Der Eisvogel

von Uwe Tellkamp
Hans Otto Theater

Inszenierung: Stefan Otteni,  Bühne und Kostüme: Anne Neuser,  Musik: Christian Deichstetter

Der Vorhang zu und alles schweigt betroffen

Nach dem geglückten Versuch, Uwe Tellkamps “Turm” für die Potsdamer Bühne zu bearbeiten, hat sich jetzt Stefan Otteni an ein, man glaubt es kaum, früheres Werk von Tellkampf gewagt: Er inszeniert den “Eisvogel” in ähnlichem Stil und Ambiente. Die Darsteller wissen mittlerweile wie sie ihre Rollen aufzufassen haben, und es gibt kaum mehr einen Moment, der für eine Überraschung gut wäre. Es ist eine rundum gelungene, ansprechende und nachdenkliche Aufführung um persönliche Werte und politische Ideale, die aber keinen langen Nachhall hat.

Der Roman aus dem Jahr 2005 hat bereits die zusammengebrachte Gesellschaft von Ost und West verinnerlicht und rüttelt nun stark an den Festen einer Welt, die sich vornehmlich um sich selber und um kapitalistische Werte dreht, die der junge Wiggo nicht akzeptieren kann und will. Auf Alexander Finkenwirth, noch neu im Ensemble, fällt die Mammutaufgabe, einen langen, inhaltsreichen Text zu verinnerlichen und den intellektuellen Auf- und späteren Aussteiger glaubhaft zu machen. Sein Unwohlsein, das in schmerzvoller Enttäuschung  und auswegloser Verzweiflung gipfelt, seine Hinwendung zu falschen Polit-Propheten, seine Orientierungslosigkeit und endliche Verwahrlosung sind der Kern dieses Romans und werden von dem jungen Schauspieler vortrefflich ausgespielt.

Wiggo ist Philosophiestudent, hochbegabt und seinen Lehrern an Kritikfähigkeit und Logik leider über den Kopf gewachsen, was diese so gar nicht akzeptieren und verkraften wollen und können. Weder der autoritäre, chauvinistische Bankier-Vater Stefan Ritter, den Bernd Geiling bis ins Absurde hin zeichnet, noch der alte bartumwucherte Alt-68iger, dessen professorale Eitelkeit und persönliche Betroffenheit Peter Pagel in einer Doppeldarstellung glänzend veranschaulicht, können dem Suchenden Verständnis entgegenbringen, geschweige denn eine Alternative anbieten.

Erst der neue elegante Freund Mauritz und dessen schöne Schwester Manuela, die ihn in eine elitär-rechtsradikale Gesellschaft einführen, lässt ihn Hoffnung schöpfen – auf die Verwirklichung einer idealen Gesellschaftsordnung. Doch er hat weit gefehlt in seiner akademisch blinden Naivität. Denn sowohl Mauritz, dem Wolfgang Vogler die zwischen Depressivität und Cholerik schwankende Persönlichkeit des machtbesessenen Ideologen verleiht als auch Franziska Melzer als dessen ambitiös laszive, ihm völlig ergebene Schwester werden Wiggo weiter in den Abgrund führen.

Es ist ein Stück, das dem großen Ensemble Futter gibt – im wechselnden Rollenspiel können sie der Romanadaption kräftige Farben verleihen und ihre Weltanschauung mit kritischen Tönen untermalen. Die Frage am Ende, die sich nicht nur Wiggo stellt, aber wird weder im Roman noch im Schauspiel rezeptmäßig beantwortet: wie bleibt man seinen Grundüberzeugungen treu, ohne sich den Kopf oder die Seele zu verletzen? A.C.

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