Idomeneus

von Roland Schimmelpfennig
Deutsches Theater
Regie: Jürgen Gosch; Bühne und Kostüme: Johannes Schütz, Licht: Robert Grauel, Dramaturgie: Bettina Schültke; Maske: Andreas Müller
mit: Margit Bendokat, Meike Droste, Christian Grashof, Alexander Khuon, Niklas Kohrt, Peter Pagel, Katharina Schmalenberg, Barbara Schnitzler, Bernd Stempel, Valery Tscheplanowa, Kathrin Wehlisch

Ein erzähltes Potpourri aus der antiken Mythologie

Viele Versionen ranken sich um faszinierende Mythologie des Trojanischen Krieges, ihrer Helden, ihrer Toten, ihrer Heimkehrer.  und so manche Theaterbearbeitung der alten Sagen in der neueren Zeit beweist, wie schwer, ja, wie unmöglich es den jungen Regisseuren und Schauspielern ist, die Seele der Griechen zu finden…

 Im Deutschen Theater liefert die Phantasie des Bühnenbildners eine große weiße Wand und davor eine lange Bank, auf der sich die Mitspielenden – oder besser Erzähler – zunächst amüsiert plaudernd, räkeln und nebeneinander reihen. Der Kostümbildner läßt alle in ihren “Normalkleidern” , Hose, Pulli, agieren, und der Maskenbildner hat es wohl versäumt, bis auf weißes Mehl in ihren Haaren, ein bisschen Make-up mitzubringen. Sie lachen und tuscheln, scherzen mit Bekannten in den vorderen Zuschauerreihen, und der Zuschauer wartet gespannt auf das, was da kommen wird.

Da, jäh ein zusammengeballtes Stöhnen, Schreien, Keuchen, die Männer und Frauen auf der Bank da oben verbiegen sich, stürzen aufeinander, turnen übereinander, klammern sich aneinander – der Text, die sie abwechselnd im Chor und einzeln deklamieren, verrät, worum es anfangs in der Sage geht: Idomeneus, König von Kreta, gerät nach dem zehnjährigem Krieg um Troja auf der Heimreise mit 80 Schiffen in einen schrecklichen Sturm und verspricht Poseidon in der höchsten Not als Dank für seine Rettung, den ersten Menschen, der ihm bei seiner Ankunft begegnet, zu opfern. Da läßt der Orkan nach, die Geretteten atmen auf, schreien und strampeln noch ein bisschen, doch jammern schrecklich aufs Neue, als ihnen gewahr wird, wer ihnen da am Ufer jauchzend, im “Zickzackkurs” entgegenläuft, kein Tier, sondern ein Mensch: Idamentes, der jüngste, fünfzehnjährige Sohn des Königs…

Während sich in der Schaubühne zur Zeit Jossi Wieler müht, den Mythos der Iphigenie, die beim König auf Tauris gelandet ist, in einer einigermaßen anschaulichen Inszenierung spielen zu lassen, verzichtet Gosch bei seiner Darbietung von vornherein darauf, etwa das Mythos als dramatisches Spiel auf die Bühne zu bringen. Hier erzählen alle Schauspieler in verteilten, übergreifenden Rollen verschiedene Abläufe der Ankunft des Idomeneus und der Folgen eines möglichen Menschenopfers. In der modernen Schnitzeljagd-Version des vielgepriesenen Autors wird Kennern der griechischen Mythologie sehr schnell langweilig, und den Neuen und Neugierigen auf dieses Schauspiel wird viel Mühe abverlangt, um die verschlungenen Pfade der Griechen und ihrer Götter-Menschen-Verstrickungen zu begreifen.

Schimmelpfennig hat in seiner Auf-Fassung versucht, zunächst einmal alles auf ein sprachliches Niveau herunterzuholen, was in seiner Vorstellung für die Leute von heute zu anspruchsvoll, zu kunstvoll,   fern ihrer Schulbildung sein könnte. Daher werden die Worte ziemlich drastisch und die Opferrituale möglichst plastisch und grausam ausgeschmückt, und das Wiedersehen des Königs mit seiner jungen Frau Meda wird durch den Verdacht der Untreue vergiftet. Ihr  Liebhaber ist oder könnte Leukos sein, sein alter Todfeind – auch das  wird in verschiedenen Variationen mit Hintergrundinformationen erzählt (denn Leukos’ Sohn ist der Erfinder des Alphabets und wurde von den Griechen zu Tode gesteinigt!). Auch die verschiedenen Liebschaften seines Sohnes, der mit einer Fischerstochter ein Kind zeugte und jetzt Elektra aus Mykonos, dem Geschlecht der Atriden, erwählt hat, und die noch nicht weiß, wie es bei ihr daheim zur Zeit um Mord und Rache steht, sind eine nette Variante, zumal, wenn der beleidigte Fischervater den König auf eine einsame Insel in die Verbannung rudert, weil sich Leukos nicht nur als Liebhaber, sondern auch als sein Nachfolger auf den Thron die entsprechende Anerkennung beim Volk verschafft hat! 

Ein Erzählabend mit verteilten Rollen. Mehr nicht, aber auch nicht so ganz wenig; denn es klingt teilweise sogar witzig, wie Schimmelpfennig König, Gattin, Sohn und Liebhaber aus den Versionen der alten Sagen herauslöst und in neue Vorstellungen einbindet, die man ja unweigerlich ausschmücken kann, wenn ein Krieger nach zehn Jahren blutigen Krieges zu Frau, Kind und Volk heimkehrt. Da gibt es ganz sicher so manche Ungereimtheiten im Profanleben, auf deren Darstellung im antiken Sagenschatz wohlweislich verzichtet wird – denn da handelt es sich bekanntlich ja um höhere Werte ( in einer Zeit der permanenten Rache und kriegerischer Grausamkeiten), nämlich um göttliche Bestimmung und Weissagung, um vorbestimmte Fügung und Erfüllung des menschlichen Daseins. Und dann endlich, wie in “Iphigenie” und bei “Idomeneus”: die Möglichkeit der Unterbrechung, der Beendigung dieser unsäglichen Verknüpfung durch die Missachtung des Versprechens an die Götter, durch die Aufhebung der alten Riten und Regeln, durch die Morgenröte der freien Entscheidung des Menschen. Das kann man auch bei Schimmelpfennig/Gosch heraushören, wenn man genau aufpasst! A.C.

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