Die heilige Johanna der Schlachthöfe
nach Bertold Brecht
Deutsches Theater
Regie: Nicolas Stemann,Bühne: Oliver Helf,Kostüme: Esther Bialas Komposition und musikalische Leitung: Thies Mynther,Live-Video: Ekaterina Grizi, Chor: Markus Crome
Warum man Brecht nicht modernisieren kann
Das Stück entstand in der Weltwirtschaftskrise, und Brecht weilte in Amerika. Doch er hatte nicht so recht verstanden, was Volkswirtschaft bedeutet, wie Kapitalismus und Demokratie funktionieren, und bis heute sind die Regisseure, die seine Stücke wieder aufforsten und die Schauspieler, die sich mit diebischem Vergnügen an die Beschimpfung der unfähigen Unternehmer und Banker machen, zumindest auf einem Auge blind. Doch Recht hat, wer spricht. Und hier spricht nun einmal Brecht, läßt das süße kleine Mädchen Johanna als naiv unerschrockene Botin einer christlichen Gemeinschaft gegen die Großen im Fleischgeschäft antreten. Das war und ist eine großartige Idee nach dem großen Vorbild der französischen Kämpferin Jeanne d’Arc, und wer Ohren hat, zu hören, muss akzeptieren, dass Brecht sich hier nicht etwa über den christlichen Glauben lustig macht, und dass er den fleischfressenden Wolf in Menschengestalt, den Unternehmer, der hier Mauler heißt, sowie dessen Vasallen, nicht a priori in den Boden stampft und diese ganze Bande zur Hölle wünscht. Auch ist sein Schluss, dass der Kommunismus siegen möchte, nur ein utopischer Idealismus, der aber voraussetzt, dass sich die Massen der Unterdrückten, der Arbeiter, der Arbeitslosen geschlossen gegen Ungerechtigkeit, grobe Misswirtschaft, blinde Macht- und Geldgier der “Großen” aufbäumen. Und genau das wusste auch Brecht: es gibt keine Geschlossenheit unter den Menschen, auch nicht unter den Armen, die jede Nächstenliebe vergessen, wenn es um ihr Leben- und Überleben geht. Voller psychologischer Kenntnis ist seine Rhetorik, auch und gerade, wenn er die Börsengeier angreift und die Unbarmherzigkeit der Hartherzigen. Und, dass ein kleines Mädchen dabei draufgehen muss, ist ebenso historisch wie konsequent und dem romantisch-politischen Enthusiasmus eines jungen begnadeten Schriftsteller zuzuordnen.
Stemann macht aus der Johanna im ersten Teil seiner Inszenierung denn auch eine elegante, naiv-dümmliche Salondame! Im zweiten Teil allerdings darf Katharina Marie Schubert eine erbarmungswürdige heruntergekommene Johanna sein! Aus den Fleischhändlern macht er eine gierige, skrupellose Dreierbande, in der Felix Goeser, Matthias Neukirch und Andreas Döhler im Rollentausch alle Mächtigen dieser Welt zunächst ziemlich unernst darstellen, und aus der Vertreterin der Ausgesperrten eine mahnende Agitatorin ohne Leidenschaft, deren Appell Margit Bendokat in bekannt exaktem Sprachrhythmus vorträgt.
Und was hat der 68iger Stemann, der gelernte Regisseur an renommierten Bühnen, nun am Deutschen Theater daraus gemacht? Natürlich keinen authentischen Brecht mit listigem Hintersinn und beißfester Eloquenz – denn wäre der Abend spannend, anrührend und konzeptionell ausgewogen. Aber es ist wie mit den Komödien, die an unseren Theatern tot inszeniert werden: Wo dort jede Pointe noch einmal endlos ausgespielt und damit zerredet wird, vertraut man nicht mehr der eigenen Kraft eines Dramas, sondern meint, seine Intention durch vielerlei lässig-lustige Szenenspots, turbulenten Draufgängerkapitalismus und traurige Video-Aufnahmen aufpeppen zu müssen. Peinlich nur, dass die Bilder der Massenversammlungen nur sehr gut gekleidete, wohlgenährte Menschen zeigen. Da hat man sich wohl schlicht im Archiv vertan?
Brutale Machtpolitik, die sich keinen Deut’ um die Armut und Verelendung, um Krankheit und Verzweiflung der “unteren Schichten” schert, ist nach wie vor in unserer Welt zuhause, wird in Ländern offen praktiziert, die Europa hofiert und für deren Opposition die Politik nicht einen Finger rührt wie etwa im Iran, in China, oder in vielen afrikanischen Staaten. Wenn man schon aktuell politisch agieren möchte, dann sollte man einen der zahlreichen, viel zu früh hoch gelobten jungen Dramatiker damit beauftragen, sich mit Verstand und Wissen mit ebensolcher aktuellen Situation zu beschäftigen. Denn die alten Dramen dieser Art standen mit ihrer politischen und gesellschaftlichen Dynamik in ihrer Zeit; sind ihre Texte allerdings von großer poetischer, künstlerischer Kraft, so sollten sie natürlich nach wie vor, aber behutsam und adäquat aufbereitet, für sich wirken. Die Themen unserer Zeit liegen auf der Straße. Man muss sie nur aufheben!
Siehe auch die Besprechung des Stückes am Berliner Ensemble. A.C.