Der Fliegende Holländer

   von Richard Wagner

Bremen – Theater am Goetheplatz – Spielzeit 2013/2014

Musikalische Leitung: Markus Poschner Clemens HeiI ; Regie: Sebastian Baumgarten;  Bühne Thilo Reuther  Video Jana Findeklee, Joki Tewes Chor Daniel Mayr Licht Christian Kemmetmüller Dramaturgie Ingo Gerlach Kostüme

mit:  Daland, ein norwegischer Seefahrer Loren Lang, Patrick Zielke Senta, seine Tochter Patricia Andress, Agnieska Hauzer Erik, ein Jäger Luis Olivares Sandoval Mary, Sentas Amme Tamara Klivadenko Der Steuermann Dalands Christian-Andreas Engelhardt Der Holländer Carsten Wittmoser Der Heizer Marc Steven Hallock 

 

…den Teufel mit dem Belzebub austreiben?

Sebastian Baumgarten bemüht sich auch in dieser Inszenierung des “Fliegenden Holländer”, jede Möglichkeit der politischen- historisch nicht immer korrekten – Einflussnahme, um jedwedes romantische Ambiente zu hinterfragen. So pflügt der düstere Kapitän – auf ewig verurteilt mit seiner Mannschaft der Untoten auf den Weltmeeren zu fahren – vor den auf rollender Leinwand projizierten Untaten der Kolonialmächte in Afrika seinem endgültig sich abschließenden Schicksal entgegen. Dem Publikum wird assoziativ damit einiges zugemutet – doch siegt vom ersten Overtürenton an glücklicherweise das furios durch die See peitschende Orchester, das unter der stringenten Regie seines Dirigenten emphatisch-leidenschaftlich ebenso über wilde Stürme wie tiefe Seelenqualen triumphiert und damit auch zugleich über die eher lächerlich als mahnend wirkenden Klischees einer konträren Gesellschaftsideologie .

Denn während Heil keinen Zweifel daran läßt, wer hier die Windrichtung vorgibt und er die sich türmenden Wogen menschlicher Leidenschaft und die sanft geglätteten Wasser göttlicher Fügung ganz eindeutig als bestimmendes Motiv dieses Werkes in all seinen Facetten ausspielen läßt, spult vor dem noch geschlossenen Vorhang eine Schleife grotesker Plakatmotive und Werbeidylle aus den 50er und 60er Jahren ab. Grell gschminkte Frauengesichter, akkurat beschürzte Hausfrauen, in Berg- und Straßenbau schwer schuftende Arbeiter –  sollen sie vielleicht mahnend das Recht auf Selbstbestimmung symbolisieren?

Ungeachtet dieser schlichten Symbolik braust und stürmt und rollt es im Orchestergraben, und wir haben keinen Zweifel daran, dass sich dieser Plakatspuk dem Märchen einer zeitlos packenden Geschichte beugen wird. Und tatsächlich, als sich der Vorhang hebt, gibt er ein hell erleuchtetes riesiges Bulleye frei, aus dem der Männerchor des Kaufmanns Daland hervorquillt und nun den Blick auf das klassische Mythos des Mannes lenken wird, der sich dem Schicksal zum Trotz dem Satan verschrieb und nun – bis dass ihn eines Tages die absolute Treue einer Frau von seiner Qual erlösen würde – plan- und ziellos über die Meere treiben muss.

Treue und Ehre sind es, die die Romantik eng verknüpft, und diese Begriffe wollen sich nicht in Eroberungsfeldzüge der Kolonialmächte oder in eine 50er-Jahre-Aufbaumentalität einfügen. Wenn sie überhaupt in irgendeiner Form zu einer neuen politischen Orientierung führen könnten, dann zum Wahn des Dritten Reichs, das sich Wagners abstrusen und verwirrten Sozialneid auf jüdische Intellektuelle  zu propagandistischem Zwecken zunutze machte.

Die Chöre sind in ebenso zeitlose wie phantasielose Kostümchen gezwängt, die im norwegischen Städtchen spinnenden Mädchen spulen eine Glamour-Filmrolle ab (s. Videos), harmlos in Nachthemden ihre Lieder singend, bis sie sich späterhin als fesche Matrosenfrauen und Liebchen in kunterbunten Trachten tummeln, die gar Smetanas “verkaufter Braut” entlehnt sein könnten. Überhaupt ist ja bei Wagner sehr viel Volkstümliches, schwungvoll-Melodisches zu hören, noch ganz einer schwärmerischen Poesie verhaftet – nur das Sujet hat sich von Schäferspielen und süßen Liebesträumen verabschiedet; denn hier ist nicht das Glück, sondern der Tod gegenwärtig. Und die schweren Bässe der Männerpartien, der dröhnend gewalttätige Matrosenchor und die dumpfen Kreaturen des unheimlichen Nahbarschiffes betten das düstere Geschehen in die passende Stimmungslage ein. Wie Würmer, in dicken weichlichen Verpackungen krabbeln die untoten Männer des Geisterschiffes über die Decksplanken, stöhnen, ächzen, lassen nur ihren Kapitän sprechen und locken. Der Kaufmann Daland, der in derselben Bucht auf besseren Wind wartet, ist sein Opfer und wird schnell, arglos und gierig in den tragischen Tausch einwilligen: die Tochter gegen Schmuck und Geschmeide, gegen Gold und gutes Geld. Mit zärtlicher Rauheit gedenkt er der geliebten Senta, aber ebenso eindeutig verhökert er sie an den Erstbesten, der ihm als guter Fang begegnet, taub gegen dessen unheilvolle Andeutungen. Die Bühne schwankt hier wie dort im Wellengang, die Männer wiegen sich in der bedrohlichen Bewegung, das Bulleye verwandelt sich in einen glühenden Schlund, aus dem heraus die unförmigen Gespenster krabbeln…

Dem düsteren Ambiente steht die ebenso in ihren Grundfesten wankende Wohnung des Kaufmanns gegenüber, in dem die sonnambule junge Senta vom dunklen Holländermann träumt und sich in seine Erlösung so fest hineingedacht hat, dass sie – einer Wahnsinnigen gleich – kein anderes Ziel mehr kennt als sich dem traurigen Schicksal und seiner Erlösung – zunächst noch als Vision hinzgeben. Und so zart und zärtlich sie ihrer fantasierten Liebe entgegenstrebt, so fest und trotzig widersteht sie allen Warnungen ihrer Freundinnen. Sentas Lied wird zu ergreifenden, jubelnden Opferungsszene. Hier sind Text und Stimme aus einem Klang, und engelsgleich findet sie nicht nur der wüste verlorene Seemann, der niemandem mehr trauen kann und damit sein Schicksal stets von Neuem besiegelt. Fehlte ihm die Kraft des Glaubens an die Mitmenschlichkeit, so fehlt ihm auch die Kraft, zu sich selbst zu finden und seiner Lebensqual ein Ende zu bereiten. Das wird Senta für ihn tun, und der energische Erik, der sich als Verlobter wähnt, muß wütend und drohend erfahren, dass er das Mädchen längst verloren hat. Ein Paar, das keines ist, das ein Duett singt, das ebenfalls keines ist. Sie singen und denken und lieben auch musikalisch an einander vorbei, Senta eine Tonart über Erik und nicht nur darin überlegen. Dunkel verkünden die Streichinstrumente Sentas Schicksal, das auch Erik nicht aufhalten wird. Denn Senta hat ihm niemals Treue geschworen und damit auch ihr Versprechen gehalten, das sie dem Holländer gab.

Leider vertraut die Regie nicht der Kraft eben jener tongewordenen Leidenschaften, sondern meint, mit Suppenlöffel, Zeppelin und berstenden Hochhausbildern das Scheitern fragiler Errungenschaften der modernen Welt und Technik aufzeigen zu müssen. Dagegen setzen die Sänger, die Solisten wie die homogen mitspielenden Chöre in hohem Maße Einfühlung und Stimmschönheit, die diese Ballade erfordert. Die Videoaufnahmen erläutern weder das Mythos noch die Charakterzüge der Protagonisten, sondern sie setzen lediglich Kontrapunkte zu einer zeitlosen Menschheitsgeschichte, die sich immer wieder abspielen wird als Spiegelbild von Liebe und Aufopferung, von Verzeiflung, Tod und Erlösung. Aber sie hat mit Feldzügen, Kriegen, Landnahme  und Konsumverführung nichts im Sinn.

A.C.

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