Veronika beschließt zu sterben
nach Paulo Coelho
Theater Potsdam, Reithalle , 2007
In einer Bearbeitung/ Inszenierung von Hakon Hirzenberger
Dramaturgie: Michael Philipps; Regieassistenz: Carsten Kochan, Bärbel Lober; Bühne: Matthias Schaller, Kostüme: Doris Homolka; Musik: Wolfgang Peidelstein
mit: Nadine Schori, Jennipher Antoni, Rita Feldmeier, Sabine Scholze, Friederike Walke, Helmut G. Fritzsch, Moritz Führmann, Carsten Kochan, Uwe Eric Laufenberg, Philiipp Mauritz, Henrik Schubert
Ein Psychiater zum Irrewerden
Während Veronika mit ihrem Elend, kurzfristig weiterleben zu müssen, beschäftigt ist, trollen und kaspern um sie herum: die im liebenswerten Sinne verrückte Zedka, die prächtig ausgeflippt herumwuselt (Jennipher Antoni). Deren schweres Schicksal (im Buch) wird allerdings auf der Bühne nicht so recht deutlich und stellt sich vielmehr als mögliches Hirngespinst dar. Die ältere Mari (Rita Feldmeier), die wegen Panikattacken eingeliefert wurde und nun von Mann und Beruf isoliert ist, beschließt, freiwillig zu bleiben; wie alle anderen übrigens auch. Da die vier Männer ihr absonderliches Gebärden- und Mienenspiel doch so arg treiben, wird nicht so recht deutlich, dass sie ihre Tobsuchtsanfälle und Wahngespinste nur spielen, um der “Neuen” Angst einzujagen und sich mit einer Art Lausbubenspiele vergnüglich zu unterhalten. Auch das junge Publikum hat seine Freude an ihnen. Doch während die Irren toben, jagen und wüten, kämpft ein Arzt um das Leben seiner Patientin.
Ob “Drehbuch” oder Original, die Therapie dieses Arztes ist es wert, in die Lehrbücher für Analytiker und Therapeuten aller Richtungen aufgenommen zu werden; wie Laufenberg rundum warmherzig und besonnen über die Einsamkeit und Bitterkeit der Menschen reflektiert und den Ursachen sowohl medizinisch als auch psychologisch auf den tiefen Grund kommt, das zeigt auf eine besondere Begabung und ist messerscharf analysiert. Bei diesem Therapeuten möchte man gerne irre werden…
Indem er einen riskanten Versuch wagt und Veronika bestimmte Mittel spritzt, um sie zu schwächen und sie damit glauben zu lassen, dass ihr Leben bald beendet sei, vitalisiert er in dem jungen Mädchen bisher ungelebte Kräfte, lenkt ihren Lebensüberdruss und ihre Aggression gegen die Welt und die Langeweile nach und nach in neue, kreative Dimensionen. Sie lernt, die anderen “Verrückten” zu lieben. Durch ihr Klavierspiel lockert sie deren Verstarrungen und löst ihre seelischen Blockaden, vor allem die von Eduard (Moritz Führmann), der hier katatonisch-schizophren im Rollstuhl völlig unbeweglich und verrenkt gefangen ist. Dass er sich nach der befremdlichen Liebeserfahrung mit Veronika plötzlich beinahe wieder in einen gesunden jungen Mann verwandelt, drückt dem – übrigens auf wahren Erfahrungen des Autors ruhenden Roman – Schauspiel nun endgültig den Stempel der Absurdität zwischen realer und irrealer Welt auf.
Sie werden alle wieder nach draußen zurückkehren, obwohl ihnen dort kein Rosengarten versprochen ist, und die Gesellschaft innerhalb anderer Normen denkt und handelt als sie. Aber sie haben erfahren, dass es möglich ist, die Grenzen zu sprengen und in einem kleinen Paradies zu leben, das nur ihnen allein gehört- wenn sie seine Pforten gut verschließen! Sie haben erfahren, wie schwer und gefährlich es ist, einen eigenen Außenseiter-Weg zu gehen, sich der Routine nicht länger zu beugen, in einem “unangepassten” Verhalten sich selbst treu zu bleiben.
Es ist ein waghalsiges Unterfangen, diesen psychologisch komplexen (und vielleicht besten) Roman des brasilianischen Schriftstellers in ein Theaterstück zu verwandeln. Und so hat man auf die getreue Wiedergabe etwa der politischen Umstände in Slowenien, wo dieses Lebensdrama sich abspielt, verzichtet wie auch auf die genaue Ausleuchtung und Kennzeichnung der Anstaltsinsassen.
Aber, nimmt man diese Inszenierung als eine eigene Story, dann ist sie durchaus amüsant, wenn es um die skurrilen Verhaltensweisen geistesgestörter Menschen geht, rührend, wenn die einsamen und traurigen Charaktere sich als “unnormal” gebärden, ergreifend, wenn sich ihre Ausweglosigkeit darstellt, in der “realen Welt” zu leben – dann erlebt man durchaus einen guten Theaterabend! A.C.