Don Quijote, B

Erstaufführung der Fassung von Jakob Nolte nach Miguel de Cervantes
in der Übersetzung von Susanne Lange
Deutsches Theater Berlin, 2020
Koproduktion mit den Bregenzer Festspielen
Regie: Jan Bosse, Dramaturgie: David Heiligers, Bühne Stéphane Laimé, Kostüme: Kathrin Plath, Musik: Arno Kraehahn, Licht: Robert Gauel
mit: Wolfram Koch und Ulrich Matthes

Rede vor Ziegenhirten…

…sie werden nichts verstanden haben von den hochfliegenden, edlen Ansichten und Wortungetümen des Herrn, der da in der Entfernung so seltsam bunte Kleider um sich geschlungen hat und einen Blumenkronenkranz auf dem wirren Haarschopf trägt; auch der große Thespiskarren entzieht sich in seiner Bedeutung ganz sicher ihrer Kenntnis, geschweige denn, sie hätten eine Meinung zu der antiken ritterlichen Lebensphilosphie dieses Fremden, der ihnen frohe Botschaft bringen will. Er bringt nur Unruhe in ihre Herde, und sie sind froh, als der kleine seltsame Mann und sein großer Gefährte weiterziehen.

Nun, die Geschichte des verarmten Junkers, der sich zum Helden einer längst vergangenen Epoche erhebt, in der Ritterlichkeit einen hohen Stellenwert einnahm, mittlerweile aber, wie es die Geschichte so an sich hat, in  Raufereien, Raub und Mord verkümmert und verkommen ist, seltsam verrückt erscheint. Seine ehrenvolle Aufgabe als Don Quijote von La Mancha sieht er in der Verteidigung der Menschheit gegen das Böse schlechthin. In dem scheinbar naiven armen Sancho Panzo findet er einen treuen Diener, der seinen Esel neben dem alter Klepper, auf dem Don Quijote thront, müde antreibt. Die abstrusen Wahrnehmungen seines Herrn quittiert er mit leisem Spott, Ungläubigkeit und Verwunderung  und zuweilen auch – resignierend – macht er gute Miene zum gar nicht immer so schmerzfreien Spiel. So traben sie beide durch die dürre Pampa Spaniens, der eine sich sehnend nach seiner imaginären Braut Dulcinea, der andere sich freuend auf ein Herrenleben auf eigenem Land.

Wolfram Koch, um es gleich zu sagen, beherrscht das Spiel mit fröhlich-frechen Einfällen und zuweilen aufmüpfig kindlichem Unmut gegen die abstrusen Befehle seines weltfremden Herrn aufbegehrend, der starrsinnig jeder Realität entsagt hat: Drei Landstreicher möchte er als ehrwürdige Wanderprediger ehren, die ausladenen Zweige einer Baumguppe sind ein herrschaftliches Schloß, in dem es Unterkunft zu finden gilt, die berühmten Windmühlenflügel bilden die Vorhut eines feindlichen Heeres. Die hölzernen Stöcke der beiden Wanderer sind wahrhaft keine Lanzen sowenig wie Windmühlenflügel schwerterschwingende Soldaten sind, und am Ende des Tages sieht man die Beiden müde und hungrig und durstig ernüchtert ins dürre Gras fallen. Gleichmut und Witz gegen phantasievollen Wahn und Tristesse, die eine Sehnsucht verrät, die niemals erfüllt werden wird – das ist das weltverändernde Spiel, das Ulrich Matthes mit niemals ermüdendem Eifer verficht, blind und taub gegen alle Aufklärungsversuche und aufmunternden Kaspereien eines ihn am Ende doch kameradschaftlich umsorgenden Sancho.
Dass am Ende der Diener der Visionär ist und “der Ritter von der traurigen Gestalt” der Realist, kann nun auch nicht mehr über ein insgesamt wenig dramatisches Spiel hinwegtrösten. Es gibt keine Windmühlen mehr, die unsere Phantasie beflügeln könnten, nur noch steife, kalte kirchturmhohe stählernde Ersatzmonster mit Effizienzabsicht.  A.C.

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