Don Carlo, HB

Oper in fünf Akten von Guiseppe Verdi

Text von Josef Méry und Camille du Locle nach Friedrich Schiller (Don Carlos) und Eugène Cormon

Theater am Goetheplatz, Bremen 2022

 Leitung der Bremer Philharmoniker: Marko Letonja, Regie: Frank Hilbrich, Dramaturgie: Brigitte Heusinger und Caroline Scheidegger, Bühne: Katrin Connan, Kostüme: Alexandre Corazzola, Video: Cantufan Klose, Lio KLose, Licht: Christian Kemmetmüller
mit: Patrick Zielke, Philipp II., Luis Olivares Sandoval: Don Carlo, Michal Partyka: Rodrigo, Marquis von Posa, Stephen Clark: ein Mönch; Sarah-Jane Brandon: Elisabeth von Valois, Nathalie Mittelbach: Fürstin Eboli, Elisa Birkenheier: Tebaldo, Page Elisabeths, Nerita Pokvytyté: Stimme vom Himmel, Christan -Andreas Engelhardt: Graf von Lerma/ein königlicher Herold; Statisterie des Theaters, Chor und Extrachor

Hüte dich vor dem Großinquisitor

mahnt König Philipp seinen Favoriten, den Marquis von Posa, denn er weiß um dessen gefährliche Bedrohung durch die Kirchenmacht, der auch er selbst sich fügen muss.

Diese Inszenierung besticht vor allem durch einige ungewöhnliche dramaturgische Einfälle: Da rackert sich ein von seinen Qualen gezeichneter Christus als Sisyphos mit einem zur Kugel geformten Bücherballast ab, diesen über die Stufen in der sich auftürmenden Bibliothek zu stoßen, vergebens, immer wieder muß dieses abseits agierende Sinnbild aller Vergeblichkeit einer um Frieden ringenden Menschheit von vorne beginnen; Stephen Clark darf mit seinem schönen Bass leidvoll Schicksal und Erlösung der Menschen beschwören und später sanft die verstoßene Elisabeth auf ein besseres Jenseits vertrösten.
Auch die
musikalisch mächtig aufgeheizte, schaurige Szene der Bücherbrennung reizt zur maßlosen Wut über diesen Versuch der Inquisitoren dieser Welt, die Menschheit geistestot zu machen. Während die Schergen des Großinquisitors und die Wächter des Königs – als schwarze Raubtiere maskierte Tänzer  – die  “Hüter der Bücher” einer abartigen Folter unterziehen und die entsetzte Chor- Menge geflüchtet ist, lodert alle Bildung im Feuer der Dummheit und Intoleranz. Dunkle schwere Molltönte kontrastieren jäh mit der zu Beginn noch jubelnden Volksmenge. Die Macht des Wissens, der Weisheit und der Wahrheit aber läßt sich nicht verdrängen und verbrennen, und vertröstet darauf, wenn auch zur Stummheit verdammt, dass der Mensch weiterhin denken, schreiben und lesen wird. Und später demonstriert das Volk mit dieser großen flämischen Fahne, dem farbenfroh winkenden Symbol der Freiheit, für das sich der Marquis opfern und vielleicht Don Carlo nach Flandern gehen wird. Auch das ist eine großartige Szene innerhalb dieser dreieinhalbstündigen intensiven Aufführung. Das Ende bleibt in der Mystik verhaftet und wird dem Geschehen in ferner Zukunft anheimgestellt.

Es ist ein großes, fern der wahren Historie komponiertes Drama: ein leidenschaftlich komponierter Apell zu mehr Menschlichkeit und Freiheit, dessen Dynamik Orchester und Sänger einträchtig folgen. Temperament, Wut, Verzweiflung, grenzenlose Opferbereitschaft, wahnsinnige Liebe – Verdi hat alle menschlichen Emotionen, die sich im Kampf gegen Unterdrückung, Machtwillkür und einen pervertierten Christentum aufbäumen, wie einen Sturm in Noten schwelgen lassen. Wer wollte sich solch einem Sog wiedersetzen.
Für Carlos, Infant des Königsreichs Spanien, bricht eine Welt zusammen als der Vater, König Philipp II., für den Frieden mit Frankreich als Pfand die Tochter Heinrichs an Sohnesstatt fordert: Elisabeth von Valois, seine Verlobte, seine Braut, die er über alles liebt wie sie auch ihn. Doch was zählt das. Den Liebenden bleibt ein nur ein kurzer Tag, um vom Glück ins Elend zu stürzen. Wie kann ein Monarch so dumm sein und glauben, dass eine zur Ehe gezwungene junge Frau, un dazu noch Braut seines Sohnes, nun ihn liebt ? Das verwundert stets von Neuem, gehört aber wohl zur unweigerlichen Dramaturgie, um die Entfremdung zwischen Vater und Sohn ins Drama einzubinden. Also “Sie hat mich nie geliebt” ist einfach ein unsinniges Klagelied, intoniert aber von einem wundervoll hinschmelzenden Cello, ein klassischer Evergreen, der wohl  gar zu gern in jede neue Inszenierung transponiert wird.

Gleichwohl wird die tapfere Elisabeth, und man wird unweigerlich an die nun verstorbene große Queen erinnert, ihr persönliches Glück dem Wohl des Volkes opfern, auch wenn sie so leidet, das es Gott erbarmt. Denn wie mit tausend Messern schneiden die hohen Stimmen des Volkes in Elisabeth’s Herz als sie ihr Ja zum Bund mit Philippp verkündet; denn das Volks sieht sich endlich von Krieg und Not erlöst. Was kümmert es die Untertanen, dass da eine gekrönte junge Frau einen stillen Tod stirbt, endgültig, als des Königs Diener sie mit einer brilliantbesetzten Gesichtsmaske einschnüren, der Persönlichkeit und Freiheit berauben. Soli und Chor klagen gemeinsam, während die Videokamera auf Großaufnahme schwenkt und das Leid einer Königin offenbart. Und das Volk jubelt, denn es kann nicht wirklich in die Herzen ihrer Herrscher sehen, solange diese ihrer eigenen Fron, der höfischen Etikette, untertan sind.

Aber auch Philipp ist insgesamt in seiner gutmütigen Schwäche bemitleidenswert, wenn auch ein Verzeihen angesichts des knochigen alten Großinquisitors, der wie eine Mumie gnadenlos in seinem Thronsessel klebt, wirklich schwerfällt. Beide müssen ihre Rollen spielen, und die Wärme des einen kann die Kälte des anderen nicht brechen. Patrick Zielke, obschon ein sichtbar machtvoller Herrscher, zeigt Philipp gibt in seinem großen schwermütigen Monolog diew Tragik seiner Hilflosigkeit preis, hinter dunkler Strenge versteckt, und Taras Shtonda aus Kiew muss seinen grausamen Part sicher gegen alll die leidige Erfahrung seines Volkes spielen. Es ist wie das Donnergrollen zweier Titanen aus Odims Zeiten.

Der eigentliche Held aber in diesem Drama ist der Freiheitskämpfer und Freund Carlos’, Rodrigo  Marquis von Posa, auch wenn das politisache Thema hinter dem der Liebesverstrickungen in den Hintergrund gerückt ist. Das Elend, das Posa in Flandern sah und in Aufzeichnungen und Bildern heimlich mit nach Spanien brachte, um dieser beidseitigen Schmach – sowohl der des mitleidlosen Spaniens als auch der des unterdrückten Flandern – ein Ende zu setzen. Nur, das muß heimlich geschehen, denn der Großinquisitor wacht und ahnt bereits, dass Philipp hinsichtlich seines Sohnes schwankt. Eine harte Hand gegenüber Carlos befiehlt der Inquisitor. Im harten Rededuell mit dem König erweist er sich als der härtere Stein, der jede Macht für sich in beansprucht. Und diese Gefahr unterschätzt der Marquis. Philipps Vertrauens gewiss, möchte er Carlo, der ohnehin zur eigenen Sicherheit von Elisabeth getrennt werden muß, nach Flandern entsenden. Ein guter Plan, und der gewandte Rodrigo weiß alle Fäden der Diplomatie geschickt zu ziehen, überzeugt Elisabeth als Fürsprecherin, vermag Philipp seiner Treue zu versichern, würde nicht Carlos selbst mit unbedachter ehrlicher Heftigkeit alles jäh mit einem Volksaufstand zerstören. Michal Partyka ist ein charismatischer Marquis mit einem kraftvollen beweglichen Bariton, der überzeugen könnte, wenn die Welt so aussähe, wie Schiller und Verdi sich sie wünschten. Das großartige kongruent gestimmte Duett der Freiheit, dass die Freunde vereint, weist in diese visionäre Zukunft.

Dass die engelsgleichen Stimmen von Elisa Birkenheier und Nerita Pokvytyté als unsichtbare Dienerin an Christus’ Seite vemutlich zugleich einen Hoffnungschimmer sichbar machen, stimmt versöhnlich, und lindert auch die Schwere der Last, die Elisabeth mit herzzerreißenden Klagen verströmen läßt. Dass ihr Carlo eigentlich wohl ein sehr junger, verliebter Mann ist, der sich absolut unkontrolliert in seinen Gefühlen verausgabt, erleichtert ihren staatsmännischen Entschluss nicht, und man sieht und spürt wie Sarah-Jane Brandon um Widerstand und Fassung ringen muß, weil Carlos stürmische Liebe ihr kaum noch Luft zum Atmen läßt. Für Luis Olivares Sandoval eine Partie auf die große dramatische Stimme und sein Schauspieltalent zugeschnitten, und man würde ihm wünschen, sich nicht so um Kopf und Kragen zu singen. Denn die Inquisition hat seinen Vater fest im Griff!

Bleibt die verführerische schöne Hofdame Fürstin Eboli, bei Schiller ein fieses, intrigantes Weibsbild.  Verdi hat auch sie mit einem warmen Grundton bedacht und ihr Verständnis gezollt, denn sie liebt Carlo so heftig, wie dieser seine Elisabeth. Da schlechte Beispiele gute Sitten verderben, wundert es nicht, dass diese Dame ihren Carlo bei seinem Vater verrät und den Beweis – das Porträt Carlos – für die Untreue der Gattin postwendend mitliefert. Nicht nur Marquis Posa will ihr darob mehrfach an die gfiftige Gurgel, dann doch gebremst vom gutmütigen Carlos, ein hinreißendes Terzett! Aber Elisabeth greift nun ihrerseits durch und feuert die gute Dame, fort aus den Augen, fort vom Hof. Nathalie Mittelbach darf noch mit einem schmerzerfüllten Absschiedssolo vielmls die Tonleiter hinauf und hinunterklettern, dann muß sie dem Schicksal ihrer in Ungnade gefallenen Vorgängerinnen folgen.

Die Kostümbildnerin hat tolle Einfälle, und ihre Gewänder und Garderoben sind passend für Adel, Geistlichkeit und Knappen; die Nonnen tragen beinahe Sträflingsmuster, die Priester Violett mit spitzen Hüten, der König bleibt schwarz gewandet, Elisabeth glänzt in schönen kräftigen Farben, die Eboli zeigt sich extravagant und das arme Volk armselig.

Was wäre Verdis Musik ohne die Harmonie und Gewalt seiner Chöre, die die Emotionen immer wieder als “ewige Macht des Schicksals” leuchten lassen und das hohe Lied der Liebe, das Leiden im Verzicht, der Kampf um Freiheit und Gerechtigkeit, die leidenschaftliche Hingabe und das Licht des Erlösens transparent machen. Und eben diese Breite wird auch und immer wieder von allen Sängern in Stimme und Darstellung gefordert. Ein wirklich hohes Ziel, und wenn es erreicht wird, scheint der Mensch dem Himmel etwas näher gekommen zu sein.

Insgesamt nicht endenwollender Beifall für alle, die glücklich waren, diesen Premierenabend so großartig gemeistert zu haben. Bravo für alle, Macher und Mächtige, Leidende und Tröstende, für ein grandioses philharmonisches Orchester unter dem alle Kräfte vereinenden, dem Komponisten huldigenden Dirigat ihres neuen Maestro Marko Letonja aus Ljubljana. A.C.

 

 

 

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