Der feurige Engel, HB

Oper in fünf Akten
Musik und Text von Sergej Prokofjew 1891-1953
nach Waleri Brjussows (1873-1924) Roman Der feurige Engel
(Sigmund Freud 1856-1939)

Theater am Goetheplatz, Bremen; Premiere 26.10.2025
Musikalische Leitung: Stefan Klingele; Regie: Barbara Horáková,Dramaturgie: Pia Syrbe, Bühne: Ines Nadler, Kostüme: Eva-Maria van Acker, Video: Sergio Verde, Licht: Christian Kemmetmüller; Statisterie und Chor des Theater Bremen; es spielten die Bremer Philharmoniker

mit: Ruprecht: Elias Gyungseok Han, Renata: Nadine Lehner, Wahrsagerin/Abtissin: Nathalie Mittelbach, Schenkwirtin Ulrike Meyer, Mefisto/Jakob Glock: Fabian Düberg, Agrippa von Nettesheim/Arzt: Ian Spinetti, Faust: Wolfgang von Borries, Inquisitor: Jasin Rammal-Rykala, Knecht/Schenkwirt: Christoph Heinrich, Mathias Wissmann: Paul J.Ham, zwei junge Nonnen: Adrezza Reis, Maria Martin Gonzalez

Ein Paradebeispiel für Sigmund Freud: Seine psychoanalytische wissenschaftliche Erkenntis der Hysterie bei vielen Frauen seiner Zeit hätte sich bei dieser zutiefst seelisch verwundeten jungen Frau Renate bestätigt. Alle Symptome, alle Anzeichen, alles widernatürliche und widerspruchsvolle Verhalten, mit der sie sich und ihren liebevollen Freund Rudolpho quält, ist dem wahren Leben entnommen. Zwar kannte der Komponist die Lebensrealität des berühmten Romanautors zu der Zeit als er sich das erstemal mit dieser Novelle beschäftigte, noch nicht, aber gleichwohl lag die Faszination dieses unheimlichen Geschichte doch in ihrer möglichen Realität. Und Brjussov hat tatsächlich sein Dreiecksverhältnis zu der hysterischen, wahnhaften und unsteten Muse, Übrsetzerin, Dichterin Nina Petrowskaja, die ihrem Leben selbst ein Ende setzte, in seinem Roman verarbeitet. Regisseurin Barbara Horáková und Orchesterchef Stefan Klingele haben mit dem sich sängerisch wie spielerisch in die unheimliche Atmsosphäre des Geschehens einfügenden Ensemble ein atemberaubendes Horrorwerk der Seelenpein mit unheimlichen Stimmungen und dramatischem Höhepunkt kreiert. Für die unglaubliche Nadine Lehner als wahnsinnige Renate und ihren wunderbaren ritterlichen Ruprecht mit Elias Gyungseok Han gab es für ihre herausragende abendfüllende Darstellung begeisterten Applaus.

Schrecken ohne Ende

Schon der Auftakt trägt uns sofort in Renatas Vergangenheit; denn wie im Verfolgungswahn rennt sie über die Drehbühne vor dem Hintergrund eines kleinen offenen Hotels mit rot beleuchteten Fenstern und lässt sich schließlich vor einem kleinen Mädchen im Vordergrund nieder, das ähnlich gekleidet wie sie, vor einem Häufchen von bunten Spielklötzen hockt. Dann verschwindet dieses Bild sehr rasch, und ein Mann betritt dieses unheimlich wirkende, düstere  Haus, offensichtlich ein neuer Gast. Als er sein Zimmer im Untergeschoß bezieht – im oberen Bereich ist ein großes Schlafzimmer mit stumm herumstehenden menschlichen Figuren bestückt  – durchsucht die dubiose Wirtin rasch seine Habseligkeiten, die ihr aber wohl nichts Wertvolles bieten. Nachdem der Mann sich zur Ruhe begeben und gerade in den Schlaf gesunken ist, schrecken ihn furchtbare Schreie und verständnislose Worte auf. Schlaftrunken sucht er nach der Ursache und begegnet einer somnambulen jungen Frau, die wirre Sätze in erschütternden spitzen Lauten ausstößt. Ihr schreckerfülltes Gestammel erzählt auf dem langgezogenen Gipfel der Tonleiter von einem blonden Engel namens Muriel, der sie in ihrer Kindheit begleitete, dann, als sie sich in der Pubertät in ihn verliebte, verließ, nicht ohne ihr Treue und Entsagung zu gebieten. Später erhielt sie Trost  in ihrer Sehnsucht nach dem „Engel“ durch einen Mann namens Heinrich, der sie einige Jahre begleitete, aber dann jäh verließ, und den sie nun verzweifelt sucht.

Das klingt für den verwunderten und erschütterten Ruprecht zwar alles merkwürdig, schrill und auch ein bisschen verdächtig nach Spintisiererei, aber er hat so großes Mitleid mit ihr, ja er fühlt sich zu ihr hingezogen, was er selbst nicht begreift, auch nicht, wieso diese Frau ihn bei seinem Namen nennt        (vielleicht erkennt er ja auch, dass ihr Kleid vom gleichen Muster und Stoff wie sein Hemd ist?) und ihn bittet, sie nicht allein zu lassen. Und dieser aus dem Nichts aufgetauchte Retter wird ihr während ihrer ganzen gemeinsamen Zeit immer mit verständnisvollen, warmherzigen Worten, wenn auch oft bis zur Erschöpfung verzweifelt und verunsichert, seine Liebe beteuern.

Nun beginnt eine Liaison, die zwischen Qual und Liebe schwankt, von Verzeihen und Bemühen erzählt, denn Renata wird ihrer Vergangenheit niemals entkommen, ihrem Leid stets aufs Neue bis zur Wahnhaftigkeit ausgesetzt sein, ihren neuen Freund bitterböse seelisch foltern, um dann wieder  – beinahe hingebungsbereit – einen Augenblick lang ihre Dämonen vergessend –um seine Zuneigung betteln. Doch noch bevor sich die Musik gänzlich auf ein samtenes Schwingen der Geigen eingelassen hat und mit lyrischen Tönen optimistisch eine Besserung erhoffen lässt, verlangt Renata auf fast brutale Weise, ihren Heinrich, den sie im Hotel gesehen hat, zu finden und zu töten. Inmitten einer seltsamen, logisch schwerlich einzuordnenden Bildfolge mit beinahe filmischer Suggestion befindet man sich jäh inmitten gynäkologischer Behandlungszimmer, Schwestern, Ärzten,  einer Wahrsagern und exzessiven epileptischen Anfällen, die Nadine Lehner mit erschütternder Intensität und in eisklirrenden, messerscharfen Ausbrüchen gleichsam sich windend und wehrend hervorstößt. Dissonanz ist noch untertrieben.

Das ist purer Psychohorror, denn wir sehen zuweilen in ihren Video-Kindheitserinnerungen auch, wie neben dem kleinen spielenden Mädchen ein dunkler schemenhafter gebeugter Mann an der Seite unheilvoll entlangschleicht, und ein Schauer der Ohnmacht überläuft uns des öfteren in dieser Inszenierung! Wir wissen heute längst mehr von Ursachen und Auswirkungen kindlicher Misshandlungen. Aber manchen Menschen kann und wird nicht immer Hilfe zuteilwerden, die längerfristig aufhebt oder heilt, was vielfach unheilbar zerstört ist. Wie auch hier wie bei der durch strenge religiöse Indoktrination hervorgerufenen Wahnvorstellungen sich innerhalb mystischer Gläubigkeit in Dämonen und Teufel wie auch Engel in Hirn und Seele manifestieren. Für Ruprecht keine Chance, Zugang zu Renatas gestörter innerer Welt zu finden und Heilung durch seine Liebe zu erreichen.

Und in Zwischenblenden erfährt Renata, ohne es zu begreifen, wie sie immer wieder auch Spielball  von träge in der Bar (oder Bordell) hockenden Männern wurde, die sich mit dieser Verwirrten in grober Mitleidlosigkeit vergnügen wollen.

Nach seiner eigenen Verletzung im Kampf gegen Heinrich, sieht Ruprechts ein, dass er nicht mehr weiter weiß, und Renata flüchtet sich trotz seines Widerstandes, in Hoffnung auf Heilung in ein Kloster, wo man ihr ebenso wenig helfen kann wie in der weltlichen Umgebung und sich ihrer entledigt, indem man sie dem Inquisitor übergibt zwecks Dämonenaustreibung mit Kreuz, Kerzen und abergläubischen Beschwörungen. Es folgen schreckliche Szenen, und man ist geneigt, der drastischen Inszenierung Einhalt zu gebieten, die von ihrer Hauptdarstellerin eine körperliche und wie stimmlicher Hingabe fordert, die m.E. grenzwertig ist, allerdings die Unbarmherzigkeit aller Exzesse dieser bestialischen Riten, die es ja noch immer gibt, mit schauspielerischem Kraft in den Abgrund verdonnert.

Was kann einen Komponisten dazu bewegen, solch ein Schauermärchen so realistisch in Noten umzusetzen – es muss der Furor sein, der ihn ergriff als er den Roman gelesen hatte, und er benötigte ja auch immerhin zehn Jahre, um dieses Feuerwerk musikalischer Umsetzung zu veröffentlichen. Und die erste Begeisterung war zunächst verhalten. Zu herausfordernd, zu bewegend und unerklärlich erschien es den Menschen damals, dieses Elend einer Seele und diese Art der heftigen modernen,  sprechenden Musik zu ertragen. Denn das Konzert der Stürme und Donner, des An- und Abschwellens tosender Gedanken und Ausbrüche in atonaler Schrille überschwemmt in dunklen Intervallen die seelischen Abgründe der Menschen, aber sie schwimmen auch leichten Gewässern und zarten Melodien in den wenigen ruhigen, beinahe schon gesunden Augenblicken, wenn Renata sich aus den dämonischen Klammern der Erinnerungszwänge zu lösen vermag. Das Schwanken zwischen Rationalität und Mystik als Spiel mit emotionalen Extremen und gefährlichen Ausschweifungen  in Musik umzusetzen, hat Prokofjew ebenso gereizt wie die Psychoanalytiker jener Zeit. Auch der Komponist benutzt eine Helfersperson in Gestalt des Arztes und Gelehrten Agrippa von Nettesheim, der allerdings ebenso wenig hilfreich ist wie der Auftritt von Faust oder der quälenden Wahrsagerin – die, so meint man, auch alle aus der Unterwelt ihrer verborgenen Gefühle entsprungen sind.

Stürmischer Beifall für eine ungewöhnliche Darbietung!

 

 

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