De Profundis, B

von Oscar Wilde mit Jens Harzer
Berliner Ensemble, Berlin, 2025

Regie: Oliver Reese, Dramaturgie Johannes Nölting, Bühne Hansjörg Hartung, Kostüme Elina Schnitzler, Musik Jörg Gollasch, Licht Steffen Heinke

Aus der Tiefe schrei ich zu Dir…De Profundis

Eine bittere, gnadenlose, selbstzerstörerische Aufrechnung eines verratenen Liebhabers und eines großen Geistes, der einzigartig in einer Zeit lebte, die er die Gesellschaft dermaßen ebenso amüsiert wie verletzend mit Witz und Verve brüskierte, dass sie ihn am Ende fallen ließ. Aber ein Genie ist wohl oft in seiner sozialen Klugheit so schwach wie in seinem Ego stark. So dass es Anfeindungen und Grenzpunkte seiner Überschreitung der Toleranz nicht rechtzeitig wahrnimmt und somit wie Oscar Wilde blinden Auges in sein Verderben läuft.

Diese Aufführung ist ein Psychodrama über den zu zwei Jahren Einzelhaft verurteilten Dichter, über    den verwöhnten und zuletzt zügellosen Lebemann, der einst alle Dichter seiner Generation an Scharfsinn und Bildung übertraf, doch in seiner Verblendung  nicht erkannte, welche Scham und Pein durch seine Liebe zu dem jungen Lord Alfred Douglas auf ihn zukommen würde. Alle rächten sich, die er in ihrer Arroganz und ihrer Begrenztheit bloßgestellt hatte, obwohl er nichts sehnsüchtiger wünschte als eben zu jener Klasse der Adelswelt zu gehören, die er so beredt bespöttelte. Vielleicht hing er auch deshalb so an dem Lord, der, 20 Jahre jünger als der Schriftsteller, ihn be- und ausnutzte und letztendlich verriet, ihn sozusagen opferte in dem erbitterten persönlichen Kampf gegen seinen Übervater, Lord Arthur, der Wilde dann öffentlich der Sodomie bezichtigte und einen zweimaligen Prozess gegen Oscar Wilde gewann..

Diese unausgewogene, leidenschaftliche und tödlich verletzte Liebe auch ist es, die der Schauspieler Jens Harzer, Iffland-Ringträger und neues Mitglied am Berliner Ensemble, in seiner ersten Rolle hier bis zur Selbstkasteiung überträgt. In einer beengenden Zelle unter gleißendem Licht über der pechschwarzen Bühne schwebend, in der er nicht einmal aufrecht stehen kann, sondern zusammenkrümmt hockt, in seinem Leid schwitzend und weinend und sogar blutend dahinvegetiert. Es ist eigentlich nicht auszuhalten. Ein bitteres reales Bildnis –  des wahren Dorian Gray – des Jammers und Elends. Und somit ist es diese Darstellung, die so sehr betroffen macht, weil sie in erster Linie die von Robert Ross gekürzte Lebensbeichte “Epistola: In Carcere et Vinculis” , die er 1905 posthum unter dem Titel “De Profundi” veröffentlichte, nachdem er sämtliche Angriffen auf Lord Douglas herausgefiltert hatte –   nun in einer dramaturgischen Bearbeitung von Oliver Reese wiederhergestellt den Kern der Inszenierung bilden. Und somit den Aufschrei einer vernichteten Existenz widerspiegelt. Es ist ein erschütterndes “document humain”, in dem Wilde zum einen das Verhalten des Freundes und die Natur in ihrer ungleichen Beziehung analysiert. Seine Anschuldigungen gegen den Geliebten wechseln in ihrer Heftigkeit mit unbarmherzigen Selbstvorwürfen und schamvollen Geständnissen seiner menschenunwürdigen Ausschweifungen.

In seinem “Brief an die Welt” verfasst Wilde einen theoretischen Teil in der Selbstbiografie, der eine persönliche Analyse und Meditation über die Erfahrung über Judentum und Christentum, speziell auch über die theologische Auslegung der Victorianer darstellt. Seinen sehr persönlichen Glaubensansatz sieht er in der Identität und Integrität des Künstlers als Schmerzensträger in einer Parallelwelt zu Jesus Christus, indem er das Leiden als “vornehmste Gemütsbewegung” dessen der Menschn fähig ist, auf die Waage des Lebens legt. Diesen Teil von “de profundis”  schreibt Wilde später, kurz vor dem Ende seiner Haft, bereits in sachlicher Selbstanalyse und dennoch literarisch tiefsinnig aufgearbeitet an seinen Freund und Verleger Ross. Einige Seiten über seine religiöse Erkenntnis und ihren  Einfluss auf sein Leben, seine Leidenschaften, seine Ausschweifungen verraten eine neue, wahrhaftige Demut. Oscar Wilde verzweifelte an der Liebe seines Lebens, doch nach der Entlassung aus der Haft, wohnte er in Südfrankreich weiterhin für ein Jahr mit diesem Mann zusammen. Schwerkrank und verarmt starb er zwei Jahre nach seiner Entlassung in Paris.

Was in diesen zu einem einstündigen Monolog verkürzten 80 Seiten rauschhafter Trauer- und Liebesbezeugungen verwundert, ist die Sanftmut, mit der Jens Harzer seinen Oscar Wilde zutiefst sich selbst demütigen lässt, indem er den Geliebten zwar heftig anklagt, den Verrat aber nicht wirklich begreifen kann, doch wohl auch gleichzeitig in allertiefster Verlassenheit Verzeihung gewährt mit unendlich großer und erschütternder Wortgewalt. Da ist ein wahrhaften Fundus aus dem Elend für die Nachwelt hinterblieben, was Wilde vielleicht gar nicht beabsichtigte, aber sein Nachlasswalter für wichtig und wert befand – denn ein ist Zeugnis eines literarischen Genies, das in aller Entmutigung und Degradierung seiner Person niemals Zweifel hegte an der Wahrhaftigkeit der Kunst. So wie er letztlich auch nicht an seinem Geliebten zu zweifeln vermochte, ihm zwar seine brennende Seele offenbarte, ihm sein Innerstes zu Füßen legte und sich virtuos theatralisch, wie man es natürlich auch von diesem großmächtigen Selbstdarsteller gewohnt war, in die große Leidensopferrolle hineinspielte. Und das Publikum reagiert ja auch erwartungsgemäß: erschüttert bis in die Haarwurzeln, und doch begeistert! A.C.

 

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