Die Laborantin, OL

von Ella Road, deutsch von John Birke;
dieses Stück ist Teil des Starter&Enter – Programms für Schulen
Staatstheater Oldenburg,2021
Regie: Jana Milena Polasek, Bühne und Video: Marina Stefan; Kostüme: Peter Schickart&Heather Rampone-Gulder; Musik :Peter Schickart; mit
Bea: Zainab Alsawah; Aaron: Fabian Kulp; Char: Veronique Coubard; David: Thomas Birklein und Helen Wendt  in mehreren Rollen

Der Mensch spielt Schicksal
ein Rating entscheidet über unser Leben

Es ist lustig und gruselig zugleich, und ganz fabelhaft inszeniert angesichts der etwas mageren Textvorlage. Eigentlich verwunderlich, dass die Autorin sich nicht für ein intensiveres Ausformen und Gestalten der Story entschieden hat. So dominiert die mehr gesprochene, denn gespielte Handlung auf einer sehr geschmackvoll, kühl und zweckmäßig als verdrehbare Rotunden verschachtelten Bühne.
Das Stück ist behutsam aufgebaut; seine Warnung ist subtil, es will nicht demontieren, was medizinisch erfolgreich für den Menschen ist, sondern darstellen, wie sich übermäßige Vorsorge und Lebensangst mit einer gefährlichen Eigendynamik zu einer entmündigten Hilflosigkeit entwickeln können, wenn unsere Ethik (hier als weißer Nonnen-Engel figuriert) dem nicht Einhalt gebietet. Was wird mit uns, mit den Menschen, der Gesellschaft, der Umwelt geschehen, wenn wir extreme, scheinbar optimale Kriterien für ein erfolgreiches Leben allem voranstellen wie: Höchstleistungen, ungebremste Einsatzfähigkeit, absolute Gesundheit auf Lebenszeit – alles zu haben mit ein bißchen Blut; eine Zukunftsmanipulation durch möglichst frühzeitiges genetisches Auswahlverfahren.

Es ist bereits eine kühle Welt, eine neue Generation, die da auf der Bühne frische Früchte – als Symbol für ein pralles Leben?-  wie eine vom Himmel gefallene Kostbarkeit verschlingt;  die sich an uns wendet, zu uns spricht und  – bis auf einige mit Fäkalausrutschern verunzierte – eine intensive Darstellung bietet. Es ist ihr ehrliches Anliegen, diese schöne neue, böse Welt transparent zu machen: Da ist die ernsthafte, um Sorgfalt wie um Gerechtigkeit bemühte, freundliche Laborantin Bea, der Zainab Alsawah ein  im Laufe des Spiels zunehmend beachtliches Charakterprofil verleiht. Zunächst noch berufliche Anfängerin, manövriert sie noch ein wenig unsicher ein Tablett mit Blutproben über den Krankenhausflur, stolpert, und alle Gläschen purzeln über den Boden. Im Schreckensmoment erscheint ein charmanter junger Mann übergroß auf der Leinwand, Künstlertyp,ein bißchen spleenig gekleidet und geschminkt, der Bea mit launigen Worte zur Seite steht und sich als Aaron vorstellt. Von Fabian Kulp hinreißend und berührend, mit tapferer Beherrschung gegen die fortschreitende Dekadenz seines Aaron gespielt! Klar, die beiden werden ein Paar: Denn sie haben tolle Werte: Seiner, zudem noch von Adel, steht bei 9, und Bea’s bei 6,5. Denn das zeigt das Blut in den Gläschen: ihre Erbanlagen, ihre Gesundheit, ihre körperliche und geistige Potenz! Einem gemeinsamen Leben steht trotz der Geldknappheit nichts mehr im Wege: Ihre Noten für künftiges Leben, für Berufschancen, für Ehe und Familiengründung sind von entscheidender Bedeutung; sie garantieren Gesundheit, Fitnesst, Tatkraft, ein gesichertes Fortkommen. Denn der Test lügt nicht; wer nur 3,2 oder nur ein Rating von 2 erhält, rutscht durch das Netz des Lebens.

Aber – Bea, die Laborantin, die mit einem kleinen Pieks über Schicksale entscheidet, kommt auf eine leider ebenso naheliegende wie kriminelle Idee, die Ihre knappe Haushaltskasse aufbessert, Aarons Studium sichert und den Probanten ein besseres Leben garaniert: ihre Werte werden gemeinsam mit einer Ärztin manipuliert.

Und Beas Freundin Char, – Veroniquie Coubard quicklebendig und flippig -, hat längst erkannt, wo es noch bessere Manipulation gibt, nämlich in den Staaten, wo das System noch härter ausgeklügelt ist. Dann ist da noch ein als Satyr verkleideter Patient oder irrer Hausmeister – der einigermaßen väterlich-weise das alte Pendent zur Neuzeit ist. Ebenso apart ist die engelhafte, phantasievoll klerikal kostümierte schöne und sanfte Patientin, deren melancholische Songs eine Welt der Emotionen   wecken.

Die Brisanz des Themas liegt nicht allein in der möglichen Ausuferung medizinischer Forensik, in der kriminellen und menschlich doch verständlichen Möglichkeit der Manipulation, wie Bea sie dann aus Geldnöten betreibt, sonderen darin, dass jede Medaille zwei Seiten hat: Mehr und mehr hat sich die moderne Medizin darauf verlegt, den Menschen mit vielen Voruntersuchungen dank einer ausgefeilten Technik bei der Abklärung von Krankheiten vorab einen Behandlungsweg aufzuzeigen. Wer sich um  erbliche Erkrankungen in seiner Familie sorgt, wird mit medizinischer Hilfe und Betreuung eine bessere Beratung und Vorsorge erhalten können. Für eine Schwangerschaft ist seit langem die begleitende ärztliche Vorsorge anerkannt. Sie kann für Mutter und oder Kind lebensnotwendig sein; sie kann verhindern, daß großes Leid über eine Familie kommt. Aber sie kann auch falsche Prognosen treffen, Familien verängstigen, Ehen verhindern oder zerstören. Auch das steht hier im Fokus, als sich Aaron und Bea einer neuen Situation stellen müssen.

Ein Stück, das für Schulen programmiert ist; aber für ältere Generationen, die aus Erfahrung wissen, dass sich reale wie irreale Ängste und Überforderungen abbauen und bewältigen lassen, fehlt dann doch eine dramaturgische Ausweitung der Geschichte. Herzlicher Applaus für die Schauspieler und das gesamte Inszenierungsteam. A.C.

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