Energetic Emotions, OL

Drei choreografische Aufführungen
Oldenburgisches Staatstheater, 2023
Expressive Slide von Regina van Berkel; ,mit Alexandra Policaro, Garance Vignes, Ryan Drobner, Diego Urgandarin, Fran Kovacic
Hammer von Martin Chaix; mit Teele Ude – Seu Kim, Vienna Pokorny – Diego Urdangarin; Nicol Omezzolli – Noah Franck; Alexandra Policaro – Lester René González Alvarez, Elisabeth Cohen – Fran Kovacic sowie Amaya Simon/Keiko Oishi
Fünf Tangos von Antoine Jully; mit Policar – KIm; Cohnen – Urdangarin; Vignes- Pokorney/Franck; Omezzollo – Konvacic; Ude – Alvarez; Amaya Simon – Ryan Drobner

Im Zeitgeist gespiegelt

Auf und an einem Tisch im engsten Raum, der kaum Platz zum Verweilen anbietet, vor einer bizarr gezackten Wandkulisse, deren abstrakte Formen dem Stararchitekten Frank Gehry nachempfunden sind, ringen und schlingen sich vier Tänzer und eine Tänzerin umeinander, kämpfen, tollen, verbinden sich oder finden in irgendeiner flüchtigen Figureneinheit zusammen, um sich gleich wieder zu lösen, um vereinzelt irgendwo Halt oder Platz zu suchen – das alles ist begleitet und eingefügt in die “spröde” und tastende” Klangkonstruktion von Stefan Betkes “Rondell zwei”. Vertraut und doch befremdlich beschreibt hier wohl die Choreografie den beinahe alltäglichen Versuch einer Gruppe, einer Familie, einer lockeren Gemeinschaft, sich mitzuteilen, zu verständigen oder auch nur zunächst einmal einen Platz zu finden.

Vergeblich. Erst als sich die Wand auflöst, sich die zackige Felsenkulisse in den Hintergrund schiebt, trtit eine neue Gemeinsamkeit zutage: die Tänzer scheinen befreit von aller Enge; jetzt können sie den Raum in Besitz nehmen, sich paarweise oder einzeln neu orientieren, und sich in einer anderen Welt freier fühlen und bewegen. Die Komposition von Johan Adams aus dem Jahr 2003  “The  Dharma at Big Sur” soll den gewaltigen Augenblick des “Erkennes der Freiheit” beschreiben und läßt die Traumtänzer aus einer “abstrakten” Wirklichkeit in eine individuelle Freiheit  – einem Wirbelsturm gleich-  eintreten. Wenn man weiß, dass hier die Kulisse die Klippen der Steilküste Kaliforniens nachbildet, und Wasser und Luft als Symbole des ewigen Kreislaufs der Natur mit ihrer ganzen Energie auf die Menschen einwirken und sie zu neuen Kreativität anspornen, so erzielt das tänzerische Szenario einen wunderbaren Effekt: Angespornt von einer elektrisch verstärkten Solovioline, die eindrucksvoll in Höhen und Tiefen in einen rauschenden Sog zieht, fließen und gleiten die Künstler paarweise und zugleich auch als Gruppe voller Individuen in ihre eigenen Welten in einem ewigen Sich-Neu-Erfinden, wie im “Portamento” oder der “Blue Note” des Jazz, wo die Instrumente aufeinander eingehen, miteinander verschmelzen und sich wieder in neuen Abläufen fortentwickeln.

Hammer. Nach dem farblich nuancierten ersten Bühnenbild wird es jetzt dunkel, nur im HIntergrund blitzen langgezogene Lichtstreifen durch die graue Wand. Eingesperrt? Wieder die Suche nach einer möglichen Befreiung? Die Tänzer durchstreifen paarweise die Bühne in einer strengen und harmonisch konstruierten Raumaufteilung in exakten Rhythmen und bewegungsgleichen Abläufen iin einer faszinierenden Gleichförmigkeit, zu der die Kostüme – flatterhafte feenzarte Hemdchen – so gar nicht recht passen wollen.
In seiner Choreografie verbindet und kontrastiert Martin Chaix das “Konzert für Klavier, Streicher und Pauken ” der Russin Galina Ustvolskaya aus dem Jahr 1946, ihre rhythmische Strenge und tänzerische Poesie, mit dem Stück “Der Bote” des  85jährigen ukrainischen Komponisten Valentin Silvstrov als dramatische Verdichtung zur derzeitigen politischen Situation in der Ukraine. Die kaum lichtdurchlässige Wand, deren Fugen sich bis zur beinahe absoluten Dunkelheit verändern, setzen in ihrer düsteren Prognose symbolisch starke Akzente.

Während die russische Komponistin meinte, sie habe den großen, früh verfemten und später angepassten Komponisten Schostakowitsch beeinflußt, der als aufsässiges Genie schonungslos und leidenschaftlich alle bisherigen Harmoniegrenzen für das russische Ohr mit seinen Tsunami ähnlichen Kompositionen überrollte, den großen Diktator verärgerte (und damit seine einzige große Oper “LadyMcbeth von Minsk” nach der Premiere fast ein Leben lang nicht wieder aufführen durfte), wurde die avandgardistische Musik der Ustvolskaya erst spät gewürdigt. Von der Kritik als “Frau mit dem Hammer” bezeichnet, greift der Choreograf nicht nur deren weitgefächerte, disharmonische Vielfalt auf, sondern zugleich den sicher auch von seiner Eigenschaft als Ingenieur beeinflussten und als “neoklassisch und postmodern” bezeichneten Stil Valentin Sivestrovs (1937 in Kiew geboren, heute in Berlin im Exil lebt) auf, um beide dann mit eigenen modernen Elementen bis ins 21. Jahrhundert zu führen.
Aber choreografische Kunst mag in all ihren historischen Grundlagen und deren Zusammenwirken ein großes Bild der Kongenialität entwerfen, für die Compagnie, ihre Regisseure und das Publikum besticht sie in der in der souverän umgesetzten klassischen Spannung zwischen Leichtigkeit und Schwermut, zwischen dem lebenslustvollen, bejahenden Prinzip und seinem Gegensatz, der vernunftsorientierten Ausrichtung. Den kontrollierten, festgesetzten Formen folgt die Leichtigkeit des Seins, der Freiheit und das Berauschende im schöpferischen Prozess. Und damit ist auch die Kostümwahl erklärt.

Die fünf Tangos von Antoine Jully zeigen in engster Verknüpfung des klasschen mit dem freien Ballett –  neben den kaum mehr wahrnehmbaren rigiden Rhythmen der spanischen Geschlechterkampfes  – in dieser symbiotisch arrangierten tänzerischen Ausformung ein neues, zeitgemäßes Paar- und partnerschaftliches Miteinander. Der Kampf um die Vorherrschaft mag unterschwellig stets vorhanden sein, aber hier eher als gleichwertige Auseinandersetzung und dem Herausfinden der eigenen Möglichkeiten in der Beziehung. Tänzerisch folgen in fünf Bezeichnungen oder Zuständen eingetaktete Variationen mit spannungsreichen Intermezzi der einzelnen Paare, die, mal als Formation im Ganzen, dann wieder vereinzelt – ihre Interpretation von Piazzollas Musik in dynamisch artifiziellen bis zärtlich hingebungsvollen Bewegungen erleben und erklingen lassen. Leidenschaft, Sehnsucht und Melancholie werden dabei hinter der tänzerischen Brillanz durchaus sichtbar und spürbar. Wobei zuweilen in der Absicht, in der kunstvollen stilistischen Verbindung von vielfältigen, phantastischen und artistischen Variationen die Balance zu forcieren, die Emotionalität der Rationalität weicht. Was mit begeistertem Applaus gefeiert wurde. Dies könnte sich wiederum, nach einer Erkenntnis des Philosophen Hegel, als ein Spiegel unseres Zeitgeistes erweisen. A.C.

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