Holzschlachten -Ein Stück Arbeit

  von Josef Bierbichler

Schaubühne am Lehniner Platz

Idee und Konzept: Josef Bierbichler; Ausstattung: Mira Voigt; Dramaturgie: Dag Kemser; Licht und Video: Michael Gööck, Violine: Mona Raken

 

 Ungeheuerlich ist viel – doch am furchtbarsten ist der Mensch

Ein KZ-Arzt erinnert sich, spricht von seiner Vergangenheit wie jeder beliebige Rentner; es ist nichts Besonderes, und doch liegen in der Wiederholung des gefühllos und gewissenlos wahrgenommenen Alltags als wissenschaftlicher Beobachter im Vernichtungslager Auschwitz Momente des Begreifens. Sie sind flüchtig, fast unmerklich, wäre da nicht das schwere Atmen im Abendlicht, wäre da nicht die jähe Herzattacke, die Bierbichler in dieser wahnsinnig schweren Rolle zwingt, sich für einige Minuten hinter die Bühne zu begeben. Irgendwie unbequem, ruht er dann wieder in dem Lederstuhl, das viel zu enge Jackett quer zugeknöpft, das Bierglas neben sich – man könnte meinen, ein behaglicher Altersruhezustand. Doch diese Erinnerungen. Zwar wurde dieser Mann freigesprochen, doch wovon?
Bierbichler erzählt in seinem eher beiläufigen, so ungemein faszinierenden bayrisch-hochdeutschem Sprachduktus Unaussprechbares, Ungeheuerlichkeiten, die für die Nachgeborenen nicht fassbar sind. Und wie dieser Mann das erzählt, als ob er dem Zuhörer, der scheinbar nur schwer begreift, Selbstverständliches, Notwendiges auf sachlicher Ebene erklärt: Menschen, die zusammengepfercht in Wagons abtransportiert, ausgesucht, vergast wurden, als “wissenschaftliche Objekte” missbraucht wie Tiere, in den Tod geschickt, nach Alter, Geschlecht sortiert, alles akkurat, alles hatte seine Richtigkeit. Das alles musste sein, um Schlimmeres zu verhüten!
Es zu grausig, um das alles zu fassen, es grenzt an das menschliche Vorstellungsvermögen. Und doch ist es wahr. Bierbichler versucht darzustellen, was dieser KZ-Arztes Hans Münch dem Journalisten Bruno Schirra in aller Teilnahmslosigkeit erzählte, und wie er es scheinbar erzählte: Ohne Schuld, ohne Reue, ohne Gefühl, denn die Juden waren für die Nazis keine Menschen.
Im großen Saal der Schaubühne herrscht atemlose Stille…

Monologe des Schriftstellers Florian List sind im zweiten Teil des Abends aufgenommen, als sich ein anderer Mann, ein bedächtiger Holzfäller, plötzlich seinen schlaflosen Nächten und Alpträumen stellen muss. So wie der alte Mann im Lederstuhl, so tut der Holzfäller mit schweren zielsicheren Schlägen seine Arbeit, spaltet die Stämme, noch einmal die Scheite, türmt sie langsam, bedächtig, ohne Hast im Rhythmus seiner Körperkraft zu einem Scheiterhaufen auf. Doch zu oft setzt er die Flasche an, verliert die körperliche Balance, spricht über Kopfhörer zu seinem Vorgesetzten, erzählt, holprig und schlicht formulierend, was ihm Angst macht: die gelben irisierenden Schwaden, die nachts vor seinem Fenster lodern, das Versteckspiel, die geheime Wohnung, die ihn vor Verfolgung schützt, er beichtet und dann geht es weiter: das Holzschlachten. Seine Vergangenheit erscheint in ungenauer, nebulöser Form, grauweiße Schwaben kriechen über den Boden, umhüllen den nackten Mann, der sich nun unter die Holzscheite gelegt hat und auf seinen Flammentod wie auf Erlösung zu warten scheint. Doch Gott hat anders entschieden. Dieser Mann wird mit seinen Erinnerungen, diesen nächtlichen Visionen schwefelgelber Feuer vor seinem Fenster und den jäh auftauchenden gespenstischen Schatten am Bett, die ihm den Atem rauben, weiterleben müssen.

Und dann kehrt der Mann in den Lederstuhl zurück, setzt sich, nun, in der Kleidung des Holzfällers (ein Schlafanzug ?) und wird wieder zur Figur des Mannes, der von jeder Schuld freigesprochen wurde und dies bis an sein Lebensende beteuern wird, damit sein Denksystem ohne Wertmaßstäbe nicht zusammenkracht, dass ihn darin bekräftigt, nur seine Arbeit gemacht zu haben, gut und sorgfältig, wissenschaftlich exakt, ohne Skrupel, ohne Nachzudenken, ohne jegliche moralische Instanz – wie ein Holzfäller, der seine Arbeit sorgfältig, bedächtig und ohne zu zweifeln verrichtet, ohne zu fragen, warum und wozu.

Ein beeindruckender Abend, der die Ungeheuerlichkeit menschlicher Empfindungslosigkeit, die unfassbare, dunkle Seite des Menschen, das schlechthin Böse wie eine Normalität darstellt. Aber erklären kann er es nicht. Und beseitigen auch nicht. A.C.

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