Dantons Tod

von Georg Büchner
Oldenburgisches Staatstheater, 2012

Inszenierung: K.D. Schmidt
Bühne: Maren Greinke
Kostüme: Alin Pilan
Licht: Herbert Janßen
Dramaturgie: Catharina Hartmann

Das Volk gleicht einem Minotaurus

 

Eine alle Bühnenwände und die Front beherrschende Registriermaschine lässt in rasendem Tempo ihre Zahlenkolonnen blinken, begleitet von einem metallischen Flirren – die Vernichtungsapparate aller Revolutionen sind gefräßige Ungeheuer. Beeindruckend ist auch die glatte Bühnenfläche, die sich hebt und senkt, mal in die Schräge, mal in die Horizontale wechselt, als Tribunal, Gefängnisdach oder als Revolutionsplatz dient, auf dem sich die rachedürstende Meute der Elenden mit den Wohlstands- Anhängern des Revolutionsführers Georges Danton mischt.

Dieser ist zunächst ein alter Mann (Hartmut Schories), dessen verzweifelte Müdigkeit bereits ahnen lässt, warum Danton und seine Männer so bald ein beinahe williges Opfer der Machtmaschinerie der Jakobiner werden; Büchners geistiger Freund und Dichter Karl Gutzkow bescheinigte ihm, er sei so ebenso genial und träge wie sein Danton. Das erklärt natürlich auch die Gleichheit der Vornamen. Nicht aber so richtig, warum Regisseur Schmidt den Protagonisten in dreifacher Besetzung auftreten lässt, die zur Erkennung mit der Rollenverteilung auch die rote Revolutionsjacke austauschen. Da ist die – in der Premiere von einem Stimmbandkatarrh zur Tonlosigkeit verurteilte, darstellerisch geschickt um Ausgleich bemühte Anna Steffens, die den jugendlichen, idealistisch verträumten Danton gibt. Später dann, als es zum schrecklichen Ende geht, übernimmt Henner Momann den sich endlich, aber zu spät auf seine Pflicht besinnenden Danton vor, wütend und rhetorisch unschlagbar aufbegehrend gegen die Auswüchse der Tyrannei des Wohlfahrtsausschusses, der mittlerweile unter die Guillotine schickt, wer sich seinen Zielen widersetzt. Denn  das Gericht ist manipuliert, das Urteil stets willkürlich.

Das Oldenburgische Staatstheater hat dies vielleicht gewaltigste, politisch brisanteste Drama des 22jährigen Georg Büchner ohne Experimente, textgetreu mit notwendigen Kürzungen, insgesamt wohl eindrucksvoll, aber nicht wirklich erschütternd in rasche Szenenfolgen umgesetzt, so dass es sich auf der historischen Ebene identisch zeigt, jegliche Aktualität allerdings – und die hat beinahe jedes Wort- vermeidet. Sind es doch die furchtbaren Begleiterscheinungen aller Freiheitskämpfe der Völker, die jederzeit partiell aufflackernden Bürgerkriege in unserer Welt, die uns noch immer zu erschütternder Hilflosigkeit verurteilen. 

 Das alles und noch mehr fühlt und analysiert der hochsensible Dichter, Medizinstudent und Doktor der Philosophie 1835 in brennenden Visionen. Dabei lebt er selbst wie auch seine revolutionär gesinnten intellektuellen Freunde in der ständigen Frucht vor der unerbittlichen Verfolgung des Staates. Er sucht Asyl in Straßburg und Zürich bei seiner Verlobten, ebenfalls zur Hilflosigkeit verbannt angesichts der Willkür der Mächtigen und der Verarmung seines eigenen Volkes. Er kämpft mit dem Florett seiner Worte gegen Elend und Unfreiheit und weiß zugleich aus der Geschichte wie unkontrollierbar Umstürze den Menschen zu Raubtieren werden lassen, und er formuliert auch dies deutlich und scharf: Das Volk ist wie ein Minotaurus – es braucht in regelmäßigen Abständen seine Opfer, die es verschlingen kann. Büchner verzweifelt in depressiven Phasen an der Einsicht, dass eine ideale Republik unmöglich ist; aber er kämpft, erkämpft sich mit der Feder Gehör und schreibt Dantons Tod, ein Drama, das dann natürlich auch zunächst sein Schicksal erleidet: es wird zwar veröffentlicht, aber stark entstellt und erst 1902in Berlin aufgeführt.

Büchner führt aber mit seinem Drama weit über die bloße Revolutionsgeschichte Frankreichs hinaus, nicht nur, indem er die 1848er Erhebung des Volkes, die zaghaften und wieder zunichte gemachten Anfänge einer deutschen Republik vorausschauend anmahnt, sondern indem er die niemals zu bezwingenden Pole menschlichen Verhaltens analysiert und in Charakteren deutlich macht, die selbst in dieser Widersprüchlichkeit gefangen sind; mal als Verräter, weil sie zwischen den sie blendenden Demagogen schwanken, mal, weil sie sich in zermürbenden inneren Kämpfen selbst aufreiben – und wie Danton, der als früher Held des Umsturzes den blutigen September verantworten muss, in lethargisches Wohlleben fallen. Der jugendliche Feuereifer ist der Einsicht der Tragik gewichen, der Wahrnehmung von ungezählten Opfern, der Vernichtung Schuldiger wie Unschuldiger, so wie denn ein Volksaufstand ohnehin Schuld und Nichtschuld nach Belieben verteilt, um seine Macht zu sichern. 
Wie Robespierre.

Bernhard Hackmann zeigt uns einen ruhigen, leisen, beinahe sympathischen Verstandesmenschen, bei genauem Hinhören aber einen mit diabolischer Dialektik argumentierenden Machtmenschen, der dem Gesuch Dantons, einen Gnadenausschuss zur Eindämmung der Willkür einzusetzen, sich um seiner eigenen Ziele willen schärfstens widersetzen muss; Es ist für ihn und seine Anhänger nur allzu logisch, dass Milde zu diesem Zeitpunkt nach der totalen Vernichtung der Linksextremen Opposition  – 24.3.1794 – das totale Chaos heraufbeschwören würde; denn das noch immer brotlose, nach Gleichheit und Freiheit hungernde Volk, müsse durch Härte zu Moral, durch Terror zur Tugend geführt werden. Es ist die eigene pietistische Moral, die Strenge einer sich selbst kasteienden     Persönlichkeit, die Züchtigung zur Ideologie erhebt.

Mit St. Just, Robespierre engstem Vertrauten, übernimmt Henner Momann den gegensätzlichen Part zu Danton und dessen lebensfreudigen Männern und nähert sich mit seiner Doppelrolle damit der Büchnerschen Philosophie: dass der Mensch die Polarität in sich selber trägt: von Vernunft und Leidenschaft, von Maß und Unmäßigkeit geleitet oder besessen, verführt und schlimmstenfalls beherrscht. Absolute Tugend und Poesie stehen hier nicht zur Disposition. “Die Geschichte wird zum Gemälde, auf dem sich ein jeder wieder erkennt. Danton und seine Gesellen sind ebenso wenig Tugendhelden wie in Wirklichkeit. Banditen bleiben Banditen.” Der Dichter, so Büchner weiter in einem Brief an seine Familie im Jahr 1835, sei kein Lehrer der Moral, “sondern er erfindet und schafft Gestalten, er macht vergangene Zeiten wieder aufleben und die Leute mögen daraus lernen…” A.C.

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *


vier + = 6