Cavalleria Rusticana/Pagliacci, OL

von Pietro Mascagni, Melodram; Text von Giovanni Targioni-Torzetti und Guido Menasci nach einem Drama von Giovanni Drama;
Musik und Text
von Ruggero Leoncavallo
Oldenburgisches Staatstheater, 2021/2022
M
usikalische Leitung: Hendrik Vestmann, Regie: Dietrich W. Hilsdorf,
Dramaturgie: Stephanie Twiehaus, Bühne: Dieter Richter, Kostüme: Nicola Reichert, Licht: Steffi Flächsenhaar, Choreinstudierung: Thomas Bönisch, Piotr Fidelus;
Opernchor und Extrachor, Statisterie und Oldenburgisches Staatstheater
M
it: Mamma Lucia: Melanie Lang; Turrido/Canio: Jason Kim; Santuzza: Ann-Beth Solvang, Alfio/ Tonio: Kihun Yoon, Lola: Erica Back, Nedda: Martyna Cymerman, Peppe: Johannes L. Maas, Silvio: Leonardo Lee

Kein Ende der Passionszeit

Es ist ein schwermütiges Ringen um Liebe und Rache, ein aussichtsloser Kampf gegen Schmerz und Verlust: Dunkel und trostlos geht der neue Morgen, der Ostersonntag, langsam in ein diffuses Tageslicht über, verwirrend, verschwommen bleibt die Szene vorerst; Zwischen maroden hohen Häusern eines kleinen sizilianischen Städtchens, die auf Piazza zwischen vielen dunklen Gassen zulaufen, huschen dunkle Schatten und her, trocknen das Pflaster vom nächtlichen Regen, verteilen Tische und Stühle für das sonntägliche Osterfest. Nach und nach ziehen die Prozessionen zum Gottesdienst, begleitet von einem fernen wehmütigen sanften Chorgesang.. Doch eher unheilverkündend schwebt ein schwerer Konflikt über diesen Tag, der vieles verändern wird. Und dieses Schcksal scheint allen vertraut, beinahe greifbar mit dem traurigen, hilflosen Auftritt einer jungen, scheinbar leidgeprüften Frau, die teilnahmslos über den Platz schreitet, ziellos einen schweren Koffers schleppend.  Will sie verreisen oder auswandern, man könnte das ändern, eingreifen, doch Schicksal und Tradition sind unveränderlich; sie gebieten, dem Unheil ihren Lauf zu lassen. Die Theaterwissenschaft nennt dies Genre “Verismo”, wahrhaftig, naturalistisch in Form und Stoff und opernhaft noch dem Belcanto verhaftet.. Es ist  eine traurige trostlose Zeit zu Beginn des 19.Jahrhunderts in Süditalien. Und die Regie hält sich an diese Vorgabe, womit sie der musikalischen Interpretation im Auf und Ab des Geschehens, der Unterbrechung der Gefühlsstürme durch ruhende harmonische Passagen die Führung überläßt. Allein Sänger, Orchester und Chor werden die Geschicke leiten und lenken und in in einem großen musikalischen Bogen den anschwellenden und explodierenden Konflikt der Liebenden und Enttäuschten mit Hingabe und Intensität zum Höhepunkt führen. Eingestreut sind kleine Aufheiterungen wie das Fuhrmannslied des Alfios, Turiddos soldatisches Trinklied, Lolas verführerisches Rispetto “der süßen Lilien” sowie vor allem das berühmte intermezzo sinfonico, das den schönen warmen Frühlingsmorgen jäh kontrastreich abzukühlen vermag.

Bereits die Overtüre gibt viel Zeit und Raum zur Einstimmung, und bewegt sich zwischen erregten, bis zur Wildheit sich steigernden Szenen und wieder einer zart gebremsten schwermütigen Harmonik. Es gibt keine Erlösung, die diesem Sonntag wohl anstünde. In dieser Spannung braut sich ein leidenschaftliches Spiel zusammen, in dem Ann-Beth Solvang als Santuzza, die um ihre Ehre und ihr Glück betrogene Geliebte von Turiddu, alle Register einer hilflosen, betrogenen Frau zieht. Denn wenig Trost auch findet sie bei Turiddu’s Mutter Lucia, die ebenfalls ahnt, dass ihr Sohn  seit seiner Rückkehr aus dem Feld wieder seiner einstigen Geliebten Lola verfallen ist. Seine Leidenschaft ist nicht weniger zermarternd, denn wie würde er sonst die arme Santuzza dermaßen erniedrigen?  Blind ignoriert er auch Lolas mächtigen Ehemann. Die Wogen der Eifersucht glätten die zeitweilig zwei Harfen, für himmlische Spärenmusik bekannt,  fügen die Harmonie der Sehnsucht und der tiefen Liebe zwischen das Furioso der ekstatischen Racheorgien. Capriziös zeigt die Buhlerin Lola offen vor allen Beteiligten ihren Besitzanspruch auf Turiddu, umschmeichelt ihn und macht aus ihrem Verlangen kein Geheimnis, placiert sich, voller Chic und Abgrenzung zu dieser ärmlichen Gesellschaft, öffentlich, auffordernd, auf der Piazza. Vor ihr und allen Leuten demütigt Turiddu darob seine Santuzza schamlos und erbarmungslos. Die Musik rauscht wie ein Tsunami in diesen Partien über alle Bewohner der Stadt hinweg, die Verrat nicht verzeihen.
Es gibt zwei Betrogene und zwei Betrüger, doch der Autor als guter Psychologe und der Komponist als seelenverwandter  Künstler verteilen Leid und Lust gleichermaßen. Über die moralische Schuld urteilt allein die Gemeinschaft der Menschen in den trostlosen traurigen Verhältnissen ijhrer Zeit, weil Armut und Enge keine Gnade kennen. Die Kirche bleibt dabei in der Realität außen vor. Die Eifersucht – berechtigt oder nicht wird im nächsten Stück thematisiert – tobt als wütender Stier außer Kontrolle über die Piazza. Wie großartig ist die Szene als die beide Betrogenen ihr Leid auf den sich inzwischen leeren, einsamen  Platz hinausklagen, um sich dann in einträchtig verbindender Seelenpein und ihrer ohnmächtigen Rachelust aneinander zu schmiegen.
Das ist ein ergreifender Part, wenn die Tradition ihren Tribut fordert und Toriddu’s verhärmt gebeugte Mutter tonlos das glänzende Messer als Waffe des Duell herausbringt und in den Tisch stößt: denn sie weiß, dass dieser Akt den weiteren Verlauf bestimmen wird, da nützen auch keine frommen  Chorgesänge, keine Lobpreisung Gottes und die Hoffnung auf Erlösung durch die Auferstehung Jesu, die im fernem Chorgesang und Glockenklang ertönen. Vorn, auf der Piazza dagegen droht und dröhnt das Völk, murrend und sich doch noch immer alten Traditionen und Gewohnheiten fügend wie der Gewalt von Lolas Ehemann, dem mächtigsten Mann der Stadt, den man nicht ungestraft betrügt.

Zweites Leben als Bajazzo

Toriddu’s Leichnam verwandelt sich auf andere Weise in ein neues Leben: für den zweiten Teil der Aufführung unter Pagliaccis Vorstellung eines Dramas innerhalb der wandernden Schauspielertruppe erhält er nun die Rolle des des Theaterdirektors Canio, der in den abendlichen Vorstellungen den Bajazzo, den Spaßmacher spielt. Armer Bajazzo! – betrogen auf der Bühne und vielleicht auch im wirklichen Leben von seiner koketten Frau Nedda und verraten von dem eifersüchtigen Tonio, mit Kihun Yoon besetzt, der in dieser Rolle zur Höchstform aufläuft, wie auch Martyna Cyman als Nedda zu herrlich kapriziösem Stil findet und ein hoch explosives Spiel mit dem armen Trottel Tonio spielt, der so ganz gewitzt dann doch der traurige Star der Manege ist. Der arme Liebhaber Silvio muß wohl, obwohl er so herzgewinnend wirbt, ohne seine Angebetete wirklich erobert zu haben, auf der Strecke bleiben, denn ein derart rasender Ehemann wie Canio, der hier als rasender Jason Kim Überblick und Wahrheit über das Spiel im Spiel verliert, gibt es wohl nur unter glühender südlicher Sonne… Somit bleibt die Frage nach dem Fallen des Vorhangs: Wie  kann jemand seine Treue bezeugen, wenn die Eifersucht in Wahn umgeschlagen ist, wie kann Eifersucht gezügelt werden, damit sie nicht zum Unglück wird, wie läßt sich Liebe bezwingen, wenn das Herz über den Verstand siegt? Aber dann gäbe es keine Opern und keine Dramen mehr.A.C.

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