Untergang des Egoisten Johann Fatzer, B

von Bertold Brecht (Fragment)
Fassung Tom Kühnel/Jürgen Kuttner
Deutsches Theater Berlin
Spielleiter: Jürgen Kuttner, Johann Fatzer: Andreas Döhler, Koch: Bernd Stempel, Büsching: Alexander Khuon, Kaumann: Edgar Eckert, Therese Kaumann: Natali Seelig, Regie: Kühnel und Kuttner, Dramaturgie: Juliane Koepp, Live-Musik: Robert Lippok, Ronals Lippok, Sebastian Vogel, Video: Marlene Blumert, Licht: Ingo Greiserrnament und Verbrechen; Bühne: Jo Schramm, Kostüme: Daniela Selig

 Die unvollendete Utopie einer humanen Gesellschaft

Fatzer – was für ein Name! Er klingt wie Fetzen, zerfetzt, zerfasert. Und das ist dieser Mann, von Andreas Döhler mit selbstzerstörerischer Leidenschaft ins Spiel gebracht. Und das sind ebenso seine drei Kumpane, Deserteure alle  vier, von den Gräuel des 1. Weltkriegs zerrüttet, gebrochen, beinahe schon ausgelöscht. Doch der Hunger, der unbeschreibbare, nicht zu stillende Hunger nach „Fleisch“, also nach Menschlichkeit, Aussöhnung, Verständnis, treibt sie voran auf ihrer Flucht in eine innere Rebellion, weil eine äußere Revolution in dieser Welt und mit dieser Menschheit nicht möglich ist. Sie werden Zuflucht bei Therese, der Frau von Kaumann, finden, die, selbst in Einsamkeit und Vergessenheit darbend, ihren seelischen und geistigen Verfall nicht aufhalten kann.

Das Thema hat Bert Brecht gepackt, vier Jahre, von 1926-30, aber er hat es nicht in eine adäquate dramatische Form bringen können. Viele seiner auf 500 Seiten notierten Gedanken sind verworren, in ihrer dialektischer Kompliziertheit schwer verständlich, zumal sie in einer gleichfalls verwirrenden, von den Regisseuren Tom Kühnle und Jürgen Kuttner in neun Bilder gefassten Inszenierung im Bühnenturm des Kammersaals ohne Pause als Mitmachtheater arrangiert werden.

Die Zuschauer sitzen rundum, mal in einer einfachen Küche, oder hocken am Tresen einer Bierbude, dann lagern sie etwas unbequem auf einem Bett, sitzen auch vor einem Pagodengerust oder vor einem Fensterattrappe, die einen Teil der Tribüne abgrenzt. Eine Leinwand, die nach üblicher Art Standby-Aufnahmen aus dem Publikum oder die Mimik der Schauspieler in bereits vorgefertigten Szenen widergibt, verdeckt dann teilweise auch das dahinter sitzende Publikum an der Stirnseite der geschrumpften Kammerspiele.
Nicht jeder kann sich lange seines Sitzplatzes erfreuen, hin und wieder werden die Möbel als Requisiten für die verzweifelt nach politischer Orientierung suchenden Darsteller benötigt. Das Publikum fungiert als Chor und hat nach antiker Art seine Kommentare, seinen Beifall oder sein Missfallen nach der Anweisung Kuttners zu befolgen.  Das soll so sein, denn wer kennt schon Nietzsche oder Adorno so genau, wer kann dazu noch mit Marx dafür oder dagegen argumentieren; wer könnte sich gegen die gern zitierte Brecht`sche Erkenntnis „Erst kommt das Fressen und dann die Moral“ wenden, und wer darf nicht schmunzeln, wenn Revolution und Aufstand gut sind aus der Sicht der Intellektuellen, aber der einfache Mann „nicht mit leerem Magen“ in den Kampf ziehen möchte. Das soll aufmuntern und anspornen, das Spiel der Flüchtigen zu begleiten, trägt aber zum Verständnis nur wenig bei. Denn die Schwierigkeit liegt ja nicht nur in der fehlenden künstlerischen Ausformung durch den Verfasser, sondern auch in der üblichen Übertreibung vieler neuer Dramatisierungsmethoden: man bedient sich eines zusätzlichen Mikrofons, um vielleicht das Spiel im Spiel zu verdeutlichen, verliert dabei aber – zumal wenn ein Theater über so temperamentvolle Schauspieler wie hier verfügt – an Brisanz und die wahrscheinlich lehrreichen Sätze arten zu unverständlichen Brülltiraden aus. Wer  behält da noch die Übersicht? Die nach Orientierung suchenden Revolutionäre ermahnen einander: „Unsere Sache muss genau geordnet sein“. Aber sie werden sich in ihrer Uneinigkeit einem tödlichen Defaitismus nähern, so wie Fazer vor dem Tode ihnen voraussagt: Nunmehr wird es in Eurer Welt keinen Sieger mehr geben, sondern nur noch Besiegte.

Die Deserteure der Gesellschaft können ihre Bedürfnisse, ihre Vorstellungen einer Nach-Revolutionierten Welt nicht miteinander in Einklang bringen, zu  verschieden sind ihre Vorstellungen, ihre intellektuellen Ansätze, ihre Bedürfnisse – und zu defaitistisch ist die Grundeinstellung Brechtscher Überlegungen, der die grundtiefe Depression nach dem ersten Weltkrieg intensiv erlebte und an der Ausweglosigkeit menschlicher Unfähigkeit, das Paradies zu erschaffen, wohl auch bei diesem Stück und mit ihm scheiterte. Ob man es besser in der Versenkung  gelassen hätte, wäre zu diskutieren. Der Brecht-Verehrer Heiner Müller jedenfalls befand, dass dies Dilemma unauflösbar sei. „Brecht zu gebrauchen, ohne ihn zu kritisieren, sei Verrat“ – am Marxismus, Leninismus, an der Utopie einer proletarischen Weltordnung.

Was immer man aus der Schlammschlacht dieser bühnen-unreifen Wortgefechte mitnehmen konnte, war in jedem Fall die überzeugende Intensität der Schauspieler, die sich schweißtreibend abrackerten, irgendwo Brecht nahezukommen. Ob als Lehrstück, als philosophischer Disput, ob als proletarische Version eines zum Scheitern verurteilten Humanismus  – Denkangebote in bewährter eindeutig-zweideutiger Erkenntnis ganz nach Bert Brecht gab es reichlich. Sie wurden von Andreas Döhler als Johann Fatzer mit gnadenloser körperlichen und sprachlicher Eindringlichkeit dargestellt, von Bernd Stempel als „Koch“ bieder-kühl und dogmatisch-engstirnig in die Absurdität des Banalen geführt, von Alexander Khuon als  kühler Pragmatike r„Büsching“ konsequent bis zur Liquidierung des Aufmüpfigen und Eigensinnigen durchgesetzt, von Edgard Eckert als  emotional verunsichert er „Kaumann“, zugleich visionär und reaktionär als treuer Gefolgsmann dargestellt, aber auch als Abweichler, der sich in die Wärme der Weiblichkeit flüchtet. Diese ist nun auch ziemlich ambivalent zwischen den revolutionären Verführungsangeboten sowie den eigenen sexuellen Bedürfnissen, und Natali Seelig kann als Therese ein schillerndes Kaleidoskop ihrer wechselnden Orientierung bieten.

Alle Fünf stecken in silbernen Astronautenanzügen, was nicht so recht Sinn macht, es sei denn, man versinnbildlicht eine futuristische Vision einer humanen Menschheit. Kuttner als Dirigent des Ablaufs wird zuweilen von dem stürmischen Einsatz seiner Schauspieler überrannt, was aber niemanden wirklich stört, da ohnehin alles ein bisschen aus den Fugen gerät. Zuweilen werden die Zuschauer nichtsahnend in stummen Statistenrollen mit auf die Bühne gezogen, während die Schauspieler im Off am Mikro ihre Rollen sprechen. Auf einem Podest thront über allem ein Musikerduo mit kräftigem Schlagwerk, nennt sich „Ornament und  Verbrechen“, was sich ins verworren mystische Geschehen nahtlos einfügt.

Und zu allem schweigt der Mann, der uns aus der Hilflosigkeit führen könnte, ein wenig gönnerhaft – in faszinierend stummer Teilnahme thront er auf der Bank in Gips gegossen: der Dichter und Autor überlebensgroß. A.C.

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