Die Zauberflöte, HB

von Wolfgang Amadeus Mozert; Text: Emanuel Schikaneder,
arrangiert für Kammerorchester von Killian Farrell
Theater am Goetheplatz, Bremen, 2021
Die Bremer Philharmoniker unter dermusikalischen Leitung von Killian Farrell
Regie: Michael Talke, Dramaturgie Brigitte Heusinger, Bühne Barbara Steiner, Kostüme Regine Standfuß, Chor Alice Meregaglia, Licht Ralf Scholz

mit: Sprecher/Papageno: Martin Baum/Dominic Große, Tamino: Kai Kluge,Sarastro: Stephen Clark, Königin der Nacht: Nerita Pokvytyté, Pamina: Marysol Schalit, Damen der Königin: Rebecca Davis, Ulrike Mayer,Nathalie Mittelbach, Papagena:Maria Martin Gonzáles, Monostatos: Christian Andreas Engelhardt/ Wächter1 und Wächter 2 Julius Jonzon
Chor und Kinder-Statisterie des Theaters Bremen

Generationenkonflikt – die Alten müssen gehen

Die Phantasie hat diesmal Grenzen, denn das märchenhafte Reich der Königin der Nacht ist ohne Glanz, schwarz, leblos; es sieht seinem Ende entgegen, und das ist dunkel, eher beängstigend als geheimnisvoll. Seine Herrscherin ist die totale Übermutter, die Regisseur Michael Talke in dieser Inszenierung herausstellt, ebenso beeindruckend wie gefährlich mörderisch; ebenso wie auch die des Gegenkönigs Sarastro, dem Herrscher des irdischen Reiches der Bruderschaften und Geheimbünde, der Disziplin, der Ordnung, der Allmacht; Vater  der gemeinsamen Tochter Pamina, die er der Mutter als kleines Kind  entreißt und sie unter harten Bedingungen behüten und bewachen lässt.

Das Elternthema ist natürlich auch das von Mozart. Seit jüngster Kindheit hat er unter der strengen Zucht und dem Ehrgeiz seines Vaters gelitten und – sich natürlich auch früh zum Genie entwickelt, aber lieblos und ohne jemals Kind gewesen zu sein, wie das bei Wunderkindern auch heute noch der Fall ist. Die Mutter, die ihn zunächst auf seinen Konzertreisen begleitete, wurde krank und starb früh. Ein Kind, allein auf sich gestellt, diszipliniert nur im Spiel, in der Kreativität, in der Formgebung; im Leben eher haltlos und biegsam. Gemeinsam mit seinem Freund Emanuel Schikaneder, einem vielseitig begabten Künstler, Schauspieler und Autor, durchstreifte er die Nächte und heckte fröhliche Libretti aus, verzwickte Liebesgeschichten, freche Geschichten, und Märchen, immer wieder eine Märchenwelt, die bunt und schillernd, aber auch voller Gewalt und Hintergründigkeit (Entführung aus dem Serail etc.)war.  

Die Zauberflöte war Mozarts letzte große Oper, zeitgleich schrieb er sie mit dem unglaublichen Gegenpart: seinem Requiem. Vielleicht zum Ausgleich für die  schwere Ode an den Tod komponierte er, sich das Herz erleichtern, die schönsten Lieder an die Liebe (Pamina und Papageno, und unsicht6bar der Dritte im Bunde: Tamino „Mann und Weib,Weib und Mann reichen an die Gottheit an); Und dieses musikalische Genie, das unter vielen schweren Krankheiten litt, das viel zu früh starb, die Verantwortung der Ehe und Vaterschaft nicht annähernd meistern konnte, wählt ausgerechnet in diese so leichten Sinns zunächst daherkommende Oper die Entwicklung der Jugend als Thema; die Adoleszenz als Prüfung, um im späteren Leben, allein auf sich gestellt oder in einer Partnerschaft den schweren Schlägen des Schicksals  trotzen, die Aufgaben und Pflichten erfüllen zu können. Denn er lässt Tamino und Pamina zunächst getrennt, dann gemeinsam durch ein Flammenmeer, durch Trauer und Angst gehen, um sie hernach durch die Hand des gestrengen Vaters Sarastro einander zu verbinden

Die Musik bewegt sich träumerisch durch die letzte Romantik des ersten Teils, durch eine überirdische Gefahren-und Geisterwelt, in der ein Jüngling zufällig gerät und das Bild eines wunderschönen Mädchens von drei strengen Wächterinnen erhält; diese kündigen ihre Herrin an, die Königin der Nacht . Nerita Povytyté. gibt ihr eine herrische Würde, eine stolze, gnadenlose Dominanz, doch rührt sie zugleich das Herz des jungen, jäh verliebtenTamino und beschwört ihn: er soll dieses Mädchen auf dem Bilde aus der Gefangenschaft ihres bösen Vaters Sarastro befreien. Bevor Tamino sich auf den Weg macht, um die Geliebte zu suchen, stärkt ihn die Königin mit  den großen Arien der Wut der verletzten und betrogenen Mutter, die Rache mörderisch ist.

Zentrale Figur ist der für Kinder und Märchen zuständige Papageno, der Vogelfänger von Gottes und Mozarts Gnaden, ein gemütvoll-naiver Naturmensch, der den erleichternden Gegenpart oder auch freundschaftlichen Begleiter des zu schwierigen Prüfungen verdammten jungen Paares darstellt. Seine Unbeschwertheit, seine Späße und seine Munterkeit sind doch ein Vermächtnis des Künstlers, dass die Welt der Phantasie, der Leichtigkeit, der Schwärmerei, der kindlichen Freude an allem, was das Leben außerhalb von Pflicht und Ordnung und Gehorsam fordert, für die Entwicklung des Menschen genauso von Wert ist wie strenge Pädagogik. Papageno,   der sich nicht an Riten und Vorgaben hält und schon gar nicht den Mund, der singend und spielend durch das Leben ziehen kann, ohne wirklichen Kummer zu empfinden, bis er jedoch auch die Liebe für sich entdeckt und zunächst erst einmal ordentlich leiden muß, als ihm lauter kreischende  schreckliche Monsterhexen als „Weibchen“ in spe vorgestellt werden, aus denen dann allerdings zuletzt ein allerliebstes Wesen entschlüpft! Sein erlösendes Instrument ist ein allerfeinstes Glockenspiel, das hier sogar auf der Bühne von seiner Musikerin vorgestellt wird und das hell und strahlend, ebenso wie die herrliche Zauberflöte, mit beglückender Klangschönheit das Paar Tamino und Pamina auf ihrem Prüfungspfad begleitet.

Damit diese Oper auch für Kinder schnell erfassbar sein soll, hat sich die Regie diesmal einen durch das Stück führenden Sprecher (Herbert Baum) ausgedacht, der den Hergang der Handlung kommentiert, auch eingreift und mitspielt, diesmal sogar den Papageno, weil Luis Olivares Sandoval erkrankt war und Dominic Große aus Frankfurt erst am Morgen der Premiere in die Rolle als Papageno eingeführt werden konnte. Ob ein Entertainer eine glückliche Idee ist, werden wohl erst die Reaktionen des Publikums in den nächsten Vorstellungen ergeben.  Das ist überhaupt das auch hier nicht gelöste Problem: ein in seiner Zeit, den Aufbruch und Umbruch in eine neue, freiheitlichere Gesellschaft ankündigendes  Kunstwerk aus seinem Kontext neu zu deuten, um eine mögliche psychologische Grundaussage zu transponieren – kann glücken als Versuch im übereinstimmenden Rahmen von Musik und Handlung. Aber die Leichtigkeit des musikalischen Initiationsspiels wird im zweiten Teil der Oper  gnadenlos auf eine bisher eher verdeckte sozio-psychologische Ebene des Generationenwechsels übertragen.

Denn nachdem  Monostatos, der dunkle Wärter, sich beinahe an der armen Pamina vergeht, die Königin dem Mädchen einen Dolch in die Hand drückt und ihm befielt, den Vater zu töten, dieser aber alles mitansieht und ebenso straft wie vergibt, sich auch der eigenen Schuld bewußt – werden die Alten, die Königin und Sarastro abtreten. Sie sinken in den Bühnenboden, vielleicht in die Hölle, deren Rache die Königin ja schon beschwor, und auch weil eine Dampfwolke hervorquillt. Die hässlichen überdimensionalen Altersmasken haben sie zuvor abgeworfen. Das Feuer als Symbol der Reinigung brennt jetzt auch für die abgetretene Generation (und der aristokratischen Vorherrschaft) wie zuvor schon beim Prüfungsgang der jungen Paares, das nun die Zukunft selbstverantworten muss und ihr Hand in Hand entgegenschreitet.

Marysol Schalit und Kai Kluge sind ein außerordentlich harmonisierendes Duo, Kluge ein starker, intensiver dunkelgefärbter Tenor voller Leidenschaft und Vitalität, und Frau Schalit seit Jahren nicht ohne Grund der Stern im Ensemble, der über alle Maßen leuchtet, und ihre große Verzweiflungsarie, die Pamina nahe an den Tod bringt, verklingt so rührend und erschütternd, das der zu schnell aufbrausende Beifall diesmal leider wirklich stört!

Aber auch Dominic Große, leider diesmal nur als flüchtiger Gast, präsentiert sich  überzeugend und lässt in den wenigen Auftritten, die ihm vergönnt sind, ahnen, warum er am großen Haus in Stuttgart engagiert wurde. Man würde ihn gerne einmal vollends hören und sehen. Denn auch das Spielerische scheint sein Metier zu sein, wie er es in Ansätzen als Papageno zeigen konnte.

Alles in Allem: eine hintergründige Inszenierung, deren musikalische Einkürzungen und Finessen sowie die zum Teil verwirrende Regieeinfälle, die sich  – aus dem Unbewußten der Menschen in Bühnenbilder umgesetzt – vielleicht im Programmheft erhellen. A.C. 

 

 

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