Rigoletto, B

von Guiseppe Verdi- Oper in drei Akten
Libretto von Francesco Maria Piave nach dem Roman “Le Roi s’amuse” von Victor Hugo
Deutsche Textfassung von Bettina Bartz und Werner Hintze
Komische Oper Berlin, 2008/09
Musikalische Leitung: Patrick Lange, Inszenierung: Barrie Kosky; Bühnenbild und Kostüme: Alice Babidge, Dramaturgie: Ingo Gerlach; Chöre: Robert Heimann, Licht: Franck Evin
Herzog von Mantua: Hector Sandoval, Rigoletto: Bruno Caproni, Gilda: Julia Novikova; Sparafucile/Monterone: Dimitry Ivashchenko; Graf von Ceprano/Gerichtsdiener: Ingo Witzke; Gräfin von Ceprano/Maddalena/Giovanna/Page: Chrstiane Oertel; Marullo: Mirko Janisha; Borsa: Christoph Späth

Den Teufel mit dem Belzebub austreiben…

Das ist nun alles andere als eine komische Oper - die herzzerreißende Tragödie des missgestalteten Hofnarren und seiner Eigenliebe zu seiner bildschönen Tochter Gilda, die er in seinem Haus von der Bösartigkeit der Welt fernzuhalten versucht. Er selbst treibt am Hofe des Herzogs sein bitter-zynisches Spaß-Unwesen, wo er auf Kosten der Höflinge den Herzog zu erheitern bemüht ist. Er treibt den bösen Schabernack, zwar in seinem Auftrag seines Herrn, doch auch mit abgrundtiefem Hass gegen seine Umgebung, die ihn ob seiner verwachsenen Gestalt verhöhnt und verachtet, mit lustvoller Grausamkeit. Da schwören die Höflinge eines Tages Rache, und was eignete sich dazu besser, als ihm seine vermeintliche Geliebte zu rauben und sie dem erotisch heißhungrigen Herzog zuzuführen?
Und was eignete sich besser für diese furchtbare Farce, als die Inszenierung in einen zirzensischen Taumel zu versetzen, Kostüme und Masken aus dem Zirkus, vom Jahrmarkt zu holen, die äffisch-unmoralische Gesellschaft in die ihnen gemäße Kleidung zu stecken, ihr wahres Gesicht zu verbergen, sie das Elend der Wirklichkeit kaschieren zu lassen? Da hat Berry Kosky, wie er selbst sagt, mancherlei von dem großen italienischen Filmregisseur Frederico Fellini gelernt, der die Armseligkeit der Straße hinter der unendlich traurigen Lustigkeit der Clowns verbarg.
Gleich zu Beginn erscheint der hier durchaus stattliche Rigoletto – mit Bruno Caproni, ein wunderbar leidender, artikulierender, um die Liebe und um den Sinn seines Lebens ringender und volltönender Bariton – dem nicht so sehr das Wohl seiner Tochter, wohl aber die eigene Reputation am wehen Herzen liegt. Auch er ist letztlich ein durch das Leben lädierter und verdorbener Charakter. Unter seinem glitzernden weiten Reifrock kriechen sie nacheinander alle hervor, die Chargen, die vergewaltigten Frauen und gedemütigten Ehemänner, die Hofschranzen – eine verstörend bunt gewürfelte Karnevalsgesellschaft, die das höfische Treiben in ein höllisches Spektakel verwandelt. Und der Herzog, dieser Teufel in Gestalt eines Stimmhelden? Auch mit diesem Sänger hat die Inszenierung einen Glückstreffer erzielt: groß und stattlich, das schwarze Haar glatt und eitel zurückgeschniegelt, die Stimme mächtig und in scheinbar leichtester und vielfältiger Nuancierung ebenso verführerisch wie gebieterisch – ein Despot, der sich nimmt, was er will, der straft, wen er will, ein Mann jener Zeit ohne Moral, ohne Mitleid, mit schnell aufflackernder und ebenso rasch verglimmender Leidenschaft. Dieser Herzog von Hector Sandoval soll nicht sympathisch sein, und seine schier unfassbare Anziehungskraft, die er abwechselnd mit Brutalität und leiser Zärtlichkeit auf die Frauen ausübt und mit er auch das Herz der eben erst aufblühenden Gilda ( auch stimmlich erreicht Julia Novikova erst am Ende der Tragödie ihre Leidenskraft) erobert, ist wie ein unausweichlicher, tiefer Sog. Wer ihn in dieser Aufführung gehört hat, wird dieser Figur, die Verdi nicht ohne Grund derart musikalisch verwöhnt und ausschmückt, mit demselben Hass wie Rigoletto gegenüberstehen. Was für eine Ungeheuerlichkeit, gerade diesen Herzog mit einer der schönsten Melodien der Operngeschichte auszustatten, in der er die Verführungskünste der Frauen anzuprangern wagt (La Donna e mobile)! Das musikalische Leitthema als Gegensätzlichkeit zu allem, was wir in dieser Oper sehen, hören, erleben und durchleiden müssen – wie Gilda, wie Rigoletto, wie der ebenso um seine Ehre betrogene Graf von Ceprano (Ingo Witzke), dessen Gemahlin (Christiane Oertel auch als Maddalena und Giovanna) vor dem ganzen Hof entkleidet wird.
Und Rigoletto? Schmerzt sein Schicksal, verleitet er uns zu unsäglichem Mitgefühl, das wir einem so hart vom Schicksal gestraften Manne eigentlich zuwenden müssten? Gelten seine zärtlichen Liebesbeteuerungen wirklich der eingesperrten, später geschändeten und schwangeren Tochter, oder doch eher seinem Ego, seiner blinden Wut und dem verzweifelten Versuch, sich Würde und Ansehen zu verschaffen in einer Welt, in der er heimatlos, hilflos, ehrlos herumziehen muss. Seine Tochter ist für ihn nach dem Tod ihrer Mutter Aushängeschild, sein goldenes Pfand, seine einzige seelische Rettung gegen eine verrohte Welt. Nein, er rührt uns nicht – erst angesichts der sterbenden Gilda, die sich für den geliebten Herzog opferte, wird ihm sein Elend und seine wirkliche Mitschuld bewusst, mit der er alle ins Unglück stürzte.
Es ist eine Aufführung, ein Abend, den man so schnell nicht zu den Akten legt. Patrick Lange verleiht der vitalen, weithin sich verströmenden und in vielen Nuancen hauchzarten, erregenden und bewegenden Oper Verdis eine Präsenz, die sich unmittelbar und unzweifelhaft der menschlichen Finsternis zuwendet. Das Spiel in der Gasse kannte kein Pardon weder mit den Herrschenden und Mächtigen, noch mit ihren Vasallen und den Krüppeln des Lebens – als Spott und Spielball des Volkes eroberten sich diese Inhalte zunächst als pantomimische Darstellungen die Bühne, wo Rührseligkeit und Realität beißend auf die Spitze getrieben wurden. Der Schock feierte fröhliche Urständ. Für Franzosen und Italiener ein Spiel, mit dem sie umzugehen wussten. Für die deutsche Mentalität gerät die Wirkung zu sehr ins Wahrhaftige. A.C.

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