Prometheus, gefesselt

von Aischylos
Deutsch von Kurt Steinmann
Schaubühne am Lehniner Platz

Regie: Jossi Wieler, , Bühne und Kostüme: Jens Kilian; , Musik: Wolfgang Siuda;
Dramaturgie: Bernd Stegemann; Licht: Erich Schneider

mit: Thomas Bading, Niels Bormann, Grit Baulussen, Ernst Stötzner, Luise Wolfram

 

Ein Gott – von den Göttern verdammt

Ernst Stötzner steht, an zwei langen glänzenden Ketten gefesselt, auf einem Steinsockel an der Apsis der grauen Betonwand, die im Halbrund die Zuschauer mit in die Enge einbindet. Mit hängendem Haupt, doch kraftvollem Körper – ein leidender Christus? Nein, eher ein Archetypus, der für die Menschen leidet, weil er dem neuen Gott, den er erst auf den Thron hob, zornig geistigen Widerstand bietet.
Als der hammerschwingende Hephaistos zu Prometheus durch den mit Wasser angefüllten Meeres-Bühnenboden heranplätschert, erhebt dieser sich wieder zu jenem stolzen Gott, der einst mit seinem Bruder Epimetheus die Lebewesen auf der Erde erschuf: Prometheus, mit der Fähigkeit bedacht, das Schicksal der Menschen und der Götter vorauszusehen, brachte den Menschen gegen den Willen von Zeus das Feuer, die Schrift und die Mathematik, um ihnen ihr Überleben zu sichern. Zeus aber, der in seinem Allmachtswahn das Menschengeschlecht vernichten wollte, war dermaßen erbost über Prometheus’ Handeln, dass er ihn darauf hin von Hephaistos, dem Herrn des Feuers, an den Felsen schlagen ließ. Und er wird ihm noch weitaus schlimmere Qualen zufügen. Denn Prometheus wird weiterhin toben und rasen und seine wütenden Anklagen gegen Zeus nicht mit Demut vertauschen, um die ihn der hilflose Freund Okeanos (Thomas Bading im nachtblauen Dinneranzug) und seine beiden Töchter (die bei Äischylos den Chor darstellen) unbeholfen und halbherzig anflehen. Und Zeus wird ihn darob unvorstellbare Qualen auferlegen.
Als gar die wahnsinnige Königstochter Io, die gleichfalls vom Götterzorn verfolgt wird (Niels Bormann in einem vergammelten weißes Spitzenkleid) dem Menschenfreund ihr Leid klagt, donnert Prometheus’ Zorn wie ein Gewitter durch die Halle. Von schmerzhaften Insektenstichen geplagt und durch die Lande gejagt, erfragt die von Zeus in eine Kuh verwandelte Io von Prometheus ihr Schicksal, das, mythologisch kompliziert, weit in die Zukunft bis nach Ägypten hineinreicht. Prometheus, dem Stötzner zeitweilig titanenhafte Wucht verleiht, wird sich auch den Ermahnungen des zappeligen Hermes (ebenfalls Niels Bormann) nicht beugen, der von der Decke herabgelassen wird und ihm die fürchterlichen Drohungen des Göttervaters bringt. Allen Grausamkeiten zum Trotz, die auf Prometheus warten (verschlungen vom gespaltenen Fels und die Leber stets neu zerrissen vom blutgierigen Adler), bleibt er ein Feind der neuen Weltordnung, schmäht Hermes und prophezeit Zeus den Untergang.

Die Inszenierung endet nach einer Stunde wie sie begonnen hat: mit Geplätscher und im Halbdunkel. Da Jossi Wieler seine Darsteller – siehe auch “Iphigenie” – weitestgehend statisch und textlastig agieren läßt, also den Hauptakzent auf die Vermittlung des Wortes als  aussagekräftiges theatralisches Mittel legt, konnte man natürlich keine inszenatorischen Aus- und Abschweifungen erwarten. Ein bisschen mehr schauspielerische Differenzierung aber hätte dem großen Epos schon größere Transparenz verliehen !
Denn ob allein die psychologisch-philosophischen Erkenntnisse des Äischylos (um 525 bis 456 vor Chr.) über Macht und Ohnmacht, Herrschaft und Widerstand in dieser Reduzierung auf das Sprechtheater ein zufrieden stellendes Angebot für die Zuschauer sind, mag bezweifelt werden. Zumal die Ambition dieser Inszenierung im Programmheft viel weiter reicht: Da wird behauptet, dass der Mensch, wie Prometheus, “für jede Erfindung, für jede Bereicherung, für jeden Fortschritt mit Leiden bezahlt wird, und dass jeder Fortschritt seine eigene Krise, jedwede Entwicklung nur eine Steigerung der Qualen bedeutet, die durch sie erzeugt werden”! Minimalistische Aufführungen wie diese oder wie “Die Perser” am Deutschen Theater aber können weder ihrem theatralischen noch ihrem intellektuellen Anspruch gerecht werden, weil sie auf jede analytische Darstellung verzichten und die Interpretation ihres Anliegens (dem des Regisseurs) allein dem Zuschauer – und dem Programmheft – überlassen. Ohne Frage sind sie allerdings äußerst hörspielgerecht.

Das Maxim-Gorki-Theater sollte nicht unbedingt als Vorbild dienen, aber man muss Armin Petras und seinen Leuten bescheinigen, dass sie doch über weitaus mehr Regie-Variationen verfügen.  A.C.

Eine ärgerliche Enttäuschung.

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