Berliner Porträtgalerie, B

Literarischer Salon mit Maria Hartmann und Udo Samel (5. Folge)

Renaissance Theater, 2020

Vom Wunderknaben zum großen Schauspieler

In der monatlichen Tradition des Literarischen Salons im Renaissance Theater stand an diesem Oktobersonntag der Schauspieler Curt Bois im Mittelpunkt der charmanten und lebhaften schauspielerischen Präsentation von Maria Hartmann und Udo Samel. Spannend und faszinierend holte Maria Hartmann den von vielen vielleicht vergessenen Komiker und Schauspieler – 1901 in Berlin geboren, im Milieu von Bühnenkünstlern und Journalisten aufgewachsen und geprägt, 1991 auf dem Willmersdorfer Friedhof beigesetzt – in die Gegenwart zurück.

Liebevoll ließen die beiden Gastgeber einen Mann wiederauferstehen, den nicht erlebt zu haben, wohl mancher in dieser Matinee mit großem Bedauern empfand – aber noch ist er in den letzten seiner vielen Filme zu sehen, “Im Himmel über Berlin”, “Das Boot ist voll”, ein Emigrantenschicksal oder in dem Dokumentarfilm “Gedächtnis”, ein Doppelporträt über Curt Bois und Bernhard Minetti – wobei sich diese beiden Männer nun wohl gar nicht grün waren…

Curt Bois, so wurde nach und nach das Geheimnis um diesen vom Sturm der Zeiten zwischen den Welten und den Engagements für Bühne, Film und Fernsehen getriebenen kleinen Wunderknaben des Stummfilms von einst gelüftet, stand schon als 7jähriger Knirps “als Heinerle” selbstsicher und keck        (man stelle sich ihn möglicherweise wie Harpe Kerkeling vor?) und begeisterte sein frühes Publikum. Er muß ein ungewöhnliches Talent gewesen sein; fern aller geschulten Schauspielgrundlagen flackerte er  dank seines ungebremsten Temperaments, seiner unbeugsamen Eigenwilligkeit, seiner bis ins Absurde greifenden Selbstdarstellungen als Komiker, als  “Salonhumorist”, als gewiefter Versteller, als erster Mann, der den Slapstick probte und seine Gönner und Regisseure durch seine Chuzpe beinahe in den Wahnsinn trieb, bald als Fixstern am Berliner Theaterhimmel. Denn Intendanten und Regisseure kamen nicht an ihm vorbei, sie kamen auch nicht ohne ihn aus, denn wer ihn erlebte, wer ihn erfasste, diesen kleinen, außergewöhnlichen Zeitgenossen eines kreativen, wahnsinnigen, in höchste Höhen schwebende  und in seine tiefsten Tiefen taumelnde Jahrhunderts, der erlebte wohl Curt Bois als einen in all seinen Facetten strahlenden Komiker, als Varieté- und Operrettenstar. Komponisten und Autoren wie Friedrich Hollaender, Intendanten wie Heinz Hilpert und vielen andere Größen jenes frühen Jahrhunderts arbeiteten mit Curt Bois, und der aufgeregte Zeitgeist des Aufbruchs erfaßte die Menschen in den Metropolen der Kultur. Es waren Verwöhnjahrzehnte für alle Talente und Größen der Branche. Bis der Tiefschlag kam, und die meisten von ihnen sich in Amerika wiederfanden, als arbeitslose Emigranten, die oft weder sprachlich noch künstlerisch ihren eigenen Weg fanden und nach dem Ende des Schreckes trotz allem wieder in ihre Heimat, nach Deutschland zurückwollten. Auch Curt Bois und seine Frau Hedy Uri kehrten 1950 nach Berlin zurück. Bois versuchte es mit Bert Brecht am Berliner Ensemble, wo Welten in jeder Hinsicht aufeinanderprallten. Es ging nicht gut. Bois, der keine politischen Vorschriften akzeptierte, Brecht, der um seine Zukunft bangte. Bois war das Regime schnuppe. Er spielte wie er wollte und mußte die Konsequenzen ziehen. Zwar fasste er dann auch im Westen nach und nach Fuß und Vertrauen, arbeitete unter anderem mit Fritz Kortner und Ruth Berghaus, pendelte zwischen Engagements in Ost und West, was ihm nicht nur Sympathien einbrachte. Dann kamen das Fernsehen und der Film. Bruno Ganz, Wim Wenders und Otto Sander nahmen den alten Recken in ihre Mitte.

Doch sein ganz eigener Glanz, sein Witz, seine überschäumende und alle Konventionen des Theaterschulischen sprengende Kraft hatte er vielleicht bis zur Emigration verausgabt. Dass er wieder aufleben durfte, einem ihn verehrenden Publikum auch an diesem Oktobertag im viral begrenzten  Platzangebot, wieder so transparent, so gegenwärtig wurde, ist Maria Hartmann und Udo Samel zu verdanken. Udo Samel sprach im Wechsel Texte und Bonmots über und von Curt Bois, die berühmte Theatergefährten und Curt Bois selbst humorvoll wie tiefsinnig verfasst hatten; haarscharfe Momentaufnahmen eines ungewöhnlichen Charakters, von Udo Samel so explizit vorgetragen, als ob das Ganze ein Spektakel mit dem vielleicht hinter der Bühne versteckten Protagonisten wäre. Wobei Samels unnachahmliche Sprachkunst jedes Wort, jeden Satz zu einem Erlebnis werden läßt. Er könnte ein Kochbuch vortragen, und jedes Rezept würde sich in eine glanzvolle Szene verwandeln.

Der Literarische Salon hat an diesem Tag sicher neue Freunde gefunden und die alten mit dieser momentan schweren, beinahe kulturentfremdeten Zeit versöhnt.  A.C.,

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