Don Juan oder Der Steinerne Gast

von Jean Baptiste Molière
Komödie in fünf Akten (1665)
Hans Otto Theater Potsdam 

Regie: Tobias Wellemeyer; Bühne: Iris Kraft, Kostüme: Sabine Pommerening, Dramaturgie: Remsi Al Khalisi

mit: Wolfgang Vogler, Camill Jammal, Franziska Melzer, Floria Schmidke, Eddie Irle,   Hans-Jörn Weber, Katharina Brankatschk, Eva May, Meike Finck, Marcus Kaloff, Michael Schrodt, Joachim Bachmann, Thomas Werrlich, Christian Deichstätter, Hans-Jörg Weber, Helmut G. Fritzsch, Conrad Paul, Hans Polity

 

Im Sündenpfuhl

Das Ganze ist eine große grandiose Sauerei. Don Juan und seine Gespielinnen, sein treuer Diener Sganarelle, Freunde und Feinde müssen durch Unrat und Morast patschen; in der vielleicht einst herrschaftlichen Wohnung des spanischen Frauenverköstigers und Herzensbrechers Don Juan watet man knöcheltief im Abfall und anderswo auch. Willkommen im Sündenpfuhl! Die Röcke der edlen Damen, der Huren und Fischweiber (die tragen allerdings Stiefel) auf dem Hamburger Fischmarkt( welch köstlicher Einfall!) schleifen im Matsch, denn sinnbildlich sind und werden sie alle beschmutzt. Doch die Gefühle der Frauen bleiben rein und, wie bei Dona Elvira, Don Juan sogar ehelich verbunden (Erika Melzer wahrhaftig vornehm) trübt ihre Seele kein Wässerchen, und ihre edle Gesinnung verfolgt den Wahnsinnigen bis zu seinem letzten Lebenshauch.

Damit hat Tobias Wellemeyer, nun Intendant in Potsdam, ein Bravourstückchen, ein Potpourri an Regieeinfällen geliefert, das ihm wohl nicht jedermann sofort dankt, aber das Stück, das sei allen Theaterfreunden versichert, wirkt im Nachherein vielleicht sogar intensiver als man möchte. Wie auch der Liebhaber Don Juan mit seinem leidenschaftlichen Werben, das so wild und rasch wie ein Wirbelwind allen Widerstand hinwegfegt, bei den Frauen bleibende Erinnerungen hinterlässt.

Man würde heute natürlich das, was den Unersättlichen von Blüte zu Blüte treibt, nicht mehr unbedingt als “Liebe” bezeichnen; Sexsucht oder Triebhaftigkeit ohne Maß und ohne jegliches Gespür für das “Normale”, “Schickliche”, “Ehrenhafte” und dergleichen seien ausschlaggebend für solche Maßlosigkeit. Das Programmheft, das leider zu dieser Inszenierung schweigt, läßt aber dafür berühmte Psychiater, Dichter und Denker zum Thema Lust und Religion sprechen. Für Don Juan, der wie ein ständig trunkener Beatnik alle Konventionen mit selbstzerstörerischer Konsequenz hinter sich gelassen hat, gibt es kein Tabu, keine Schranken gesellschaftlich vorgeschriebenen Schicklichkeit. Und, Hand aufs Herz, sind die Frauen, die ihm da so mir nichts dir nichts in den Schoß fallen, nicht auch allesamt wild auf den schönen jungen Grande, der so unverschämt und haltlos locken und buhlen kann, dass er zuweilen auch mehrere Liebschaften auf einmal zu bewältigen hat? Das ist schon ein tolles Ding, wenn…

…wenn, wie gesagt, nicht dieses grässliche Bild, dieser säuische Bühnenboden wäre, der uns den moralischen Abgrund mit aller Drastik  vor Augen führt, in dem dieser Mann sich wälzend und windend (und wahrscheinlich auch stinkend!) wie ein waidwundes Tier am Ende begleitet von Blitz und Donner, gleichsam ins ewige Nichts versinkt. Das alles spielt dies Ensemble mit großer Theatralik und Dynamik, und bis auf einige Längen im zweiten Teil des Stückes durchzieht eine straffe dramaturgische Spannung das Stück, wie sie in Mozarts später komponierter Oper “Don Giovanni” noch nicht annähernd erreicht wurde.

 Dazu tragen natürlich bei: der gleichmütig selbstverliebte, dann und wann wilde Stärke und Manneskraft demonstrierende Wolfgang Vogler als ein Don Juan, der wirklich nicht Tod und Teufel, nicht Massakrierung und väterlichen Fluch und Verdammnis fürchtet; ein Mann, der liebt und lebt, wann und wo es ihm passt, der mit kraftstrotzender Leidenschaft Orangen und Melonen zerquetscht, aussaugt und schlürft wie Lebenssaft, der alles verschleudert und vergibt, was er zuletzt noch besitzt, der den Gläubiger verspottet und  mit seinen letzten Spießgesellen gewaltsam in die Flucht schlägt, der den Wein mit bacchantischer Verschwendung in das schon längst übervolle Glas schüttet, der die gehörnten Ehemänner narrt, und wenn es sein muss, auch schnell mit dem Degen in ihre Schranken weist, weil diese das Wort Ehrverletzung wohl gar zu wichtig nahmen…

Nun, wenn es etwas an diese Darstellung zu bemängeln gäbe, dann vielleicht doch die Sprachführung, die noch zu sehr an der klassischen Textführung hängt. Da von Vogler aber zunehmend harter körperlicher Einsatz gefordert wird – nicht als Liebhaber, sondern als sich wütend wehrendes pathologisches Opfer des eigenen Hochmuts, sind hier wohl andere Prioritäten gesetzt. Dafür zieht sein treuer Diener Sganarelle mit dem hervorragend sprechenden Camill Jammal alle psychologischen Register. Natürlich eine komödiantische Rolle, doch mit welcher Pein muss der arme Kerl mitansehen und miterleben, wie sein Herr allen guten Sitten und Mahnungen trotzt, sich selbst ins Unglück hinein manövriert, blind vor Eitelkeit, vor Wahn und Begierde. Doch da Geld und Gunst ihn bei dem verruchten Herrn halten, wird er sich mit seiner doppelten eigenen Moral immer wieder selbst betrügen. Ein armer Kauz und doch ein so kluger und gewitzter Kerl. Ein tolles Charakterbild, das hier der große Menschenkenner Molière zeichnet, und das dieser Schauspieler mit Witz und Wahrhaftigkeit ausspielt.

 Es gelingen dieser Aufführung ebenso komische wie bestechend schöne Bilder: ein skurriles und – würden Gerüche noch hinzukommen – ein authentisches Fischmarkt-Ambiente  – und dem konträr zum Ende hin die im fahlen Friedhofslicht schimmernden menschlichen Grabfiguren als anmutige Engel in überirdisch schönen Faltengewändern, wie von einem großen Bildhauer in Marmor gemeißelt. Dagegen wirkt der weißkalkige Komtur fast ein bisschen nebensächlich, würden ihn nicht die Nebelschwaden und der unheimliche Vorgeschmack auf Don Juans Höllenfahrt begleiten,

Also, wie gesagt, abgesehen vom unappetitlichen Schlamm, der sich ja leider nicht übersehen läßt und nun einmal eine allegorische Aufgabe zu erfüllen hat, eine durchaus sehenswerte Inszenierung! A.C.

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