Orpheus in der Unterwelt, OL

Operette von Jaques Offenbach, Libretto Héctor Crémieux und Ludwig Halévy
Deutsche Bearbeitung Felix Schrödinger
Uraufführung am 21. Oktober 1858 in Paris
Staatstheater Oldenburg, 2018

Musikalische Leitung: Carlos Vázquez, Oldenburgisches Staatsorchesster, Inszenierung: Felix Schrödinger, Dramaturgie: Christina Schmidl, Bühne und Kostümer: Josefine Smid, Choreografie: Yoko El Edrisi , Einstudierung Opernchor: Markus Popp, Licht: Arne Wadl, Statisterie des Oldenburgischen Staatstheaters

Darsteller
Orpheus: Timo Schnabel, Eurydike (musikalisch): Elvira Hasanagic, Eurydike (szenisch): Felix Schrödinger, Die öffentliche Meinung: Melanie Lang, Pluto (Aristeus): KS Paul Brady, Jupiter: Jason KIm, Junio: Sharon Starkmann, Cupido: Hagar Sharvit, Venus: Tomasz Kiichli, Minerva: Gitta Pamin-Jensen, Merkur: Sandro Monti, Bacchus: Stephen Forster, Hans Styx: Stefan Vitu

Langeweile im Olymp – Party im Hades

Diese Aufführung ist ein Heidenspaß, und es gab gar nicht wenige Zuschauer, die an diesem Abend Schrödinger dank seiner kongruenten Lippenbewegung und Spielakrobatik gar im Verdacht hatten, auch noch mit einem  brillianten Sopran spielfreudig zu punkten. Doch das wäre dann des Guten zuviel gewesen. Es amüsierte auch so, Schrödingers karikierendes Getue der zickigen Diva zu verfolgen, die ihrem Gatten in hysterischen Szenen alle Würde nimmt, indem sie sein “unerträgliches Geigensspiel” verächtlich abwehrt. Dabei ist Timo Schnabel als Orpheus ein reizvoller Abgleich zu den Stargeigern unserer Tage wie André Rieu und David Garrett und erfüllt die vornehmste Operrettenaufgabe, zeitgenössische Figuren in ihren Attitüden in der Inszenierung  zu spiegeln. Aber seine furiose Eurydike erliegt auch zugleich turteltäubchenweich dem Charme des schmeichelnden Schafhirten Aristeus, der nach Art der höfischen Schäferspielchen der Schönen verwirrend lächerliche Avancen macht. Dabei weidet er seine Schafe ohnehin nicht auf grünen Auen, sondern im dunklen Hades, wo er bekanntlich als Pluto herrscht, und wohin der betrogene Orpheus seine Gattin zornbebend wünscht, was sich recht bald erfüllen soll. Denn Aristeus entfaltet seine wahre Natur schnell als gerissener Höllenherrscher und verschleppt die zunächst noch recht fügsame und erwartungfrohe Eurydike just dahin. Orpheus wirft nach Künstlerart freudig die lange blonde Mähne zurück und freut sich auf eine glanzvolle Karriere ohne die Xantippe.

Doch weit gefehlt. Offenbach hat gewußt, was er dem Genre schuldig ist und rasch eine  Bremse eingebaut: denn stets war es schon immer “die öffentliche Meinung”, die Gesellschaft, die den Schein zu wahren wußte, um hinter der vornehmen Fassade allen Freuden des Lebens zuzusprechen. Und hier steht in der Gestalt der unbeirrbaren Meinung die unbezwingbare Melanie Lang, die die Fesseln des “Guten Rufes” fest um Orpheus schlingt. Ab in die Unterwelt und das ungetreue Weib zurückholen – sonst droht, wie die zahlreichen per SMS und Facebook medial geposteten Schreie der Fans an den Bühnenwänden verkünden, die Vernichtung der Künstlerkarriere Orpheus’, der sogar des Mordes an der Frau verdächtigt wird. War es in früheren Zeiten wie im Paris des vorigen Jahrhunderts die Mund-zu-Mund-Propaganda, das geflüsterte Gerücht in den Salons wie auf der Straße, das schon der geniale Maler und Jurist Henry Daumier so garstig karikierte, so sind es heute die medialen Möglichkeiten, mit denen sich blitzschnell urteilen und verurteilen läßt, Mutmaßungen und Meinungen grassieren, die kaum mehr zu revidieren sind.

Mit ungekünstelter Frische schwelgt hinter dem Gazevorhang das Orchester in schönsten lyrisch zitternden und operngerecht dramatisch aufgewühlten Passagen, die von Zeit zu Zeit und Szene für Szene durchaus ernsthaft dem unernsten Spielgeschehen mit schönen Liedern, schwungvollen Chorpassagen und  unvergänglichen Gassenhauer folgen, die zuweilen auch an manche großen musikalischen Vorbilder erinnern. Carlos Vázquez und seine Musiker geben der Operette     mitreißende Vitalität und eine neue kraftvolle Qualität.

Und, als ob Paul Brady plötzlich den zwielichtigen Verführer für sich als Superrrolle entdeckt hat, zieht er als Schauspieler und Sänger elegant und mit betörendem Charme alle Register teuflischer Verführtungskünste. Auch stimmlich ein ausgereifter Vollblut-Mephisto. Allerdings sieht er beim Bruder im Olymp, dem leicht senilen, aber immer noch dominanten Herrscher und Verführer Jupiter eine unangenehme Konkurrenz auftauchen, die er nun böse grollend zu überlisten trachtet. Doch beide Brüder, gewitzt, mit allen Tricks und Zauberkünsten gewaschen, sind jetzt an derselben Frau interessiert – da entsteht natürlich ein neuer Konflikt. Und der Himmel jubelt, die pastellfarbenen Götter und Göttinnen langweilen sich ohnehin mit ihren Tablets und Smartphones entsetzlich, die Nachrichten sind lahm und wenig aufrütteln, kurz es ist nichts mehr los in diesem rosablauen wolkendichten Reich, man ist weit entfernt von allem irdischen Intrigenspiel. Und so zanken sie ein wenig untereinander, Juno mit und über die ewige Untreue ihres Mannes, zu der sie der “öffentliche  Meinung” wegen eine gute Miene zeigen muß, Auch bei den Göttern herrscht Überdruss. Jupiter vergnügt sich ungeniert mit jungen Frauen. Diana ist traurig, weil sie den schönen Sterblichen Aktäon unten auf Erden nicht mehr gefunden hat, und auch die anderen Götter können wütend ein hohes Lied über entgangene Freuden singen. Überdies gibt es immer nur diesen übersüßen Göttersaft – ein weiterer Grund, Krach im Olymp anzuzetteln; es droht die Revolution. Und da kommt für den arg bedrängten Olympier die Einladung in die Hölle gerade rechtzeitig.

Denn da Jupiter, durch Jahrtausende gewitzt, ohnehin dem dunklen Bruder nicht traut, verordnet er allen einen Höllenausflug: Jubel auf der ganzen LInie: es wird wieder fröhlich gepostet: Abwechslung und Party in der Hölle, wo Handys und Tablets verboten sind, dafür aber ein Wegweiser zum WC führt.  Das gibt nicht nur ein musikalisches Tohuwabohu, auch die Beziehungen der Götter zu Eurydike geraten ziemlich durcheinander. Während in der Tiefe Plutos treuer Diener Styx, noch immer als Prinz selig im einstigen Arkadien schwebend, die gelangweilte Eurydike nervt und sie ganz schnell vor dem eindringenden Jupiter in das Kühlschranklabyrinth steckt, und während Pluto, ganz Unschuldslamm, dem bereits in erotischen Flammen stehenden Jupiter beweisen will, dass er keinen Helenraub begangen hat, da hat der kecke Quirl Amor – frech und pfiffig, wie wohl auch bei Olympiern die neue Generation sich entwickelt  – den Vater Juppi auch schon ganz schnell in eine Fliege verwandelt. Hagard Sharvit, die wie ein fröhlicher Pumuckl absolute Narrenfreiheit genießt, kann sich auch mit Väterchen Jupiter allerhand erlauben und ermöglicht ihm nun immerhin eine freudvoll summende Annäherung an die schöne Erdentochter, die sich flugs aus dem Kühlschrankjoch befreien kann und fortan die Zukunft lieber im Olymp als in der Hölle verbringen möchte…

Eine aktuelle Neuausrichtung der Operrette, die sich ja vielfach noch in alten Schuhen bewegt. Zeit, sie neu auszurichten und zeitgemäß einzukleiden. Aufzuspießen gibt es genug. Denn jede Zeit hat ihre Eigenarten, Mängel, verdeckten Absonderlichkeiten, ihre Lügen und Scheinheiligkeit, die es zu entlarven gilt. Schrödinger trägt dem auch Rechnung als er das altehrwürdige Menuett, das Jupiter und Eurydike gestelzt vortragen, flugs in einen flotten Disco-Tripp zum CanCan -Evergreen verwandelt, sich HImmel und Hölle zusammenschließen, das köstliche Lethebier trinken und sich infernalisch gut amüsieren. Leider aber geht die Rechnung für Pluto wie auch für Jupiter und die schöne Euridyke nicht auf. Denn schließlich muss dem Orginal das Ende getreulich überlassen bleiben. A.C.

 

7 comments

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