Crusoe

  Junges Theater im Pferdestall, 2013

nach Daniel Dafoe
Oldenburger Staatstheater
Konzept und Ausstattung: Julia Hölscher, Martin Hammer, Susanne Scheerer
Musik: Arno Waschik
Licht: Malte Alber
Dramaturgie: Jörg Vorhaben

Johann Strauss gut gegen Einsamkeit

Ein großer heller Raum, mit Strandgut wahllos dekoriert: am Rande  liegt ein offensichtlich erschöpfter Mann, lang ausgestreckt auf dem Bauch. Lange Zeit Stille, nichts, nicht einmal Meeresrauschen, obwohl man doch weiß, dass es sich hier um den schiffbrüchigen Robinson Crusoe handeln muss. Die gefühlte Zeit bis sich der Mann endlich erhebt, scheint endlos. Eine Ahnung von Langsamkeit, Langeweile, unendlicher Leere dehnt sich aus. Und es wird auch fortan nichts Wesentliches geschehen, keine Änderung des furchtbaren Daseins in absoluter Einsamkeit und Ausweglosigkeit. Nirgendwo eine Öffnung, die Licht bringt, die das Äußere mit dem Inneren verschmelzen lässt. Kein Sonnenstrahl, kein Tier, kein Mensch. Wir wissen, dass bei Daniel Defoe irgendwann dieser Wilde in die Einsiedelei eines erfindungsreichen Robinson einbricht, der fortan als Freitag sein Gefährte sein wird bis zur endgültigen Rettung. Doch davon nichts in dieser Inszenierung, die sich mehr an den Franzosen Michel Tournier anlehnt, der “Crusoe” als Parabel für tödliche Vereinsamung sieht.
Wir werden hilflose Zeugen seiner Selbstauflösung, die zuweilen noch einen Aufschub anbietet, der dann auch wieder in Sinnlosigkeit zerfällt. Was nützt ein Dynamo am Fahrrad, der den nutzlosen Staubsauger in Gang setzt; was nützen eine Leiter, eine Blume, eine rostige Trompete, eine Badewanne, wenn nicht als leere künstlerische Performance? Die Kassette auf dem Rekorder ist längst verbraucht, die Eintragungen philosophischer Gedanken sind wertlos geworden.  Es sind keine neue Erkenntnisse hinzugekommen. Die Sprache reduziert sich auf Töne, Laute, den Widerhall seiner Verzweiflung. Sprechverlust sei äußerste Erniedrigung hat Crusoe noch artikulieren können, bevor er sich aufgibt. Der Schmerz verflüchtigt sich, wird zur Fatalität, gebiert den Wahnsinn. Und er beschließt, nicht länger auf etwas zu hoffen, zu warten, was offensichtlich nicht eintreffen wird: “Man muss gegessen werden, wenn man am besten schmeckt.” Ein irrsinniger Gedanke, ein tödlich-tröstlicher Gedanke. Und dann  kommt doch noch eine Wiederholung einer wunderbaren Vision: das goldhaarige Mädchen erscheint engelsgleich und lehrt ihn zu laufen, zu schweben, auf Rollschuhen zum Walzer von Johann Strauß über die Fläche zu gleiten, dessen Flokatteppich sich wellenartig zusammenrollt, den Haushaltsmüll in sich eingräbt und eine glatte Bahn freigibt. Sieht so das Paradies aus? Oder ist es gar eine buddhistische Erlösung, die eintritt, wenn wir nichts mehr erwarten, uns vollkommen in uns zurücknehmen und jedweden Anspruch auf die Realität um uns herum aufgeben?

Es bleibt ein Rätsel, das nicht zufrieden stellt, obwohl sich Denis Larish bemüht, die Facetten dieses Untergehens gut zu skizzieren. Aber da bleibt eine dramaturgische Distanz in ihm und zu uns, eine Entfremdung, die nicht überbrückt werden kann, solange er aus seinem inneren Gefängnis keinen Ausweg findet. Und das ist die Geschichte von Tournier: Robinson als der einsame Mensch, der auf sich selbst zurückgeworfen wird abseits oder inmitten einer -Müll produzierenden – Gesellschaft, die vor Aktivitäten zu bersten scheint, aber keine wirklich sinnvolle Aufgabe mehr erfüllt, nämlich sich um die Mitmenschen zu kümmern. A.C.

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