geprägt. Die oft staubig wirkenden Kulissen, die sich, alterprobt und bewährt, leicht austauschen, färben, hin- und herfahren und bewegen lassen – sind bis auf einige aparte Attrappen wie Rolltreppen o.a. ohne großen Reiz. So  bleiben die Stellwände , Säulen, Treppen vorherrschend, mal gülden, mal dunkel, selten so schäbig allerdings wie hier im Hause von Aschenputtel, ihren grässlich nörgelnden Stiefschwestern und einem ebenso bösartigen Stiefvater, der hier an die Stelle der Stiefmutter tritt. Kein reisender Zaubervater also mehr, sondern eine ziemlich düstere Wirklichkeit. Dass das gutherzige Aschenputtel, zwar arm und verschmutzt, ein so edles Gemüt hat, stammt zwar nicht aus dem Märchenschatz der Gebrüder Grimm, ist aber der Ambition von Librettisten und Komponisten zu verdanken, die vielleicht ihre Fürsten an ihre vornehmste Pflicht erinnern oder jenen huldigen wollten, die diesem Ideal bereits auf der Spur waren…  Aber eigentlich war es wohl doch eher eine Utopie, die sich bereits in dem philosophischen Gedankengut bei Emanuel Kant ankündigte: demnach sich moralisches Verhalten in einem vernunftsbestimmten Handeln des Menschen ausdrücken sollte. Und somit ist es nur selbstverständlich, dass diese Märchenversion auf jegliche Zauberei verzichtet, stattdessen aber mit herrlich bourlesken, dem Leben abgeguckten Charakteren (Vater und Stieftöchter) sowie einem klassischen Rollentausch (Prinz und Diener) daherkommt. Die Schicksalsfäden werden von klugen und warmherzigen Menschen gezogen, die ein stets würdevolles Verhalten und – in der tonalen Umsetzung – bedeutungsvolle Arien auszeichnen. So geben des Prinzen kluger Lehrer Alidoro (Wojtek Gierlach) und der Prinz selbst, Mario Zeffiri als bejubelter Don Ramiro, ein Beispiel dafür, dass nicht Geld und gesellschaftlicher Stand die Würde eines Menschen bestimmen, sondern allein sein christliches, tolerantes, altruistisches Verhalten.

Dass Haus des Don Magnifico (mit dem Schelmennamen des Größten!) also ist eine Bruchbude, die Vorhänge sind verschlissen, die Schränke brüchig, die Fenster klapprig, doch das Selbstbewusstsein und dümmliche Arroganz des kleinen Adels blieben bislang ungebrochen. Und weil man sich im Hause keine Dienstmagd mehr leisten kann, wird die hilfsbereite Stiefschwester kurzerhand degradiert und dementsprechend schikaniert. Soweit, so märchengetreu; doch verbirgt sich die einzige Zauberei in der Liebe und in Rossinis Genialität, mit der er seinen Tonfolgen Flügel verleiht, den ungezählten Trillern betörenden Zauber, den Tremoli virtuose Atemlosigkeit, den Kaskaden der Koloraturen sprühende Kraft und den perlenden Pizzicati Charme und Witz. Und somit scheint es, als ob die Schäbigkeit der Attrappe schon ebenso als Hohn aufbereitet ist. Dass auch im Palast des hohen Prinzentenors lediglich am Ende die Gewänder gülden leuchten, die Kulisse aber im schlichten braungrau und die Wände absolut schmucklos und kalkig-kühl in den Hintergrund treten, hat somit wohl seinen guten Grund: denn angesichts so großer Güte, Liebe und himmelsstürmender Großherzigkeit, mit denen Ruxandra Donose als Principessa und Mario Zeffiri als ihr Prinzgemahl am Ende der üblen Familie Verzeihung gewähren, erstrahlt eben allein die Überwindung jeglicher egoistischen Rache und Vergeltungsgefühle. 

Obwohl soviel Seelengüte, Schmelz und Schmerz noch voll dem Barock anzulasten ist, verströmen sich die herrlich schnellläufigen, beinahe dahinfliegenden musikalischen Virulenzen mit unglaublicher Leichtigkeit – eine nicht sich zu vollem Glanz entfaltete Orchesterdarbietung unter dem Dirigenten Guillermo Garcia Calvo, führt die Sänger mit zeitweilig rasenden Tempi durch das wuselige Geschehen. Doch hebt sich letztlich dank einer der Ernsthaftigkeit wie der Komik der Gesamtkomposition gerecht werdenden Regie des Schotten Sir Peter Hall die erdenschwere Unbeweglichkeit einer in ihrer Denk-Armut erstarrten Gesellschaft auf eine andere, zukünftige Ebene. A.C.

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