Der blaue Spiegel

von Albert Ostermeier
Berliner Ensemble

 Regie: Andrea Breth
 mit: Corinna Kirchoff (Sybel), Wolfgang Michael (Jack); Elisabeth Orth als Mutter und Großmutter, Laura Tratnik und Larissa Fuchs

 

Vom Märchenprinzen zum Monster

Zu Beginn hocken Mann und Frau in einem Angst erregend engen und hellen Raum vor  geschlossenem Fenster vor einem weißen Heizkörper und langweilen sich und das Publikum beinahe zu Tode. Da offensichtlich jedermann im Publikum auf irgendetwas wartet, bequemen sich die Beiden, die Schweigefolter zu beenden: Er – mit einem unverständlichen Grunzen, Sie – zu erlösenden, aber nichtssagenden Wortfetzen, aus denen sich herauskristallisiert, dass sie von ihm “den Schlüssel haben möchte”, den er fortan nervtötend lange in seinen Taschen sucht. Am Ende sitzt eben dieses Paar wieder vor selbiger Kulisse, und die Frau bietet endlich die Erklärung für ihre paranoiden und schizophrenen Albträume an, und der Mann – wohl immer noch  Wolf – zeigt anstelle von Empathie lediglich Appetit und macht den Vorschlag, irgendwo etwas zu essen. Dazwischen knäult sich eine Summe von leider nicht mitgezählten, sich blitzartig ändernden Szenen in dem dunklen Wald des Unterbewußtseins. Bedrückende, arglistig unkende Spots aus einer grausamen Märchenwelt, wie die meisten Kinder sie durchleben, allerdings ohne psychische Störungen zu erleiden, langweilen durch nicht endende anderthalb Stunden.

Der Mann, Jack (the Ripper?) groß und dünn, verwandelt sich zunehmend zum Menschen fressenden Wolf und Frauen vernichtenden König Blaubart, vom Märchenprinzen zu tiefenpsychologischen Monstren. Pathologisch ist hier alles: auch die fiese, Kinder ängstigende oder Kinder begrabende Großmutter, die sich nicht scheut, auch den Schwiegersohn zu vereinnahmen, der sie zum Co-Vampir macht, gleicht vielmehr der bösen Stiefmutter-Hexe als der gütigen Geschichtenerzählerin. Die nicht mehr ganz so junge Frau (Sybel) ist wohl äußerlich eine Fee, doch ihre starke harte Stimme kennt eigentlich schon kein Erbarmen mehr mit sich und ihrer Umwelt; sie mordet das Kind – also freudianisch sich selbst – in der Badewanne! Das Leid, das sie früh traumatisierte und das sie nun in tausendfachen Träumen und Tagträumen durchleben muss, wird dem Zuschauer mit Spaß an der Furchtsamkeit in wenig schmackhaften Häppchen angeboten; Wer’s mag, hat offensichtlich Freude an der Not der Anderen. Oder sieht eine Paartherapie wirklich so aus? Wohl kaum! Denn derart Schmerzen und Furcht veralbernd und oberflächlich angesichts des seelischen Horrors, den diese Psychotikerin mit ihrem eher apathischen Mann durchsteht, das ist wohl mehr als nur eine klischeegetränkte Parodie auf Verhaltensangebote in der Ehepaarberatung, dazu noch im peinlich spracharmen Jargon einer schulfernen Bildung gehalten.

Realer und reeller wird es ansatzweise mit dem greinenden Mädchen-Rotkäppchen, das Großmutter und Wolf zum Fraße vorgeworfen wird. Und als sich die letzte der sieben Frauen von Blaubart als ein hessisch palaverndes Naivchen vom Lande darstellt, das peinlich deutlich seine kindliche Weiblichkeit und seine neugierige Lust am Verschlungenwerden anbietet, wird endlich auch diese Geschichte transparent. Die Frau wird von dem Mann, der seine mörderische Seele hinter der verbotenen Tür versteckt, zwar nicht verschlungen, aber ebenso grausam gefoltert. Auch das ist eher sadistischer Freude gezollt als ein Ansatz zu kunstvoller Analyse.

Ein Mischmasch von Märchen und Realität in diesen schrecklichen Räumen – mal viereckig, mal lang und geschlossen, was nun schon als sattsam bekannte Symbolik des Eingeschlossenseins in Wahnvorstellungen bekannt ist, – bleibt ohne dramatische Struktur, sondern fragmentarisch und bildhaft, und man kann nur hoffen, dass sie wirklich endlich gestorben sind, die seltsam morbiden, konzeptlosen Inszenierungen, die sich “work-in -progress” nennen, weil sich deren Form erst während der Aufführungen in der Phantasie der Autoren und Regisseure herausbildet. Viele Fragen bleiben offen – und wer sich kein teures Programmheft kaufen möchte, bleibt ratlos und böse zurück. Auch ist uns im Gegensatz zum bösen Macho-Wolf jeglicher Appetit vergangen. A.C.

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