Extinction, B
“Figures in Extinction” in 3 Choreographien getanzt: “The List”, …”but then you come to the humans”, “Requiem”
Eine Trilogie über den Klimawandel, die von der Choreographin Crystal Pite und dem Regisseur der Theatergruppe Complicitè, Simon McBurney, über mehrere Jahre mit dem Nederlands Dans Theater (NDT) erarbeitet wurde.
Zu Gast an der Deutschen Oper Berlin im Juli 2025
Aussterben, Vernichtung, aber auch Rebellion
Wie ein Derwisch wirbelt der Tänzer als Allroundunterhalter nach US-TV-Manier über die leere, halb erhellte Bühne, im dunkelbau beleuchteten Anzug, der schier aus den Nähten platzt angesichts der ungestümen Verrenkungen, die der Akrobat der Apokalypse hier vollführt, und einem Publikum höhnisch die Absurdität allen Klimakampagnen wortgetreu ins Ohr tanzt, übertragen im Lautsprecher und auf dem Leuchtband oberhalb der Bühne. Doch das atemberaubende Tempo der Tänzer, das durch diesen wahnsinnigen Abend mal rast, mal gleitet, kann kaum mit der Fassungs- und Wahrnehmungsfähig der Zuschauer konform gehen. Zu sehr türmen sich Bilder und Varationen von längst verstorbenen und ausgerotteten fossilen Lebewesen auf, getanzt von einzelnen Tänzern, wie der ergreifend ausgebrannte Frosch oder die konformen Phantasiegebilde, die innerhalb der Gruppe den mit lateinischen Namen angepriesenen Tierarten einen Körper zu geben versuchen. Für den langarmigen beharrten Insektentyp, zweibeinig und freundlich-gruselig ist das noch erkennbar, bei anderen Lebewesen beschreiben Arme wie Beine und Körper alle Möglichkeiten der Performance: komplexe Arten entstehen und vergehen und geben den Phantasiegebilden Form und Lebendigkeit.
Dann bestürmt uns eine Tafel mit blitzschneller Aufzählung aller uns noch bekannten Lebenwesen, die im Aussterben sind, und man kann sie und es kaum fassen. Die Evolution schreitet im Sauseschritt voran, und wir können sie nicht aufhalten- allen anstrengenden und kostspieligen Maßnahmen zum Trotz! Die frage der Künstler lautet dazu: Können wirr angsichts des allseitigen Untergangs sinnvoll kreativ sein. Können wir jemals hoffen, allem, was wir verlieren, einen Namen zu geben” Das wird das Thema des ganzen Abends sein. Wie lange wird man sich an uns und unsere scheinbar so wichtigen und wertvollen Lebensformen und Erfindungen noch erinnern? Wann wird alles wieder zu Sand und Erde und Wasser geworden sein?
Das wäre alles sehr niederschmetternd, wenn nicht die Tanzcompagnie uns visuell damit beglücken würde, was wir jetzt und im Augenblick in aller Welt an Kunst und Kreativität erleben können! Licht- und Klangeffekte von Owen Belton und Benjamin Grant verströmen sich in Alltagsgeräuschen, Straßen und Stromleitungen brummen und untermalen die wechselnden lhellen und dunklen Schlieren der sturmzerrissenen Wolkenschlieren und der Kostüme der Tanzcompagnie mit faszinierenden Effekten.
Eine Stimme aus dem Off beschreibt uns, welche möglichen gewesenen Formen uns da vor Augen tanzen, schweben, flattern, schnappen, herumwquirlen, sich verbinden, lösen, vor allem um ihre Existenz ringen. Eine kindliche Stimme fragt und man spürt ein ängstliches Zittern, wo sie denn alle geblieben seien, diese Tiere, ob und wann sie zurückkommen,ob überhaupt?.Später, im zwieten teil wird dasselbe Kind sich wundern, warum die starren Büromenschen auf ihren Stühlen sich nicht bewegen, wir fragen, ob sie gesteuert, gelenkt,überhaupt noch selbständig denken und agieren können?.
Eine lange Beschreibung über die Entwicklung der Fähigkeiten unserer beiien Hirnhälften kann man kaum folgen, aber eines wird klar: die Eigenschaften haben sich verändert, verlagert im Laufe der Entwicklung des Menschen als ein Teil der Evolution haben sich Körper und Gehirn ausgeformt. Wohin hat sich die Gewalt verlagert, die seit Bestehen der Menschheit da war, ist sie stärker geworden, hat sich eine positive Entwicklung nicht gegen den zerstörerischen Eroberungsimpuls durchsetzen können. Was war stärker, wurde stärker im Laufe der rasanten Entwcklung von Technik und sozialer Disziplinierung. Wie die Tänzer sich plötzlich lösen, lockern, im Dauertakt verrenken und versinnbildlichen wie stark sie einem Druck ausgesetzt ist, der usnere ganze ivilisation erfasst hat und vorantreibt. Wie wildgeworden, enthemmt, dann wieder abrupt zum Stillstand kommen Menschen, Zeit: Wissenschaft und Vernunft. Wissen die Körper bereits, was der Verstand noch nicht begriffen hat: Maßvoller Fortschritt und Verantwortung in vernünftige Beziehung zu setzen.
Lichteffekte wie schwebende Verheißungen aus der Atmosphäre schweben langsam über den Tanzenden, die in Gruppen dieseGedanken in Bewegungen verwandeln und versuchen, Menschsein und menschliche Versprechen in Bewegungesabläufen sichtbar zu machen. Der Mensch menschelt , der Apfel äpfelt – lautet die schlichte Einsicht in die Verbundenheit aller natürlichen Lebewesen.
Die eindringliche Auseinandersetzung mit dem Bedürfnis nach Verbindung in einer trennenden Welt ist das Motto der choreografischen Gestaltungselemente in diesem Teil. Kampf und wiederum Gemeinschaft, die aufeinander angewiesen und einander zugetan sind lösen sich zwischen barocken Tönen und brutalem Technokreischen ab, Verzeihung und Liebe in berührenden Paartänzen sind so elegisch, wie für alle Ewigkeit festgehalten. Aber auch die Geschlossenheit der Gruppe, die mal exzentrisch, dann wieder disizpliniert im Stakkato des performierten Einklangs dahergleiten soll vielleicht beweisen, das Zusammenhalt immer notwendig ist, um ein Ziel zu erreichen. Vielleicht ist das die Antwort auf alle schwiergen Fragen: Gemeinsinn, Liebe, Rückbeziehung auf die Natur und die Unruhe des Verstandes zeitweilig hinter sich zu lassen, sobald er die Zukunft über die Gegenwart stellt.
Im dritten Teil stirbt man aseptisch. Der Tod als unausweichlicher Gefährte des Lebens. Im Krankenhuas, am Krankenbett fliehen und stürmen die Angehörigen der Sterbenden auch die Räume, versachlichen Ärzte und Pfleger das Ableben der Menschen in geordneten Bahnen, erklärt der Pathologe, was nach dem Tode mit dem Körper geschieht. Das Schöne in dieser bedrückenden Realität ist Mozarts Requiem in einer wunderbaren Einspielung der Berliner Philharmoniker, leider nur kurz.
Dann knallt und kracht es fürchterlich, hat eine Bombe eingeschlagen oder was schleudert die Körper, die eben noch durcheinander stoben, niedergestreckt. Wieder aufgerichtet, weiterleben, wieder zu Boden geschleudert, wieder-belebt? Musik zwischen Mozart und Elektronik. Das unaufhörliche Leben und Sterben im Schnelldurchgang, mit präziser Dramatik und überbordender Symbolik. Dann ist die Bühne plötzlich leer, und eine Frau steht dort mit einem greinenden Baby auf dem Arm.
Frohe Botschaft; Das Leben geht weiter. A.C.
Stürmischer Beifall für Tänzerinnen und Tänzer der Spitzenklasse.