La Bettleropera, B

Ein Großstadtcomic nach John Gay ’s »The Beggar’s Opera«
Musik, Lyrics: Moritz Eggert.
Von Balletto Civile (I), Neuköllner Oper und Freiraum Syndikat
Uraufführung 19. Oktober 2017. Bis 19. November

Berlin, Neuköllner Oper, 2017

Regie/Choreographie: Michela Lucenti | Dramaturgie: Bernhard Glocksin / Bühne: Sabrina Rossetto | Kostüm: Rebekka Dornhege Reyes
Mit: Maurizio Camilli, Ambra Chiarello, Christopher „Crsto“ Ciraulo, Sophia Euskirchen, Nicole Kehrberger, Jörn Linnenbröker, Michela Lucenti, Emanuela Serra Demian Troiano, Emilio Vacca sowie Danilo Andres Sepulveda Cofre, Thora Hohberg, Christian Schaaf, Ini Dill, Rafeu Ahmed, Ada Sternberg

Turbulenzen in der Ganovenwelt

Das Ensemble ist bunt gemischt: temperamentvolle italienische Tänzerinnen und Tänzer und Sängerinnen und Sänger werfen sich mit ihren deutschen Kollegen die Spielbälle in buntem Sprachengemisch zu und blinkern wie die Lichteffekte auf den Glitzerkostümen der spärlich bekleideten Freudenmädchen, die allesamt, jung und alt, Töchter wie Mütter in den Helden Macheath verliebt sind. Der König der Unterwelt, leider auch bitterarm und daher nun nicht mehr in der Lage, die Oberen zu bestechen, ist dann auch der einzige in der Bettler- und Räuberbranche, der sich einer gewählten Sprache und eines vornehmen Habitus bedienen darf. Köstlich spielt dieser Bursche die ihn verfolgenden Damen und Herren gegeneinander aus, überlegen ist er all dem kleinlichen, unehrenhaften Gesindel, das ihm -verständlicherweise – an die Kragen will. Leider kann er den Intrigen seiner mächtigen Widersacher, dem windigen Polizeichef Lockit und dem “ehrenhaften” Mr.Peachum, dem mächtigen Chef der Bettlergarde, nicht entkommen. Aber was ist schlimmer – der Galgen oder die ihn schier zerreißenden Bräute, die nun vor seiner Zelle wild kreischend und raufend die Ehe von dem Don Juan der Unterwelt einfordern? Angesichts dieses Desasters und einem leeren Geldbeutel und damit auch der drohenden Vergeltung seiner engsten Ganovenfreunde, entscheidet er sich dann doch lieber für ein sanftes, schnelles Ende. Eine akrobatische Erinnye schlängelt sich über seinem Kopf am Seil empor, schlingt sich einen glühend roten Schal um den Körper, und zack, zieht sie die Schlinge zu. Alles jault noch einmal auf, und die schwarze Schicksalsgöttin verkündet noch schnell eine kluge, schmerzliche Bilanz ob der verkommenen Gesellschaftsmoral.

Tanz in der Oper, besser im Musikcal mit opernhaften Anklängen, ist nicht neu – , dass es sich in dieser Version allerdings vorwiegend um getanzte Bordellszenen handelt, allerdings schon, sieht man einmal von Calisto Bieixtos Inszenierungen ab, die noch vor einem Jahrzehnt an der Oper in Berlin arges Missfallen erregten. Heute sind entkleidete Körper im Spielgeschehen selbstverständlich, um deutlich zu machen, dass Theater eine Sache von Körper und Seele ist, das der geschundene Leib auch eine zerbrochene Psyche verantwortet, und dass sich selbst in einer Welt, die fernab aller Bürgerlichkeit um das nackte Überleben kämpft, auch im extrem brutalen Miteinander so etwas wie Solidarität und   Clanzugehörigkeit entwickelt und praktiziert wird. Doch wehe, es bricht jemand aus dem eigenen Lager aus, verletzt den Ganovenkodex: Dann erfolgt die Rache schnell und tödlich.

Die italienische Compagnie präsentiert mit ihren deutschen Kollegen und dem hervorragend besetzten Musikensemble “Freiraum Syndikat”  eine gut gemischte Gemeinschaftsleistung, vor allem aber zeigt sie uns eine temperamentvolle moderne Variante der comedia dell’ arte. Denn nichts ist wirklich so richtig ernstzunehmen. Weder die Raufereien, noch die MIßhandlungen, noch die Liebesschwüre- die schon gar nicht. Und was 1728 bei der ersten Bettleroper galt, nämlich in unverhohlener Form die Londoner Gesellschaft aus der Sicht der Verbrecherwelt zu demaskieren, Hofschranzen, Korruption, Doppelmoral und kriminelle Energien schonungslos auszuleuchten, birgt, wie man weiß, auch heute noch absolute Brisanz in immer wieder neuer Aktualität: sei es Steuerbetrug, Bestechung in feinster Form, Mißachtung jeglicher Gesetze und moralischer Konventionen, Ausbeutung und Umweltzerstörung…. Die Liste ist bekannt und ziemlich  lang.

Die Moral von Geschicht’ ist seit eh und je wohl klar: Wenn ein jeder nur an sich, An Gewinnmaximierung und Lustoptimierung denkt und mit Ellenbogengewalt seinen Nächsten niederstreckt, so ist es wohl um die Menschheit geschehen. Und nach Bert Brecht ohnehin: ” Erst kommt das Fressen, und dann die Moral”. Aber vielleicht gibt es ja noch Hoffnung – durch die Liebe, die wirkliche, Selbstverzicht übende, große, verzeihende Liebe.

 

 

 

 

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