ELIAS, OL

Oratorium für Soli, Chor und Orchester op.70
von Felix Mendelssohn Bartholdy; Uraufführung 26.August 1846, Birmingham
Oldenburgisches Staatstheater, 2022

Musikalische Leitung & Choreinstudierung: Thomas Bönisch, Inszenierung: Anthony Pilavachi, Dramaturgie: Saskia Kruse, Bühne&Kostüme: Markus E.Meyer, Licht: Arne Waldl

mit: Elias: Joaô Fernandes/Kuhun Yoon; Obadjah: Johannes L. Mass/Mark Serdiuk; Die Königin: Melanie Lang, Mathilda Kochan (szenisch), Marija Jokovic; König Ahab: Volker Röhnert,  Witwe/Sängerin: Martyna Cymerman; Erzengel: Esther Vis, Knabe/Greta: Carla Götz; General: Johannes Leander Maas, Engel: Lea Bublitz, Daniela Köhler, Erin Moran; Teufel: Sandro Monti, Logan Rucker, Tshihiko Matsui, Seung Jin Park. Erweitereter Opernchor und Damen des Extrachores, Oldenburgisches Staatsorchester, Statisterie des Oldenburgischen Staatstheaters

“Und sein Wort brannte wie eine Fackel” (Sir 48,1)

Mendelssohns Elias als Prophet der Krise

Dieser Elias fühlt sich sichtlich unwohl: unverstanden zum einen, zumal er in einen Anzug gezwängt,  bereits eingetacket ist, zum anderen, weil ihn das Publikum gerade verläßt. Das Auditorium, vor dem er die Macht und Heiligeit seines Gottes verkünden und die Verantwortlichen in der grassierenden  Hunger-und Dürrekatastrophe zur Rechenschaft ziehen will, fliehen flugs, als ihnen ungemütlich wird.  Der modnere Bezug zu heutigen Plagen, die nicht nur den zeitlichen Unglauben offenlegen, sondern die noch viele neue Götter verehrende Menschheit heimsuchen, ist im Ansatz gut gemeint, läßt sich aber wohl doch nicht ganz konsequent übertragen.

Denn Elias ist nun einmal ein Prophet der alten Welt. Nach Mose und Samuel, die als Gründer der Jahwe-Religion gelten, war Noah nun ein neuer Typus des Predigers und Refomers: er koopertiert nicht länger mit dem Königshaus, sondern will die Gemeinde ertüchtigen, zu  Mündigkeit im Glauben erziehen, fortbringen vom martialischen Baalkult zu seinem gewaltigem, helfenden, ebenso gütigen wie rächendem Gott. Elias Geschichte ist etwa im 9.Jahrundert vor Christus nach biblischer Auffassung einzuordnen. Im Nordreich Israel regiert König Ahab, mächtig, stolz, erfolgreich; das Land steht in voller Blüte – doch offenbart gerade die jetzige Dürre das Elend und die Not zwischen Armut und Reichtum. Als der König die phönizische Prinzessin Isebel, eine Anhängerin Baals, heiratet, erwacht diese alte Kultur erneut, und die Gruppen und Anhänger Jahwes werden ermordet.

Das Oratorium beginnt mit Elias, der das Massaker in der Wüste überlebt, bei seinem Gott um Erleuchtung, Kraft und Erlösung gesucht hat und nun nach Israel zurückkehrt, um zunächst noch milde und mitfühlsam dem leidenden Volk beizustehen, doch immer gewaltiger im Wort und in der unüberhörbaren Forderung auftrumpft, den Baalkult zu beenden und zu Jahwe zurückzukehren.  Für Jao Fernandes in dieser Aufführung eine große, gewaltige Aufgabe; denn zwischen geduldiger Sanftmut und wuttobender Brillanz des Eiferes und Verkünders des einzig wahren Glaubens bewegt sich der starke Bariton kraftvoll nicht nur zwischen den höfischen und proletarischen Welten, sondern auch zwischen den Höhen und Tiefen des Glaubens, die von ihm eine sichere wie sanfte Höhenlage abfordern wie in der tiefen Trauer um seinen gefolterten Mitbruder, den jungen Obadjah, den Mark Serduk weitsichtig und warnend, aber letztlich vom Meister überhört, kraftvoll toniert.
Elias gilt als Archetypus des Mönches, des Asketen, des Rufers in der Wüste der Ungläubigen, der unerbittlich gegen die falschen Götter und ihre Propheten kämpft, die ebenso, wie einst auch seine Glaubensbrüder, verfolgt und getötet wurden. Jetzt wütet er, und das Volk, zunächst noch den  seltsamen Wettstreit gespannt verfolgend, ob nun Baal den Regen bringt oder Jahwe und dabei zugleich den goldenen Stier vernichtet…und dann jubelnd- wie immer sich auf die Seite des Siegers schlagend – zu Jahwe zurückkehrt, nachdem Baal die Menschenopfer angenommen, aber keinen Regen geschickt hat. Jahwe hat augenscheinlich sehr wohl aber Wasser aus dem heißen Mittagsmeer in Wolken verwandelt  und dann über das verdurstende Volk ausgegossen. Zunächst also ein Erfolg. Der König setzt ein paar anerkennde Worte, eine engagierte Sängerin jedoch ironisiert eloquent  die Großartigkeit von Elias Gott, verhöhnt und lästert die angeblichen Wundertaten des Propheten.

Die Tötung der Baalpriester aber duldet keine Ironie, sondern setzt die Rachemaschinerie in Gang. Obadja wird zu Tode gefoltert, Elias in den Kerker verbannt, wo er, unerschütterlich ín seiner Liebe und seinem Glauben zu Gott selig in jenes Reich hinübergeht, das ihm die leuchtende Ewigkeit verspricht. Engel trösten ihn in seiner Verzeiflung, stärken seine Zuversicht und begleiten und leiten ihn mit reizendem Flügelschlag und ermutigenden Worten. Auch Martyna Cymerman als atemberaubender, singender Vamp, erbarmt sich nun des sterbenden Propheten und versucht, sein Leid zu lindern. Doch das Gift, das sie bei Hofe ausschüttete, hat lange schon gewirkt. Für Elias kommt ihr Mitleid zu spät.

Dass er in der hebräischen Geschichte eine große Bedeutung als Sozialreformer einnahm, auch als Wundertäter wahrscheinlich mit medizischen Erfahrungen und menschlicher Psychologe vertraut war, ist  allerdings nur in der Bibel nachzulesen. Er war auch ein Seher, ein Ahnenderr um die Geschichte seines Volkes. Er wollte weder Rache noch Selbstbetrug, er war beliebt und konnte sich darauf verlassen, dass sein Volk Gottes Botschaft trug und weiterlebte. Das ist in dieser Inszenierung wie  auch bei Mendelssohn Bartholdy nicht vorgesehen. Die Handlung reduziert sich auf die Auseinandersetzung um die Baalgötter, die Bewältigung und Warnung vor der uneinsichtigen Poltiik, die nur die Mächtigen reicher machte und die Bauern immer mehr verarmen ließ – wobei natürlich die  vernachlässigte Versorgung und ländliche Verödung sowie die religiöse Verarmuing nicht nur zu Elias, sondern auch zu Mendessohn Zeit insgesamt den politischen Anstoß zu diesem Oratorium gab.

In dieser Inszenierung gibt es noch eine kleine Ausschmückung mit der zarten Carla Götz, die nicht nur in der Rolle als Knabe engelsgleich in eine begnadete stimmliche Höhe klettert, sondern auch klar und klangvoll Greta Thunbergs Anklage gegen die blinde Gesellschaft in der heutigen Zeit vorträgt.   Es hat sich seither in dieser Hinsicht wohl auch nicht viel geändert, Das Rad der Geschichte hat immer wieder Wogen aufgewühlt und ist auch wieder zur Ruhe gekommen. Was in der heutigen Zeit allerdings sicher noch einiger Anstrengungen und Einsichten bedarf.

Das Schönste und Machtvollste in diesem von dem begnadeten jungen Felix so kunst- und klangvoll komponierten Oratorium ist nicht nur die große dramatische Rolle von und für Elias, sondern auch und nicht weniger von emotionaler Eindringlichkeit sind die hinreißend mit dem Geschehen verknüpften choralen Arrangements, Versionen und Visionen. Und durch die Intensität, mit der das Volk sich Gehör verschafft, mit der es jubelt und preist, und klagt und verurteilt, kommt diesem Werk- auch und vor allem in dem geschichtlichen Kontext seiner Zeit – auch eine revolutionäre Bedeutung zu. Das Orchester beherzigt dieses Anliegen mit voller Intensität.

Dass die letzte Szene strittig ist, könnte an der Plakatvität liegen, die der flotte eitle General –  Johannes Leander Maas  – mit eher komödiantischen Habitus herunterspielt. Denn dass diese Übernahme der Macht bei Hofe doch an die trübste Geschichte des jüdischen Volkes erinnern soll, ist wohl durchsichtig, zumal die als blonde Hollywoodschönheit glitzernde Martyna Cyberman nicht mehr nur als ironische Sängerin brilliert, sondern als hingebungsvolle Gattin des Generals, und der Hof betet ohne Herz die frommen Bibelworte, die es einst in der Schule lernte, floskelartig nach. Aber es ist alles nur bitterer Hohn und todbringender Spott.

Ein großes Erlebnis. A.C.

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