Close Your Eyes, HB

Theater am Goetheplatz, Bremen, 2014

Tanztheater mit Gabrio Gabrielli,Ulrike Reinbott, Frederik Rohn, Lotte Rudhart, Antonio Stella, Andy Zondag

Choreografie Samir Akika, Bühne Till Botterweck,Musik jayrope, Stefan Kirchhoff, Licht Frédéric Dautier,Dramaturgie Gregor Runge,Ausstattungsassistenz Elena Ortega,Regiehospitanz Angela Kecinski, Abendspielleitung Alexandra Morales,Inspizienz Michael Mrukwa

Wenn Tänzer träumen…

Was geschieht mit uns, wenn wir die Augen schließen – sei es, um zu meditieren, in einen Schlaf zu fallen oder einem Wachtraum nachzuspüren… Bilder entstehen ohne Zweifel, zuweilen vage, verschwommen, zuweilen verwirrend und beängstigend, je nachdem, was sich in der Tiefe unseres Unterbewußten vergraben hat und sich jetzt – unkontrolliert durch unseren Verstand – Zugang an die Oberfläche eines nicht zu beinflussenden Erlebeniszustands emportsteigt. Der Choreograph Samir Akika, beheimatet zur Zeit im Theater am Goetheplatz, hat mit einer kleinen Compagnie einen Ablauf allerlei verwirrender Traumsequenzen erarbeitet, die gleichermaßen Visionen des Kinoerlebens einbeziehen sollen und so durch ein Dreierverhältnis zwischen Tanz, Leinwand und Traum eine neue Bilderwelt entfalten.

Dabei sind keinerlei Deutungen im Sinne Gustav Jungs gedacht, wenngleich auch durchaus Assoziationen zu archetypischen Verhaltensweisen des langsam bewußt in sein körperliches Dasein  eintretenden Menschen entstehen; denn die sechs Tänzer – weiß geschminkt und kalkfarben gekleidet -, die in künstlichen Bühnennebelschwaden ihre Körper wie Gliederpuppen zu ordnen versuchen und dabei die bizarresten Verrenkungen austarieren, sind vielleicht ja auch Wesen aus einer anderen Welt – eben aus der Traumwelt, aus einer fiktiven Realität, die mittlerweile ja auch fester Bestandteil vieler kineastischer Horrorgeschichten geworden ist.

Auf der teils vernebelten, teils klarsichtigen Bühne vor einem hellen Tuchvorhang, der sich später wellenmäßig über den dunklen mit Matrazen ausgelegten Boden ausbreiten und den Tänzern als weiteres Medium zum Verhüllen, Verstecken, zum einfallsreichen Spiel dienen wird, lassen sich anderthalb Stunden lang nun ebenso wilde, wie sanfte, beängstigende und behütende, verwirrende und verhüllende Szenen verfolgen. Mit faszinierender Eindringlichkeit – rasend, agressiv-verstörend, zuweilen humorvoll surreal  – fallen die Tänzerinnen und Tänzer im wahrsten Sinne des Wortes in mystische, ungeordnete Traumrätsel zwischen Wahn und Wahrheit. Ihr Verhalten ist ebenso irreal wie die Absurdität dieser Scheinwirklichkeit. Und zumeist werden alle Sequenzen von ungemeiner tonaler Intensität begleitet. Eine hammerharte, albtraumhafte Musik, die Syntheziser und vielerlei Schlaginstrumente virtuos im Stakkato fabrizieren, begleitet und untermalt die erdrückenden, ausweglos erscheinenden existenziellen Vernichtungsphantasien, gegendie  jegliches Sich-Aufbäumen der traumatisierten Menschen vergeblich zu sein scheint. Später wird – verblüffenderweise – diese Schreckensvision von einer lieblichen Violinsonate (aber das ist eine Ausnahme, die auch mehr ins abstrakt Lächerliche abgleitet ) für eine Szene lang abgelöst, in der eine Tänzerin in rüschiger Robe nur ihre Gesichtsmuskenl spielen läßt, als bewegtes Frage –  und Antwortspiel auf eine romantische Musik, die sie augenscheinlich! nicht favorisiert.

Was also träumen Tänzer – wie sieht ihre Wirklichkeit, wie sehen ihre Wünsche, Hoffnungen, Sehnsüchte jenseits ihrer Realität aus? Samir Akika sieht es wohl so: in einer fortwährenden, sich verzehrenden Bewegung, die sich verschlingt und erschöpft, die in ständig sich neu erfindenden Formen, in einer permanten Ekstase befindet, die nicht mehr vom Kopf gesteuert wird, sondern in der sich der Körper lange selbständig gemacht hat, bevor das Bewußtsein sich einschalten kann. Ver-rückt, zwanghaft, nutzlos, irrsinnig, zur permanenten Wiederholung verurteilt, wenn wir nicht zur wirklichen Ruhe in uns selbst finden.

Aber es gibt, ganz am Ende, auch eine wunderbare, verständliche und stark ergreifende Szene, in der Traum, Tanz und Illusion (denn nichts anderes ist ja Kino!) miteinander verschmelzen. Eine wunderbare Tänzerin, lebendig, liebend, glutvoll, versucht drei erstarrte Männer wieder zum Leben, zur Liebe, zu Zärtlichkeit und Wärme zu erwecken. Doch unaufhörlich rieselt der Schnee auf die vom fahlen Winterlicht nur schwach erhellte Bühne, gleiten die Männer nach einer kurzen Wiedererweckung in ihre Todesstarre zurück, lassen die Frau nach diesen anrührenden Paarformationen, die einer ja leider vergeblichen Wiederbelebung des klassischen Pas de Deux gleichen, wieder in ihre Einsamkeit zurückfallen, die sie wahnsinnig zu machen droht. Eine exzellente Darbietung, um deretwillen es sich vor allem lohnte, diese ungewöhnliche Aufführung zu erleben. A.C.

 

 

 

 

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