Der kaukasische Kreidekreis/ Der gute Mensch von Sezuan

2 x Bertold Brecht
Berliner Ensemble/Schaubühne am Lehniner Platz

am BE: Regie: Manfred Karge
 mit: Claudia Burckhardt, Larissa Fuchs, Anna Graenzer, Monika Lennartz, Swetlana Schönfeld, Marina Senckel; Heinrich Buttchereit, Alexander Ebeert, Winfried Goos, Roman Kaminski, Roman Kanonik, Michael Kinkel, Peter Luppa, Dieter Montag, Lucas Prisor, Stephan Schäfer, Martin Schneider, Andreas Seifert, Norbert Stöß, Jörg Thieme, Felix Tittel, Georgios Tsivanoglou, Thomas Wittmann

 

 

Warum ist der Mensch so wie er ist?

Zweimal Brecht in Berlin: zum einen an der Berliner Schaubühne, an der Friederike Heller “Der gute Mensch von Sezuan” als ein spaßiges Durcheinander munterer Szenenabfolgen auf einer weitgehend von Wasser(Regen)güssen durchnässten rutschigen Bühne inszeniert. Die Schauspieler dort schlüpfen nur verbal in ihre Rollen, singen und albern herum, sprechen zuweilen auch ganz eindrucksvoll dramatisch ein paar Sätze der großartigen Texte – aber eigentlich ist diese Aufführung nur ein Wischwasch von Absurditäten, in denen das eigentliche Thema, dass der Mensch einerseits nur Gut sein kann, wenn er andrerseits auch mit Härte durchzugreifen versteht, kräftig durchweicht wird. Es gibt kein Ambiente, keine exotische Verfremdung, die den guten Menschen von Sezuan noch mit irgendeiner Identität verbinden könnte, obgleich Jule Böwe sich ungemein bemüht, nicht nur die Zwiespältigkeit der Doppelfigur (am Tage die weichherzige Shen Te, am Abend der hartherzige Vetter Shui Ta) auszuspielen, sondern auch das textschwache Ensemble zu führen. Da aber jeder irgendwie spielen, sprechen und auf die Pauke hauen kann, wie und wann er will, fällt das nur zeitweilig auf, nämlich, wenn die Akteure sich über sich selbst amüsieren. Warum man diesem, mit exzessivem Beat begleiteten Chaos an Beliebigkeit am Ende Beifall spendet, das wissen wohl nur die vielen französischen Schüler, die sich an diesem Abend – vielleicht textunkündig – herzlich über den Bühnenklamauk amüsierten.

Dagegen der beinahe klassisch aufgeführte “Kaukasische Kreidekreis” am Berliner Ensemble, ein Stück, das Brecht in dem vom Krieg zerstörten Georgien ansiedelt, dessen Märchenmotive aber auch aus chinesischen und orientalischen Quellen stammen. Manfred Karge verzichtet allerdings auf die szenische Realität des Vorspiels, sondern lässt das Ringen zweier Kolchosen um ein zerstörtes Tal, das sowohl die Ziegenzüchter als auch die Obstbauern für sich beanspruchen, von Norbert Stöß als “Künstler aus der Hauptstadt” bildhaft lebendig erzählen und beginnt die bildliche Darstellung erst mit dem Beginn der Parabel. Auch vermischt er die zwei Stücke, die sich bei Brecht erst am Ende miteinander konsequenterweise verbinden, zu einem lockeren Wechselspiel. Dabei gewinnt die Inszenierung zwar an Lebendigkeit, verliert aber an dramaturgischer Stringenz.

Denn während die kleine Dienerin Grusche sich des verlassenen Kindes der verjagten Gouverneursfrau annimmt und sein und ihr Leben durch viele Gefahren und Strapazen hindurch rettet, spiegelt sich neben der Ebene der Mütterlichkeit und Selbstaufopferung die typisch Brecht’sche Gedankengroteske der Umsetzung kommunistischer Gedankenspiele in eine absurde Realität: Der Stadtschreiber Adzak, ein nicht ungebildeter, wenngleich kräftig proletarischer Mensch, wird von den Soldaten auf den Richterstuhl gehoben, nachdem der alte Gouverneur und sein korrupter Richter durch eine Intrige der Fürsten entmachtet und gehenkt worden sind. Der Großfürst konnte dank Adzaks blinder Hilfeleistung zu den Persern flüchten, und das Volk für ist kurze Zeit – zwischen den Kriegen – auf sich gestellt.

Bis auf einige Ausdehnungen durch die zahlreichen, von Paul Dessau  vertonten Liedeinsätze, spielt sich hier ein wunderbares, nicht ganz   “Episches”, d. h. distanziertes, sondern eher realistisch gespieltes Theater ab, in dem nicht mehr in erster Linie die Brecht-typische Verfremdung im Mittelpunkt steht, sondern letztlich doch eher anrührende Emotionalität und poetische Vielfalt. Gleichermaßen spiegelt sich Brechts politisches Credo in grundsätzlichen Eigenschaften, die er seinen Charakteren auferlegt. Für uns ähneln sie heute psychologischen Analysen menschlicher Verhaltensweisen, die historisch und gegenwärtig als Reaktion auf die verschiedenen Strukturen der Macht zu sehen sind. Ihre verschiedenenartigen Auswirkungen offenbaren ewig gültige Werte wie Liebe, Gutherzigkeit, Verzicht, Opferbereitschaft auf der einen, Hartherzigkeit, Gier, Verantwortungslosigkeit auf der anderen.

Diese bittere Wahrheit so gelassen und heiter zu servieren, ist schon ganz große Kunst, die man Karge und seinem großen Team hier unbedingt bescheinigen sollte. Und, was sich über die eindrucksvolle Darstellung von Marina Senckel als superarrogante und egozentrische Adelsziege, die sturen Panzerreiter als Marionetten der Mächtigen, die flatternden Bediensteten der jäh entmachteten Gouverneursfamilie, den schüchternden Soldaten Simon (Felix Titel)  und seine Verlobte Grusche (Anna Graenzer) sagen läßt, gilt hier für alle Neben- und Hauptrollen gleichermaßen. Natürlich sticht neben Norbert Stöß als begleitender Erzähler (bei Brecht ist es der Sänger der Schauspieltruppe, die den streitenden Parteien diese Parabel vorspielt) der versoffene Azdak von Dieter Montag heraus, der zwischen der Skurrilität und Strenge eines Dorfrichters Adam und einem Schwejk in absoluter Hingabe schwelgt, stets mit einem hochprozentigen Schluck seine ungewollte Würde ins Lächerliche ziehend und doch zugleich den Gerechtigkeitssinn anstachelnd – allerdings recht einseitig, in dem er die Reichen ausbeutet und die Armen schützt, die kein Bestechungsgeld in der durchlöcherten Tasche haben, um ihr Recht einzuklagen. Sie sind allerdings nicht weniger rücksichtslos und hartherzig gegen ihresgleichen. Aber noch steht für Brecht die Frage des “Warum” im Raum – die er allerdings in seinem kunstvoll skandierten “Kommunistischen Manifest”, abgedruckt im Programmheft, mit Weitsicht beantwortet…

Das epische Theater wird hier als wunderbares Lehrstück angeboten: der Erzähler trägt die Handlung weiter, die Bildsequenzen sind kurz, doch deshalb nicht minder eindringlich und spannend (und nur um wenige, entbehrliche? Kapitel gekürzt) – bis endlich der Höhepunkt, das abgewandelte salomonische Urteil des erneut zum Richter ernannten Azdak gefällt wird: Wer ist die wahre Mutter des Kindes – die kalte Gouverneursfrau, die sich nur um ihren Tand sorgte, oder die armselige, verhärmte Bauerin Grusche, die um des Kindes willen sich selbst aufgab, ihre Würde, ihren Stolz und den geliebten Mann….

Da aber das schöne Ende eben nur ein Märchen ist, verschwindet anschließend der lebenskluge Azdak auf Nimmerwiedersehen. A.C.

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