Internationale Tanztage: Fosssile , OL

“Fossile” von und mit Martin Harriague und Pauline Bonnat

Korzo Produktion Den Haag und CCN Malandain Ballet Biarritz

im Staatstheater Oldenburg, 2023

Choreographie, Szenographie, Lichtkonzept und Kostüme: Martin Harriague; Musik von Franz Schubert, verschiedene Werke & Musikcollage, Bühnenbild Loic Durand und Frederic Vade, Assistenz des Choreographen: Francoise Dubuc

Planet der Wiedergeborenen

Die Schwere des Werdens, die Leichtigkeit des Seins – Was war zuerst? Das Chaos oder das Paradies – nach bisherigen Wahrscheinlichkeiten war es das Chaos, und aus diesem wuchs das Leben aus einem winzigen Zellkern, wuchs und wuchs und wandelte sich, und eines Tages wurde es aus dem Meer mit mächtigen hohen Wehen ausgespuckt. Das neue Wesen war nackt und krümmte sich, wusste nichts mit sich anzufangen und flüchtete in eine Höhle. Aus dieser flogen eines Tages, nachdem das Wasser sich zurückgezogen hatte, eine Menge weißer grober Knochen in die halbdunkle Welt, und der Mann kroch ebenfalls heraus, verwundert, was denn diese Knochen bedeuteten; er stapelte sie aufeinander und meinte, sich mit ihrer Hilfe nun vorwärts bewegen zu können. Er nahm das Skelett vor die Brust und betrachtete den toten Schädel. Alles passte irgendwie und auch auf seinen Körper? Da kam die Frau hinzu, aus der Höhle oder aus dem Nichts – oder sie war schon immer da, und beide wunderten sich.

Nun setzt die bezaubernde, wundersame Musik von Franz Schubert ein und begleitet das Paar auf seiner Menschwerdung fortan. Die Frau tanzt ihren befreienden Tanz der Auferweckung, und als sie des Mannes gewahr wird, nimmt sie ihn unter ihre Fittiche. Das  ist nicht leicht, knickt dieser doch immer wieder weg, bricht zusammen, liegt da wie tot, egal wohin sie seine Gliedmaßen dreht und schwenkt,  ob sie ihn vor sich herschiebt und auf den Rücken nimmt, ob sie ihn mit ihren Armen und Beinen umwickelt wie eine Qualle, ob sie ihn an ihre Brust zieht, er bleibt eine bewegungslose Puppe – aber er atmet, und die Frau gibt nicht auf, bis sie ihn schließlich soweit stabilisiert hat, dass er sich bewegen, ja sogar Sprünge und Drehungen machen kann. Und kaum fühlt er Leben in sich, da will er herrschen! Die Frau manipulieren, bestimmen und sie drangsalieren. Aber  dann wundert er sich. Denn die liebe sanfte Frau findet, dass sie diejenige sein sollte, die hier das Tempo und die Richtung angibt. Und das macht die unglaublich biegsame Pauline Bonnat sehr geschickt und diplomatisch – bis sie beide ein harmonisches Paar sind, nachdem es sich durch alle denkbaren Verschlingungen und Verstrickungen hindurch freigetanzt hat. Mit immer neuen kapriziösen Stilmitteln und Figuren, die sich ein Choreograph nur auszudenken vermag, werden sie miteinander eine neue Menschheit begründen. Das war der phantasievollste Paartanz, den man wohl hier je sah.

Im Licht, das nach und nach aus dem Dunkel der Höhle ein schmuckes efeubekleidetetes Eigenheim für Adam und Eva hervorzaubert, posieren die Beiden nun im bukolischen Ambiente – die neue Geburt der Venus von Botticelli. Nur zögernd gesellt sich Adam, dem das alles noch immer nicht ganz geheuer ist, dieser Schönheit zur Seite: Venus und ihr Geliebter. Auch ein bißchen Goethe: das Weibliche zieht ihn hinan! Natürlich hat sich nun auch die Musik von Schubert fort in die neue Zeit hineingewagt und verkündet tapfer schwungvollen Optimismus für eine neue Menschheit.

Martin Harriague ist nicht nur ein umwerfend phantasievoller und intelligenter Tänzer, er hat auch die Choreographie, die Szenographie und das Lichtkonzept, assistiert von Francoise Dubuc, entworfen. Chapeau! A.C.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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