Michael Kohlhaas, OL

nach der Novelle von Heinrich von Kleist,
Fassung von Karsten Dahlem und Marc-Oliver Krampe, Komposition von Hajo Wiesemann;
Oldenburgisches Staatstheater 2017/2018
Regie: Karsten Dahlem, Bühne/Kostüme Inga Timm, Dramaturgie Marc Oliver Krampe, Licht Steff Flächsenhaar, Theaterpädagogik Sandra Rasch
mit Klaas Schramm als Michael Kohlhaas, zerrieben zwischen den Mahlsteinen Recht und Unrecht : M, Rebecca Seidel, zart und willenstark als seine Ehefrau Lisbeth, Fabian Felix Dott als Opfer feudaler Gewalt Herse, Nientje Schwabe als durchtriebender Junker Tronka und als streng gerechter Luther, Jan Breustaedt und Rajko Geith als gewissenlose Tronka- Vettern sowie eine tolle Band mit Michael Bohn, Michael Haupt, Martin Flindt und Jan-Olaf Rodt, Christian Schoenefeld und Hannes Clauss.

Der zeitlose Kampf gegen Unrecht und Willkür

Der Effekt ist nicht schlecht: zwei schwere große Pappgäule klatschen miteinander verbunden vom Bühnenhimmel auf den Boden. Das sind sie, die einst kostbaren Streitrösser des Anstoßes, die der mächtige Tronka mit vorgetäsuchter Vollmacht dem bis dahin unbeschadeten und gut beleumdeten Pferdehändeler Kohlhaas abnimmt, sie zur Feldarbeit  mißbraucht, den Stallknecht des Kohlhaas’ ebenso brutal mißhandelt und mit allerlei Tricks und Winkelzügen Michael Kohlhaas um Ehre, Verstand und alles bringt, was ihm gut und teuer ist. Aber auch er wie seine korrupten Vettern und alle Vertreter der auf ihren Vorteil und ihreVormachtsstellung bedachten Adesvertreter werden tüchtig büßen – nur: Mord und Brandschatzung sind mit dem Tode zu bestrafen – einen Roßhändler um seine Pferde zu betrügen, ist dagegen eine gänzlich andere Sache. Und zwischendrin noch die latent schwelende Animosität zwischen den Kurfürsten des für Kleist wie für Kohlhaas heimischen Brandenburgs und dem  benachbarten, üppig und prahlerisch lebenden, sich selbst genügenden Sachsen. Zündstoff und -schnüre an allen Enden und Ecken.

Sowohl in der historischen Vorlage (Um 1532 geriet der Kaufmann Hans Kohlhase aus Cölln (Neukölln/Berlin) in die Fänge eines Landjunkers, der ihm zwei seiner kostbaren Pferde abnahm, die er auf der Leipziger Messe verkaufen wollte) als auch in der anspruchsvoll und poetisch umgesetzen Novelle des Heinrich von Kleist und nun auch in dieser überaus ansprechenden Inszenierung ist alles enthalten, was die Theaterprädogogik braucht – und alle, die nach mehr Bildung rufen, dürften eigentlich mit dieser anschaulichen Revitalisierung eines menschlich wie historisch scharf umrissenen Dramas   rundherum zufrieden sein.

Denn hier ist alles enthalten: Geschichte, Politik in verschiedenen Epochen, Entwicklung des Preußentums, die Sozial- und Rechtsgeschichte der verschiedenen Epochen und die – last not least – umgreifende, ungeheure Veränderung, die Martin Luther, streitbar, wortmächtig, ehrbar und unerbittlich in seinen moralischen und religiösen Anforderungen an Kirche und Gesellschaft stellte. Auch die Freiheit eines Christenmenschen setze für ihn Grenzen, und die eigenmächtige Fehde, die im ausgehenden Mittelalter jedem Menschen das Recht zugesprochen hatte, sich den an ihm vergangenen Unrecht eigenmächtig zur Wehr zu setzen, war mit der Macht der Feudalherren schon bald wieder aufgehoben, als Michael Kpohlhaaa in blind-verzweifelter Wut in seine  mörderische Rache fiel, um das an ihm und seiner Familie begangene Unrecht rücksichtslos zu rächen.

Die beiden Autoren Dahlem und Krampe haben die verschlungene Erzählung stark verschlankt und relativ eingängig und logisch aufgearbeitet, wenn auch – eine Krankheit des modernen Theaters – der Text immer viel zu schnell gesprochen wird. Aber abgesehen davon zeigt das mitreißende Ensemble eine kurzweilige, spannende,ergreifend gespielte Fassung, eher als Performance als im klassischen Sinne. Es wird erzählt und getanzt, das Erzählte wird spielerische umgesetzt und gewinnt dabei an Kraft und Dynamik – was eben noch Geschichte war, wird jetzt zur erlebten Darstellung, wobei die harten Rhythmen der Band zweierlich provozieren: den degenertierten Adel in seiner dümmlichen Erbärmlichkeit vorzuführen. Prächtig vulgär schwoijen und umrappen die beiden Tronka-Vettern – Jan Breustedt und Gajko Geithin als Hinz und Kunz – mit hinterhältiger Abgefeimtheit den zunächst noch   völlig verwirrten Roßhändler, der ob der ihm unbekannten Passierscheinverordnung freundlich hilflos um Aufschub der Zahlung bitttet bis er vom Markthandel zurückgekehrt ist. Junker Wenzel von Tronka, der dem ehrenwerten Vater kein gleichwertiger Erbe zu sein scheint, wird von Nientje C. Schwabe mit so viel listiger Härte gespielt, dass man bereit ist, ihr den Feudalherrn ohne weiteres abzunehmen, wie sie später auch in der Video- Großaufnahme als Martin Luther den Kriegsanführer Kohlhass schwer ins Gebet nimmt. Das ist sehr eindrucksvoll, und zeigt das von dieser jugnen Dame noch einiges mehr zu erwarten ist.

Der Pferdehändler Michael Kohlhaas ist nicht eindeutig als Sympathiefigur bei Kleist angelegt: er ist ein um sein Recht zunächst fair, geduldig und klug kämpfender Mann, der – durch verschiedene Schicksalschläge – dann in Wut und Rage gerät, und mit Hilfe einer Truppe von Landsknechten gegen das Unrecht mit Schwert und Feuer aufbegehrt. Für Klaas Schramm als Kohlhaas aber bleibt die Sympathie durchweg erhalten – dazu ist er einfach zu liebens-und glaubwürdig in seiner Gerechtigkeit und Hilfsbereitschaft gegenüber seinen Nachbarn, Freunden, seinem Gesinde; seiner großen Liebe zu seiner Frau, die für ihn als Bittstellerin zum Landratsamt geht, von den Schergen jedoch brutal  abgewehrt und tödlich verletzt wird. Und dann gerät ihr Mann in Panik, sieht Rot und greift zur Selbsthilfe, die jetzt Landfriedensbruch heißt.

Das Leid steht diesem Kohlhaas ins blasse Gesicht geschrieben wie auch seine Verzeiflung darüber, dass seine mordlüsternen Landsknechte sich verselbständigen und ihm die weitere nicht gewollte Verantwortung aufgebürdet haben. Dieser schwer gezeichnete Mensch Michael Kohlhaas erhält von Klaas Schramm die Persönlichkeit eines bis zum Äußersten gereizten, schwer verwundeten Wolfs, der ums Überleben kämpft. Denn als sich das ganze politische Knäul, alle Intrigen und Machenschaften entwirrt haben, und der Kurfürst  von Brandenburg ihm endlich sein Recht zuspricht, ihn allerdings zugleich aber auch als vielfachen Gesetzesbrecher und Mörder abstraft und er dennoch die letzte (märchenhaft frei erfundene) Möglichkeit hat, sich freizukaufen mit einem seltsamen Wink des Schicksals, da nimmt er, längst seelisch geschlagen wie geläutert, die Strafe an und vernichtet das letzte Überlebens-Pfand.

Im historischen Fall gab es diesen Einschub nicht. Doch wurden die Söhne des 1540 in Berlin hingericheten Hans Kohlhase zu Rittern geschlagen. Die Politik zwischen Brandenburg und Sachsen war nie einer Freundschaft gleichzusetzen, und 200 Jahre später wurde der preußische junge Friedrich gar ein willkürliches Opfer des sächsischen Lebemannes August. Für Heinrich von Kleist, der jung seinem Leben gemeinsam mit seiner Cousine Henriette ein Ende setzte, war Michael Kohlhaas, wie er ihn zeichnete, ihm in vielen Gedanken und Emotionen ähnlich, war dieses verbissene Ringen um Recht und Gerechtigkeit sein eigenes, unerfüllbares Anliegen, wie wir es aus all seinen Dramen kennen. Es geht ihm immer um Ehre und Menschenwürde, um kluge Entscheidungen, auch, wenn es sein muß, wider alle Vorschriften und Gebote, es geht vor allem um eines – um Freiheit, wie die französische Revolution sie verheißten hatte. A.C.

 

 

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