Shakespeare, Mörder Pulp & Fiktion
von John von Düffel
Bremer Shakespeare Company
Regie: Frank Auerbach Musikalische Leitung: Florian Oberlechner
Musik: Michael Meyer, Tim D. Lee, Florian Oberlechner
Texte: Frank Auerbach, Bühne/Kostüm: Melanie Kuhl
„Die Karten sind falsch gemischt“
Im alten Lagerhaus, der neuen Spielstätte der Bremer Shakespeare Company, soll kurzzeitig gemordet werden und zwar im besten Shakespeare-Stil, auf dass Richard III. endlich alle, aber auch alle Thronanwärter in den Orkus schickt, mit diabolischem Kalkül, die Damen schamlos verführend und die Herren der großen Geschlechter York und Lancester durch skrupellose Intrigen. Nach Edward steht nun auch Richards zweiter Bruder, der Herzog von Clarence, der ihm den Thron und die Macht über England streitig machen könnte, auf der Todesliste. Zwei Meuchelmörder werden in den Tower geschickt, wo Clarence angeblich zu seiner Sicherheit untergebracht ist.
Hier beginnt das Spiel der Bremer, das im Comedy Stil zwei seltsam sensible Killer, Pulp und Fiktion, vorführt: die Melone auf dem Kopf, mit Frackjacke und Unterhose bekleidet, mit dunkler Brille getarnt. Verirrt und verwirrt, suchend und tastend wie tapsige Clowns, beginnen sie jäh über Beruf und Schicksal tiefsinnig und vieldeutig nachzusinnen und sich damit beinahe handlungsunfähig zu machen, ähnlich den beiden Landstreichern Estragon und Wladimaus in Samuel Becketts absurdem Theaterstück „Warten auf Godot“ , die dort vergeblich nach einem Ausweg aus ihrem sinnentleerten Dasein suchen. Denn hier wie dort zweifeln die Protagonisten jäh an ihrer Rolle und der ihnen aufgehalsten, nicht enden wollenden Mordaufträge, können sich aber letztendlich nicht aus ihrer gesellschaftlich und historisch vorgegebenen Situation befreien.
Vor allem aber ist es wohl Quentin Tarantinos viel prämierte Gangsterparodie „Pulp Fiktion“ (Trivial- oder Schundliteratur), die John von Düffel für seine Farce inspirierte, in der er das endlose Morden der englischen Königshäuser mit bizarrer Komik beleuchtet. Seine Mordbuben erhitzen sich mehr und mehr, wütend über ihre Hemmung, den schlafenden Herzog „durch Erschießen im Schlaf zu stören: denn der Schlaf ist bekanntlich heilig“! Darob reden sich in Wut und Verzweiflung, wobei sie mit tragischer Tiefsicht in ihr eigenes, elendes Leben hinabtauchen und sich mit der Ausweglosigkeit ihres jämmerlichen Daseins konfrontiert sehen. Beinahe empfinden sie für den Todeskandidaten ein beängstigendes, fremdes Gefühl des Mitleids, das ihre Berufsehre und damit ihre magere Existenzgrundlage zu gefährden droht.
Der Mann, den es zu beseitigen gilt, wird im Rollstuhl hereingefahren. Wie ein Popanz, aufreizend bemalt und bekleidet mit einem farbigen Fetzenkostüm, die Schultern mit knochenbleichen Flügeln versehen, an denen letzte schwarze Federn kleben, sitzt er stumm und starr im Rollstuhl, das Akkordeon (das er in seiner Zweitrolle als Bandmitglied spielt) lässig auf dem Schoß vor sich haltend. Schlafend, wartend, mit bleicher Maske ist der schillernde Herzog das letzte Objekt, das der unendlichen Machtgier im Krieg der Rosen geopfert wird – ein Krieg auf den Schultern des kleines Mannes.
Es steckt viel mit schwarzem Humor gespickte Sozialkritik in dieser Satire, die mit bemerkenswerter Klarsicht über die dunklen Seiten der Machtmenschen resümiert, die nicht genießen, sondern nur noch zerstören können. Es gibt großartige, blitzschnelle Kurzweil in akrobatisch ver-rückten Wortspielen, die sich ad absurdum führen und den Kenner Shakespear’scher Dramen herausfordern, vielleicht doch noch mal nachzulesen, damit man wieder auf die Reihe bekommt, wer wo wen gemordet hat…
Unsere beiden bedauernswerten Mordgesellen könnten die Historie neu schreiben : tumb naiv der Lebensloser „Pulp“, der sich mit logischer Einfalt vor dem Morden drückt – und ungeduldig aufbrausend „Fiktion“, der durch den lahmen Kumpel solange gebremst wird, bis er, entnervt und mehr versehentlich, die Pistole abdrückt. Denn letztlich ist ihre Mitleidskrisis nur von kurzer Dauer, und ihre Erkenntnis, dass die kleinen Leute für die freudlosen Machtspiele der Großen ihre Köpfe hinhalten müssen, lässt ihnen nur resignierend die leidvolle Gewissheit, „dass die Karten des Lebens falsch gemischt sind“. Zwei Komiker, zwei traurige Clowns, die das Chaos der Welt verkörpern, und die in aller Schlichtheit den unersättlichen Machttrieb als Grund aller Tragik erkennen, durch die diese Menschen sich und andere permanent ins Unglück stürzen.
Um die Gemüter aufzumuntern und das ein wenig zu kurz geratene Stück in die erforderliche Schauspielabendlänge zu führen, gibt es zwischen den Szenen musikalisch aufgepeppte Moritaten, die den Schauspielern Gelegenheit geben, sich nun als Musikanten und Sänger ihren mörderischen Frust von der Seele zu spielen. Schlagzeug, E-Gitarre und Akkordeon geben Bänkelliedern – à la Groenemeyer oder auch in Weill’scher Melodik – eine bemerkenswerte Aktualität. A.C.