Herkules, OL

Georg Friedrich Händel (1658-1759)
Musikalisches Drama in drei Akten, Libretto: Thomas Broughton
In englischer Sprache mit deutschen Untertiteln
Staatstheater Oldenburg, 2014
Musikalische Leitung: Jörg Halubek/Thomas Bönisch, Inszenierung: Jürgen Weber, Bühne und Kostüme: Jürgen Weber, Video: Tristian Weber, Chor:Thomas Bönisch, Dramaturgie: Steffi Turre, Licht: Sofie Thyssen; Chor und Extrachor des Staatstheaters, Oldeburgisches Staatsorchester; Konzertmeisterin: Claudia Schmid-Heise/Seo Wan Choi
mit: Herkules: Peter Kellner/Tomasz Wija; Dejanira: Hagar Sharvit/Valda Sokolik; Iole: Nina Bernsteiner/Valda Vilson; Hyllus: Philipp Kapeller; Lichas: Yulia Sokolik/Hagar Sharvit; Nessos: Jacques Zamblé
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Wenn Liebe wie Feuer und Verrat brennt

Ein neuer Gedanke beflügelte Georg Friedrich Händel: Oper und Oratorium miteinander zu verbinden, dazwischen auch noch ein bißchen leichte wassermusikalische Kost – blitzschnell, in knapp einem Augustmonat im Jahr 1744, entstand Händels Werk “Herkules”. Doch das seelenvolle, dramatisch gleichsam klangüberschwellende Liebes- und Eifersuchtsdrama fand zunächst keinen Anklang beim englischen Publikum, weil es zu einer neuen, für damalige Hörgewohnheiten noch unbegreifbaren Klang und Spieldarstellung von freud- wie leidvollem Schicksal aus der Welt der Halbgötter und Menschheit erzählt, und der mahnend prophezeihende Chorgesang nun aus altertümlichem Sagenstoff gewoben war.
Nach klassischem Vorbild noch eng verbunden mit den alten Göttern und einer archaischen Heldenverehrung entstand ein bewegendes musikalisches Spiel in einer opulenten und beinahe modern beschwingten Bild- und Klangfolge. Die Liebenden, verstrickt in allzu menschliche Gefühle, getrieben von Liebe, Leidenschaft, Eifersucht und Rache, werden nicht Opfer der Götterwillkür, sondern – nach dem Vorbild der “Trachierinnen” von Sophokles und den “Metamorphosen” von Ovid – erliegen dem Wahn ihrer eigenen tragischen Blindheit.

Die ganz frische Oldenburger Inszenierung besticht durch eine außerordentliche sinnliche Leuchtkraft, ohne der barockeigenen überschwänglichen Sentimentalität zu folgen. Stattdessen halten akkurate Übereinstimmung von Bild und Ton, Bühnendramatik und Orchester einfühlsam Balance, diesmal unter der Regie von Thomas Bönisch. Wie selbstverständlich befinden sich die Musiker auf gleicher Bühnenebene und sind somit hör- und sichtbar in eine kurzweilig-amüsante Inszenierung eingebunden, in der die Harmonie der klangvollen, zum Teil auch mit historisch gestrichenem Bögen den schmeichelnden Farbenrausch der leuchtenden Rot- und dezenten Grüntöne der phantasievollen Kostüme aufnimmt; die funkelnden Beleuchtungseffekte verhüllen die weite Bühne bedeutungsvoll oder tauchen parzielle Abschnitte in warme Farben, während sich im Hintergrund ein rotes Dreieck leuchtend nach und nach zum Leinwand-Poster mit zuckenden Hollywood-Herkules-Helden und Heldinnen vergrößert – nach dem Motto: Herkules kann nicht sterben. Doch die Zeit verändert auch ihre Helden und unsere Vorstellung. Aus der statischen Präsentation unendlich lang sich wiederholenden Arien ist heute eine lebendige, auf Kurzweil bedachte Interpretation geworden; das Geschehen wird, natürlich weiterhin authentisch der kompositorischen Stringenz folgend, nun spielerisch ebenso lebendig wie eindringlich aus der festen Fassung einer vorwiegend auf den Gesang konzentrierten Darstellungweise heraushoben und, wie bei Shakespeares Othello, glutvoll und schmerzensreich beinahe wie im wirklichen Leben dramatisch ausgetragen.

Dem Mord aus Eifersucht am geliebten und verkannten Gatten folgt als zwingende, bittere Konsequenz die Selbstvernichtung: Herkules, der Superhero der Antike, der alles Unheil von den Menschen dank seiner halbgöttlich vererbten Kraft abwendet, ist mal wieder dabei, einen gefährlichen Feind zu bekämpfen, während seine Gattin Dejanira daheim verzagt und leidend auf ein Lebenszeichen wartet. Als der Kurier endlich von Herkules Rückkehr kündet, verwandelt sich Denjaniras Angst in glühende Leidenschaft, und das Volk gerät  in einen ekstatischen Freudentaumel. Ein wohlklingender, in vielen Nuancen changierender Doppelchor mit mahnender Gewichtung bereitet die Entwicklung der großen Oper vor. Intensiv erinnert die  Heldengattin  – an diesem Abend spiegelt die israelische Mezzosopranistin Hagar Shavit die innerliche Zerrissenheit in der leidenschaftlichen Sprache ihrer Seele – in ihrem wahnhaften Zweifel an der Treue ihres Mannes an die oft unheilbringende Unfähigkeit der Menschen, Gefühl und Verstand miteinander in Gleichklang zu bringen.

Eine ausgewogene, temporeiche Orchester- und Regieführung sowie köstliche bühnenbildnerische Bonbons versüßen die Aufführung: Da lodert auf dem historisch gestalteten granitgrauen Altar das    entfachte Freudenfeuer, das von den Priestern den Göttern als Opferkult für die glückliche Rückkehr des Helden, aber auch für Leben und Wärme Dank darbringt; da windet sich eine schmale Treppe an der dunklen Bühnenseite empor, auf der, zunächst noch nur in fahles Licht getaucht, die Prinzessin des besiegten Volkes schmachvoll verhüllt die fröhliche Festgesellschaft beobachtet. Das Licht taucht die prachtvollen Gewänder des Sängervolkes in verschwenderisches Leuchten und stellt so manchen Regieeinfall als karnevaleske Persiflage hervor ( wie etwa die roten Pompons auf den Schuhen der tapferen Krieger oder die vom zweiten Rang am Seil herabgleitende, schon arg gerupfte Brieftaube mit ihren handfesten Botschaften). Auch, dass sich der muntere, sonore und souveräne Heimkehrer und Held  Peter Kellner  in den Ruhestand verabschiedet und zur Beteuerung seiner künftigen Häuslich-und Friedfertigkeit alle Waffen niederlegt – eine monströse Keule, Pfeil und Bogen und Schild – und verkündet, was die Diktatorengattin Imelda Marcos in Teresia Walsers Komödie ( siehe Kritik “Ich bin wie Ihr, ich liebe Äpfel) Jahrtausende später empfand: “Der Tod gehört in die Oper” – ein herrlicher Gag.

Nur bedauerlich und tragisch natürlich, dass auch er, ein wunderbares Mannsbild von kräftig-herrschaftlicher Stimmgewalt es dabei nicht belassen kann, sondern eifersüchtig den seine Gattin umschmeichelnden Zentaur Nessos brutal niederschlagen muß. Der rächt sich bitterlich und verspricht Dejanira im letzten Atemzügen, wie sie die vermeintlich verlorene Liebe ihres Gatten zurückgewinnen kann: indem sie ihm sein, Nessos`, Hemd umlegt, das einen Liebeszauber enthalte. Gesagt, getan, es wird schon mal vorsorglich eine neue Hochzeit gefeiert und bejubelt – Geigen, Harfen, Soprane, alles verschmilzt in eitler Freude miteinander, doch oh weh, das Hemd enthält einen ganz anderen, einen tödlichen Zauber. Der Held muss jammervoll verbrennen. Was nun, der Chor weint, die Gattin ist verflucht und fällt dem Wahnsinn anheim, in den Tod getrieben von nur mit langen Bärten bedeckten   Schicksalsfurien. Die Zeit der göttlichen Helden ist vorbei, nun ist der Mensch auf sich selbst gestellt.

Aber vergessen wir nicht Oile, die schöne Prinzessin aus dem besiegten Land Oechalia, die – wir wissen es nicht recht, weil  das Stück um zwei Stunden eingestrichen ist – vielleicht in der Urfassung doch einen Anlass zu Dejaniras Eifersucht gegeben hat. Denn wie Nina Bernsteine hier so unbeschwert, so lässig leicht und souverän angesichts großer Koloraturanforderungen ihre ganz große Arie (nebenher hat ihr der Regisseur ein Mobile-Telefon verordnet, dessen Anrufe sie wie nebenbei noch erledigt – ein netter, wenn auch unnötiger Spaß) zelebriert, das hat Format.
Die Faszination dieses Werkes liegt, lange unbeachtet, in der Einheit von Musik und Poesie, die kunstvoll auf einander abgestimmt Oper und Oratorium, Lustspiel und Tragödie, Höhen und Tiefen des Lebens in einem bunten Spektakel zusammenfließen läßt. A.C.

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