Eine griechische Trilogie, B

von Simon Stone – Uraufführung

im Berliner Ensemble, 2018, B

Regie: Simon Stone. Bühne: Bob Cousins, Kostüme: Natasha Jenkins, Musik: Mark Bradshaw, Licht: Ulrich Eh, Dramaturgie: Sabrina Zwach
mit: Caroline Peters, Judith Engel, Carina Zichner, Kathrin Wehlisch, Stefanie Reinsberger, Constanze Becker, Andreas Döhler, Peter Luppa, Martin Wuttke, Tilo Nest, Samuel Schneider, Aljoscha Stadelmann,

Frauen in

Der Schlüssel steckt im ersten Bild: sechs Frauen auf einer sanft vernebelten Bühne, die irgendwie zusammengehören: Da ist hypercoole Frau, Ärztin, Mutter einer willlosen, sich permanent mißbraucht   fühlenden Tochter, deren konfliktgeladene Beziehung rasch aufzeigt, dass Witz und weibliche Solidarität ihre Grenzen haben. Aber auch die anderen Frauen, deren Leben und Schicksale irgendwie alle miteinander verknüpft sind, und die allesamt in eine  öku-vegane , allerlei Probleme  mit- und nach sich ziehende Kommune vor ihren gewalttätigen Männern geflüchtet sind, tragen schwer an psychischen und physischen Wunden, vermeintlicher Schuld und wütender Rache. Eine Frauengemeinschaft, die sich außerhalb der Gesellschaft in behutsam verhaltener Agressivität ein anderes Leben aufbauen will und doch auch hier von seelenlosen Mit-Menschen ebenso gequält wird wie zuvor von ihren nun  hilfslosen Männern, die sie eines Tages in ihrem Versteck aufstöbern, um sie um Vergebung zu bitten – scheinbar.

Das pervertierte Über-Ich der Machos

Was haben diese Frauen ertragen müssen! Das wird nun zurückspulend in einzelnen Bildern gegenwärtig: ein Leben so voller Widerlichkeit und Demütigungen in vielerlei Facetten, dass sich Sympathie mit den bis in den Wahnsinn drangsalierten Frauen einstellt, als sie zur letzten Notwehr greifen – wie beispielsweise Inge (Constanze Ecker), die sich gegen die Schläge, Vergewaltigungen und seelische Folter ihres sadistischen Mannes mit einem Messerangriff wehrt, was ihn fortan, immer noch uneinsichtig und widerlich fluchend auf seine Frau, an den Rollstuhl fesselt. Und die anderen Ehe-Männer? Da ist der Arzt, der seine Macht und seine Männlichkeit benutzte, um Frauen seine Gene einzupflanzen, von Martin Wuttke in allen Variationen eines wahnsinnig-teuflischen Ekels gespielt, den seine schöne blonde Frau (souverän in Sprache und Darstellung Caroline Peters als Gast) am Ende als klapprigen Greis von der Schaufläche führt – sie spielt auch die tat- und schlagfertige Mutter, die in die  Kommune der Tochter einzieht und deren taffer Erstauftritt kaum ahnen läßt, wie ihr Leid an der Seite dieses Unmenschen wirklich ausgesehen hat. Da sind sie alle, die Ich-pervertierten Machos – der erotomanische Kriminalbeamte, der Sexshop-Freak, der gescheitere Bankmann, alle krankhaft in ihrer Über-Ich-Rolle, hinter der sie ihr abgrundtiefes Minderwertgkeitsgefühl nur schlecht verbergen können und die nun – nachdem ihre Opfer, ihre Frauen, sie verlassen haben –  als elende Jammermännchen ins Nichts fallen.

Also ziehen sie aus, ihre Frauen zu suchen, um um Vergebung zu bitten, doch wohl eher, um ihr altes Spiel wieder aufzunehmen. Aber da sind Zeus und allerlei andere antiken Götter vor – wenn man dem Autor des Stückes denn überhaupt diesen Vergleich mit antiken Dramen wie “Lysystrata”, “Die Troerinnen” und “Die Bakchen” abnehmen wollte: Die in Furien verwandelten Frauen der Jetztzeit werden nicht in ihre Elendsquartiere zurückkehren, die ja nun bis zur Erschöpfung (des Zuschauers) in allen der Realtität entnommenen Gräuel ausgeleuchtet werden. Sie werden die Männer vernichten, und das nicht gerade zimperlich.

Wie im wirklichen Leben

Hier wird schreckensvolle, in beinahe täglichen Artikeln und Bildern vorgeführte Grausamkeit nicht gespielt, sondern in der Brutalität des Sujets aufgelistet – allein rechtfertigt das den Anspruch des Theaters? Ist das verzerrte Wirklichkeit oder als Theater getarntes, gut ausbalanciertes Effektbombardement auf die nachlässige Akzeptanz allen seelischen und körperlichen Terrors in unserer Welt?  Sind Kriege Eroberungen, grausamste, unvorstellbar  wütende  männliche  Machtsucht und gnadenlose  Vernichtung aller schwächeren Kreaturen, sind sie permanente   Wiedergeburt und niemals wirklich beseitigte  Vernichtungslust und Eroberungsgier  der Menschheit? Haben die Jahrhunderte nach der vorgegebenen Widerstandskraft der antiken “Heldinnen” versagt, das weiterzuleben, was Aristophanes und Euripides ihrem Publikum in dramatischen Versen vortrugen – die Befreiung der Schwachen von der Übermacht der dominierten Männerherrschaft? Wurde Frauen danach das Leben leichter gemacht, verzichtete irgendeine Gesellschaft seither auf Krieg, Mord und Vergeltung? Wurde die Dominanz der Gewalttätigkeit je beseitigt?

Mitnichten. Und so ist diese Metapher denn auch ziemlich nutzlos und dient höchstens dazu, überbordendes Schauspiel auf die Bühne zu heben und klassische große Dramen als Gedankenspiel in prekäres Gegenwartsmillieu zu versetzen! Wozu dann der intellektuelle Ausflug in die Antike? Um ins Bewusstsein zu hämmern, dass es  schon immer Grausamkeiten aller Art gab, als die Menschen nicht mehr nur töteten, um zu überleben, sondern um ihresgleichen zu beherrschen. Und die klassische Tragödie diente nur sich selbst, der beeindruckenden Vorführung immenser Schlachten und Schicksale und dem Wechselspiel der Götter, und sie bediente sich auch, und weil das so wirksam war, dem Aufstand und dem Widerstand der gedemütigten Frauen als Mahnung, es doch bitte mit den Kriegen nicht so zu übertreiben – sonst drohte doch der Männerwelt tatsächlich Liebesentzug und vielleicht auch im Blutrausch der Rächerinnen der Tod? Nein, das hat nichts mit Frauenbewegung und Widerstand gegen Zwänge und Unterdrückung neuerer Zeiten zu tun, das war ungleich gewaltigere Dichter- und Bühnenkunst als sie hier von einem Autor und einem Regieteam angeboten wird, allerdings zu reinem Selbstzweck.

Selbstmitleid als Bremse

Was wir hier erfahren können: Offensichtlich scheint die Duldungsamkeit  einer Frau unendlich größer zu sein als die eines Mannes, die Toleranz ebenfalls, aber das Selbstmitleid als Bremse zur offenen Rebellion scheint genauso ausgeprägt wie die Akzeptanz der körperlichen Unterlegenheit. Alte gesellschaftliche Doktrinen und Maßstäbe, hierarchisch vorgefertige und psychologisch gefestigte Mechanismen bestimmten und bestimmen  noch immer, wenn auch nicht in unserer Kultur, doch in der der Menschen nebenan, die Leidensfähigkeit der Frau. Verfügt sie heute nicht über andere, wirksamere  Waffen als in Vorzeiten? Gibt es keine Alternative zu  Mord und totaler Ausrottung alter Kulturen im 21. Jahrhundert? Die Inszenierung kennt darauf, so scheint es, keine alternative Antwort, auch nicht zur Dramaturgie des Theaters.

Die Revolution im antiken Drama soll ein Aufruf, ein Appell  an die eigenen Möglichkeiten des Widerstands sein, an den Stolz, an die Eigenliebe und den Selbsterhaltungtrieb der Gesellschaft. Aber wann wehrt sich der Mensch? Mann und Frau gingen als Sklaven erst durch viele Täler des Leidens, und wann wehrte sich das jüdische Volk, und warum erst nach so furchtbaren Zeiten der Grausamkeiten? Und ist nicht die Gesellschaft noch immer auch bei uns voller Angst und Vorurteile gegenüber dem Andersartigen, dem Neuen, Unbekannten, den Fremden? Wo bleiben Scham und Reue, Altruismus, Mitleid, Mitgefühl?

Es gibt Aufarbeitungen für das Theater mit Stücken, die sich diesem Thema in faszinierender, theatergerechten Form, nämlich in der Übertragung und Verfremdung stellen. Man sollte nach ihnen suchen.

A.C.

 

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