Michael Kohlhaas, B
Schauspiel nach Heinrich von Kleist
Vagantenbühne Belrin, 73. Sspielzeit – 2023
Regie/Bühne&Kostüme: Lars Georg Vogel, Dramaturgie: Fabienne Dür, Regieasistenz: Abendspielleitung: Cosima Krupskin, Technische Leitung: Malte Hurtig, Bühnentechnik: Henry Mampe
mit Natalie Mukherjee als Michael Kohlhaas, Magdalene Artelt als Schlosvogt, Kurfürstin, Erzählerin; Stella Denis-Winkler als Wenzel von Tronka, Erzählerin, Luther, Senita Huski´c als Heerse, Lisbeth, Wahrsagerin Elisabeth.
Recht durch Gewalt?
Ferdinand Grimm soll unter anderem einmal gesagt haben, dass “Schauspieler ein besonderes Talent benötigten, um ein Stück von Heinrich von Kleist zu spielen”. Was mag er damit gemeint haben? Ernsthaftigkeit, Courage, Persönlichkeit, Einfühlungsvermögen? Diese Eigenschaften jedenfalls zeigten die vier Schauspielerinnen in ihrer Kleist-Adpation des bis zur blinddwütigen Raserei um sein Recht kämpfenden Rosshändlers Michael Kohlhaas. Zwar fehlt den Vagenten bekanntlich die großflächige Bühne, aber in dem möglichen Format des Kammertheaters zwischen einem teils erzählten und gespielten Handlungsablauf können sie nicht nur den vielen Schülern, die ihre Stücke anschauen, ein gutes Beispiel dafür geben, wie man eine kunstvolle alte Sprache handhabt, sondern auch, wie sich Kleist’s Charaktere im Sprachspiel lebendig ausformen lassen.
Natalie Mukherjee denkt sich absichtlich nach und nach in die Personlichkeitsstruktur des so schäbig von der Landesobrigkeit – nämlich dem willkürlich handelnden Wenzel von Tronka – behandelten Pferdehändlers hinein. Ihre Emotionen wachsen gleichziehend mit der immer größer werdenden Ungerechtigkeit der Gerichte und der Sippe der Gutsherren; zunächst getrieben von Fassungslosigkeit, als man ohne ersichtlichen Grund von ihm einen Passierschein auf dem altbekannten Weg von seiner Stadt zum Markt verlangt, und, als Kohlhass nicht bezahlen will, ihm seine beiden Rappen als Pfand abnimmt, samt Stallknecht. Dieser, geschunden und mißhandelt fortgejagt, berichtet seinem Herrn von weiterer böser Willkür: die Pferde wurden zur Feldarbeit getrieben, schlecht ernährt und geschunden, wie auch er selbst. Für den gesetzestreuen und auf die nächste instanz hoffenden Kohlhaas bricht eine weitere Welt zusammen, als man seine Frau, die statt seiner beim Gericht vorsprechen wollte, dort mißhandelt und tödlich verletzt. Seine Wut verwandelt sich in Raserei, mit der eine anwachsende Schar Gleichgesinnter brandschatzend durch das Land zieht, um sich mit revolutionärer Gewalt gegen die Willkür der Obrigkeit Genugtuung zu verschaffen.
Mit der frechen Sicherheit des Landadels können sich die Schauspielerinnen u.a. in die Rolle derer von Tronka begeben und den verunsicherten Kohlhaas, der ob des Todes an seiner Frau in kriminelle Raserei gerät und damit als angreifbarer Schuldiger dasteht, ins Aus schicken. Häme, Hochmut und Ignoranz jeglicher Menschenwürde der einfachen Bürger können auch sprachlich, gestisch und mimisch ohne viel bühnentechnischen Aufwand – gezielt auch mit Licht- und Beleuchtungseffekten – transparente Bilder erschaffen. Doch auch die souveräne Güte eines Landesherren – wenn man das politische Kalkül der Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen außer Acht läßt – kann den Kläger gegen die erlittenen Mißhandlungen nicht beeindrucken. Auf Verhandlungen und diplomatischen Ausgleich ist ein einfacher Rosshändler nicht bedacht, sein bürgerliches Staats- und Rechtsverständnis ist gradlinig und kennt auch kein Pardon für die eigenen Fehltaten. Hätte sich nicht der anfängliche kleine Aufstand bereits zu einem Flächenbrand ausgeweitet, mit oder ohne Verschulden von Kohlhaas, und die Horde seiner Anhänger Land und Stadt in Brand gesetzt und zuviel Unheilt angerichtet, wäre ihm sicher Gerechtigkeit zuteil geworden. Denn auch Martin Luther, hier in einem kurzen, prägnanten Gespräch in seiner Autorität angedeutet, wird für ihn beim Kurfürsten ein Wort einlegen. Doch letztlich aber steht das erlittene gegen das selbst verursachte Unrecht, Willkür gegen Willkür, Aufstand gegen die Obrigkeit, Mißachtung der bürgerlichen Rechte, Mord und Totschlag.
Wie klein und traurig und doch in seiner selbstgerechten Festigkeit groß ist dieser Mann, einst angesehener Bürger und wohlhabender Händler, nun in seinem Kerker. Er verlangt keine Begnadigung, keinen Deal, er überläßt seine sechs Kinder der Obhut des Staates, er will sein Recht, und er will büßen, bezahlt er es auch mit dem eigenen Tod. Der Wahn der Rache, nach Genugtuung, nach gesetzeskonformer Rechtsprechung verdrängt in ihm die Verantwortung, die er für seine Familie, seine Kinder und sich selbst trägt. Und er weiß nicht, wie viele Menschen, dass eine allgemeingültige Rechtsprechung nicht gleichbedeutend mit einer dem Individuum angepassten absoluten Gerechtigkeit ist. Zur Zeit von Kohlhaas, in der das Recht noch immer ausgehebelt werden konnte durch politische Verhandlungen, Privilegien der Mächtigen des Adels oder des Geldes, hätte es da eine gewaltfreie Möglichkeit gegeben, um gegen willkürliche Mißachtung bürgerlicher Rechte einzuschreiten?
Das sind Themen für ganze Generationen von Abiturienten… A.C.