Michael Kohlhaas, B

von Heinrich von Kleist
In einer Fassung für die Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin, 2021
von Simon McBurney, Anabel Arden, Maja Zade und dem Ensemble

Mit Robert Beyer, Moritz Gottweald, Laurenz Laufenberg, David Ruland, Genija Rykova, Renato Schuch
Regie: Simon MBurney und Annabel Arden, Bühne: Magda Willi, Kostüme: Moritz Junge, Sound: Benjamin Grant, Video: Luke Halls, Dramaturgie: Maja Zade, Licht: Erich Schneider, Produktionsleitung London: Judith Dimant

Der letzte Prozess
Eine Ballade um Unrecht und Schuld

Viele Köche verderben den Brei.Eine alte Volksweisheit, die hier eindrucksvoll unter Beweis gestellt wird. Die Schauspieler (wobei ihr körperlicher Einsatz wie auch ihre schauspielerischen Qualitäten unbestritten Anerkennung verdienen) bestreiten abwechselnd verschiedene Rollen in mehr oder minder lässigen oder burlesken Kostümen und Masken auf einer großflächigen dunklen Bühne, die mit zwei Mischpulten und Aufnahmegeräten an den Seiten bestückt sind und die Darsteller zeitweilig zu Großaufnahmen über Video aus dem Ensemble abziehen. Sie artikulieren mit dröhnender Dramatik, durch Mikros verstärkt, so dass kaum Empathie für diesen um Recht und Gut gebrachten Pferdehändler Michael Kohlhaas aufkommen kann. Auch verdichtet sich der Eindruck, das es sich hier um eine Aufführung eines nicht uninteressanten Literaturkurses einer gut artikulierenden Oberstufen-Schauspiel-AG handeln könnte. Und man fragt sich, welche Absicht sich dahinter verbirgt, zumal es ja durchaus vergleichbare Inszenierungen um das Schicksal dieses Gerechtigkeitsrebellen gibt. Es wäre vielleicht eine gute Instruktion für Schauspielschüler, wie man die Darstellung reduzieren und die Entwicklung des Geschehens rhetorisch und visuell über die Technik regeln könnte. Dabei ist es durchaus zunächst eindrucksvoll, wie sich die Phalanx der Betroffenen am Bühnenrand vor den aufgereihten Stehpulten bildet und durch die Mikros dröhnend die Geschichte des Michael Kohlhaas rezitiert und – wie man Pferdegetrappel als Stepptanz eindrucksvoll über den Bühnenboden galoppieren läßt. Und, wie dieser fiese Junker von Tronka, der überhaupt als solcher schüchtern und irgendwie gestört erscheint, nur am Rande auftritt, weil ja alle schäbige Arbeit von seinen Vasallen erledigt wird. So entblößt er denn, auch schon mal in Unterwäsche und mit blankem Oberkörper, seine ganze menschliche Armseligkeit. Das sind einige gute Akzente. Dass die Marter, die Kohlhaasens Pferdepfleger erleiden muß, so drastisch und blutig am Körper direkt und dann auch noch via Video großformatig vorgeführt wird, unterstreicht das strenge Verhör, in dem der Knecht seinem Herrn den Grund der Misshandlung wie den Tathergang genau schildern muß; denn Kohlhaas genügt der Anblick der Wunden allein nicht als Unschuldsbeweis; er fordert in seinem Verständnis für Gerechtigkeit die absolute Wahrhaftigkeit des schikanösen Vorgangs auf dem Hof des Junkers. Die zu Skeletten geschundenen Pferde kann er ja nicht befragen, muß sie wohl als schreckliche Kreaturen als Verhöhnung seiner ehemals stolzen Rappen als sein Eigentum akzeptieren..

Michael Kohlhaas, das dürfte mittlerweile jeder Mittelstufengeneration bekannt sein, ist der Typ, der   mit seinen Pferden zum Verkauf zum Markt in die nächste Stadt reitet, und auf dem Weg von dem Schergen des allmächtigen Kleinfürsten angehalten wird, einen Passierschein zu lösen, eine bisher unbekannte Eigenermächtigung, die Zeitverlust und Geld  kostet – und der dieser Bürger als  offensichtliche Willkür widersetzt. Noch wäre mit einer zähneknirschenden Akzeptanz dieser Widrigkeit das Schicksal dieses Mannes, seiner Familie und einer ganzen Region anderes verlaufen, aber Kleist wollte zeigen – und das offenbart seine große Kunst in Wahrheit und wissentlich – wie wenig Recht und Gerechtigkeit miteinander korrespondieren. Man hätte sich sehr gut vorstellen können, sich auf Ferdinand von Schirach zu besinnen, der sich mit faszinierender Logik und Sachkunde eben gerade dieses Themas mit der Dramatisierung seiner realen Dramen erfolgreich auf vielen Bühnen etabliert hat.

Aber so zieht der Pferdehändler, als ihm seine besten Pferde auch noch als Pfand nebst Stallbursche genommen werden, verbittert heim und steuert die gerichtliche Rehabilitierung mit Hilfe eines Advokaten an. Und da das Recht per se beim Junker ist, wird seine Klage abgewiesen, seine Frau wird sich in der nächsten Instanz für ihren Mann einsetzen und muß ihre Gutgläubigkeit mit einer tödlichen Verwundung bezahlen. Kohlhaas bleibt mit fünf Kindern und verbittert als Alleinkämpfer zurück, zieht das mitleidende Volk der Untertanen in seinen Kampf, und nun wüten und brandschatzen die eigenmächtig ernannten Milizen wie real in dieser Zeit Martin Luthers auch Thomas Münzer die Bauern zum Aufstand rief.

Es wirbelt wortreich schnell durcheinander, das herausgestoßene brennende Ungemach, das Kohlhaas in Hass und Verzweiflung blindwütig bekämpft bis – und hier tritt auch inszenatorisch ein abrupter Wechsel ein –  sich die drei betroffenen Landesfürsten, Brandenburg, Sachsen und Berlin, ihrer eigenen Interessen besinnen und die Causa Kohlhaas zu einem Politikum werden lassen. Das wäre ein echtes Schauspiel, vielleicht  vor einem gerichtssähnlichen Tribunal, wo diese politischen, gesellschaftlichen und religösen Aspekte (Reformation als Brandherd für folgenschwere Umwälzungen der Gesellschaft!) in einer spitzfindigen Süffisanz hätten vorgeführt werden können. Aber alle Beteiligten s.o. haben sich für eine Farce entschieden, in der Kohlhaas in den Strudel der Gesetzlosigkeit gerät, und die Geister, die er rief, nun nicht mehr los wird. Rührende, vom Kitsch nicht ganz freie Bilder, die den Witwer mit seiner Kinderschar in christlicher Haltung vorführen, werden musikalisch oftmals umspielt von fernklingenden Chorälen.  Die Fürsten dagegen werden der Lächerlichkeit und dem Aberglauben preisgegeben.

Kohlhaasens Horden ziehen weiter plündern durch das Land und lassen ihn intrigant als Anführer ins Messer laufen. Damit ist das Urteil des Landfriedensbruchs zementiert, und Kohlhaas bleibt – auch angesichts einer letzten Möglichkeit, dem Tod zu entkommen – seinem Gerechtigkeitsanspruch treu. Er bekommt Pferde und Geld zurück, aber er muß und will für das Leid, das er als Aufrührer und Landesverräter angerichtet hat, mit dem Leben bezahlen.

Viele Mögichkeiten zur Diskussion, ob diese Art der Inszenierung der Themenvielfalt und der zeitlosen Problematik gerecht wird. Heinrich von Kleist, der genial und wahnsinnig, aus dem Leben schied, nicht weil er mit den politischen Zuständen seiner Zeit gehadert hätte, sondern gefangen war in einem unerträglichen, vielfach analysierten Leidensgefängnis, in dem er seine schöpferische Kraft nicht zu kanalisieren vermochte und weiterhin in große Literatur zu verwandeln, sich stattdessen für den Tod als romantisch verklärte Erlösung entschied. Das Programmheft hat dazu erläuternde Texte zusammengestellt. A. C.

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