Megapolis

von Constanza Macras/Dorky Park
Schaubühne am Lehniner Platz

Regie und Choreographie: Constanza Macras

 

Geschlagene und Erniedrigte

Nehmen wir die vorgegebenen Interpretationen einmal beiseite und lassen uns nur von den Bildern und der Musik leiten: was sie in uns bewirken, hervorrufen, welche Assoziationen die wirbelnden Künstler auf der mit Pack- und Haushaltsresten dekorierten Bühne in uns anrühren. Natürlich, da deuten die fragmentarischen Requisiten eines Slums vor den auf Videowänden projizierten Zeichen der Urbanität den krassen Gegensatz von Lebensqualitäten an: Hochhäuser, blicklos trotz ihrer unzähligen Fensteraugen, stumm, funktionierend. Unter ihnen auf den schmalen Straßen flitzen Autos wie Ameisen, im Abendlicht immer schneller und schneller, sich verdichtend, bis sie nur noch blitzende Streifen sind. Anonymität, Hektik, Geschäftigkeit, Rastlosigkeit. Symbol und Aussage. Davor in den Megastädten der armen Länder breiten sich die schmutzig-braunen Slumhütten wie eine unendliche Pestbeule der Gesellschaft aus.

Doch die Lebensgier, dieser Anspruch, selbst in diesen elenden Quartieren eine eigene, funktionierende Gesellschaft aufzubauen, wird von Macras allein in Gewalt und Depression ausgemalt, schraffiert ohne Konturen, Die von packenden Beatrhythmen begleiteten und geführten Versuche der Überlebens- und Liebeskämpfe der Junkies, der Prostituierten, der Zuhälter, der Gesetzesbrecher, der Umherirrenden und Suchenden nach einem Platz in dieser Underground-Gemeinschaft endet im gegenseitigen zerstörerischen Chaos, in dem sich niemand mehr zugeordnet und zugehörig empfindet.
Constanza Macras, die ihre bisherigen Inszenierungen mit ähnlicher Intensität betrieb, fordert völlige Hingabe und Verausgabung von den jungen, quicklebendigen, biegsamen Tänzerinnen und Tänzern, die gleichzeitig singen und spielen müssen. Da die Inszenierung von Anfang an auf Hochtouren läuft, besteht nicht nur Gefahr der Verausgabung ihrer Tänzer, sondern auch die, die Aufmerksamkeit des Publikum zu verlieren. Wenngleich das Geschehen, die Wirbel, die Akrobatik, die enormen Überraschungsmomente auf der langgestreckten Bühne faszinieren und sich in sprunghaften Wechseln im ganzen Raum collagenartig verteilen. Eine wilde Show des Ausdrucks, der die Pas de Deux und Pas de Trois der guten alten Sehgewohnheiten längst abgelöst hat, und an ihre Stelle exzentrischen Kampfsport setzt. Denn hier, so sagt die Choreographie, gibt es statt Liebe nur noch Gewalt, statt Hoffnung nur noch Verzweiflung, statt zaghafter Annäherung nur noch Enttäuschung. Die Selbstzerstörung wird von Anfang an von den Tänzern in zuckenden, sich schlagenden, verqueren Verrenkungen der Gliedmaßen, Stürzen, denen kurz Momente der Erschöpfung folgen, stark herausgehoben. Selbst der prügelnde Macho-Polizist des Viertels wird von dieser Ausweglosigkeit eingefangen und reiht sich schließlich selbst in die Gruppe der Verlierer ein.

Zu Beginn zitiert Constanza Macras, von Liebreiz geradezu überstrahlt, Abhandlungen zur Architektur von Rem Kohlhaas über die Lebensfeindlichkeit der Megastädte und fügt noch soziologisch -philosophische Gedanken des slowenischen Kultur- und Gesellschaftskritikers Slavoy Zizek hinzu. Die theoretische dramaturgische Basis sozusagen, auf der sie diese Performance aufbaut, die doch mehr ist als lediglich gefühlte “Körpersprache” wie etwa in der Compagnie von Sasha Waltz. Kulisse und Musik bilden den Rahmen in dieser Westsiede-Story des Wahnsinns, die in ihrer Brutalität schließlich in den Trümmern der Ausweglosigkeit endet.  Aber aller Brutalität zum Trotz gibt es zuweilen im Keim anklingende Zärtlichkeit, und die dank der phantasievollen musikalischen Begleitung assoziierte Sentimentalität macht diese Aufführung somit insgesamt erlebenswert.  A.C.

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