Der Barbier von Sevilla – OL

von Gioacchino Rossini
Oldenburgisches Staatstheater

Musikalische Leitung Jason Weaver, Inszenierung: Ronny Jakubuschk
Ausstattung: Matthias Koch, Chor: Thomas Bönisch, Dramaturgie: Lars Gebhardt

“Ein tolles Frutti di Mare”

Figaro als Wassermann und Almaviva als Poseidon

Man möchte sie einfach mitsingen – die Ruhmesmelodien der Opera Buffa,  Arien, Kantilenen, die sicher im 19.Jahrhundert auf den Straßen von Pesaro von den Gassenjungen gepfiffen, in den Küchen von Mägden sehnsuchtsvoll geschmettert, in den Salons der besseren Gesellschaft im Bemühen, es den verehrten Künstlern gleichzutun, temperamentvoll intoniert wurden… Gleich einem frischen Frühlingswind, der sich zärtlich umschmeichelnd in die Herzen schleicht, um sich atemraubend rasch zur stürmischen Leidenschaft zu steigern, die listenreich und übermütig alle Hindernisse beiseite fegt, so umfängt uns diese zauberhafte, meist aufgeführte Oper der Welt im barocken Ambiente des Oldenburgischen Staatstheaters. In einem märchenhaft blau-bunten Tiefwasserambiente der sparsam dekorierten Bühne entfaltet sich gefühl- und seelenvoll die virtuos in Noten gefasste, ebenso grazile wie komische Gesellschaftssatire mit dem Charme der Commedia d’elle Arte.

Dass diese Liebeskomödie, gespickt mit pointiertem Affront gegen Geldgier, List und menschliche Eitelkeit eigentlich der französischen Feder des Dichters Beaumarchais entsprang, um sich dann im Fluge über das europäische Kontinent zu verbreiten und endlich in der Adaption des Belcanto seinen großen Charme gewann, erstaunt noch immer und durch alle Zeiten hindurch. Und dass Orchester und Sängerensemble sich in dieses Unterfangen mit Herzenslust hineinbegeben, erfreut in unserer Zeit um so mehr als ja auch und zunehmend Opernregisseure experimentierfreudig immer drastischere  Variationen erproben.

Da ist das blendend aufgelegte Orchester unter der Leitung von Jason Weaver, das vital und pointiert die glanzvoll-komischen Effekte der köstlichen Gesangsnummern ausbreitet (und zuweilen natürlich an Donizettis “Liebestrank” ebenso wie an Mozarts Fortsetzungsoper “Die Hochzeit des Figaro” erinnert). Mit beinahe hinterlistiger Finesse steigert sich die Musik in der spannungsgeladenen Verleumdungsarie des Musiklehrers Basilio, der aus der ganzen Tiefe seiner Seele diejenigen anklagt, die ihre ungeliebten Mitmenschen zu verleumden verstehen. Wie in den bösartigen Zeichnungen des französischen Malers und Juristen Daumier flüstert es sich hier musikalisch gewitzt durch die Straßen, verbreitet sich mit Windeseile, gebiert einen Sturm der Instrumente und explodiert mit einem Paukenschlag von Donnergewalt. Oder, wenn das allgemeine Wirrwarr im herrlichen Nebeneinander der Stimmen kumuliert, gelingt das absolut perfekt musikalische Chaos. In absoluter Entfesselung harmonisch vereint sind: der samtene volle Alt der verliebten Rosina (Geneviève King), der harmonische Bass Basilios (Ben Leclair), der verführerische kräftige Tenor des Liebhabers Lindora alias Graf Almaviva (Michael Pegher), der energisch ausgreifende Bass des alten Lustgreises Bartolo (Peter Felix Bauer), der sein Mündel und dessen Geld keinem anderen gönnt; umrahmt wird die tolle Truppe von dem glänzend eingestimmten Herrenchor und umwirbelt natürlich vom stets präsenten Buffobariton Paul Brady als gewitzter Figaro (der ganz sicher auch einen prächtigen Vogelfänger geben würde!). Und dann, als sich endlich Lindoro als Graf offenbart und das ganze Hickhack und Versteckspiel ein Ende hat – das jähe, erstarrte Erstaunen: Pizzicato im Stakkato, Worte so schnell gesprochen und  gesungen wie der Wind, Erstarrung wie im Blitzeis. Und es steigert sich noch unbegreiflich immerfort in dem exakt geführten, Funken sprühenden Zusammenspiel.

Allerdings – so sehr die Musik bezaubert, das Unterwasser-Milieu will nicht so ganz überzeugen; soll es das Märchenhafte der Oper betonen, sollte es entrücken in die Kinderwelt eines Ottfried Preußler oder ist man mit den schillernden Bildern dem kleinen Fisch Nemo auf der Spur? Figaro als Wassermann, Almaviva als Poseidon nebst Dreizack-Zepter, und der böse Bartolo mit seinem Paletot aus sich windenden Krakenarmen scheint wohl gerade dem “Fluch der Karibik” entkommen zu sein?  Einige schiefe Sessel im Meeressand zeugen vielleicht von menschlicher Müllablagerung, symbolisieren aber auch die Schräglage, in die sich diese Märchenmenschen hineinspielen, bis der Graf endlich ein Machtwort über das bunte Häuflein seiner Untertanen spricht.  Alles in Allem, so urteilte eine Besucherin des Abends trocken: ein tolles “Frutti di Mare”. A.C

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