Die Krönung der Poppea, HB

Opera musicale von Claudio Monteverdi
Text von Giovanni Francesco Busenello
nach dem 13.und 14.Buch der “Annalen” des Tacitus
und dem Drama “Octavia” aus der Schule des Seneca

Theater am Goetheplatz, Bremen, Juni/Juli 2023

Musikalische Leitung: Christoph Spering; Regie: Tatjana Gürbaca, Dramaturgie: Caroline Scheidegger, Bühne und Licht: Klaus Grünberg, Anne Kuhn, Kostüme: Silke Willrett und Carl-Christian Andresen, Chor: Alice Meregaglia

mit: Marie Smolka/Adele Lorenzii-Favart: Poppea; Ulrike Mayer: Nerone, Kaiser; Constanze Jader: Ottavia, Kaiserin; Christoph Heinrich: Seneca, Lehrer und Philosoph; Amor: Gaizka Chamizo; junger Amor: Navin Felgendreher/Aischa Steinkamp; Ian Spinetti: 1.u.2.Soldat und Lucano/Liberto; Daniel Ratchev: Littore; Dmitry Egotow: Ottone, Poppeas ehemaliger Geliebter; Elisa Birkenheier: Drusilla; Christian-Andreas Engelhardt: Arnalta, Poppeas Amme; Matteo Cammarate: Nutrice, Ottavias Amme;

Chor des Theater Bremen, Continuo: Joachim Held, Susanne Peuker: Theorbe, Jörg Hitz, Klaus Westermann: Cembalo, Es spielen Musiker der Bremer Philharmoniker: 1.u.2.Violine, Violoncello, Kontrabaß

Amor und die Morde der Geschichte 

Eine außerordentliche Inszenierung, leider nur in dieser Besetzung und daher nur zwei Monate lang im Programm. Wer diese pikant abgestimmte, dekorativ-moderne Inszenierung und das bizarre, leichtfüßig daherkommende –  und, ja, wenn man den akrobatischen Amor betrachtet – dahergesprungene Spiel vor ein paar Palmen auf nackter dunkler Bühne mit spielfreudigen Sängern und Musikern anschauen und hören konnte, so muss man sich doch fragen, ob nicht die ganz alte Musik zu den schönsten Erbstücken der Operngeschichte zählt.
So wie Monteverdi und sein begnadeter Poet Busenello ein Drama von subtiler Brutalität mit geschichtlich nicht zu beschönigenden Charakteren der schlimmsten Psychopathien vorstellen, die ein großes Reich zugrunde regierten bis neue Despoten aus der Asche wieder auferstanden, ist das alles eigentlich weder amüsant noch unterhaltend. Eigentlich. Aber in Zeiten des 15 Jahrhunderts galt die schaurige Erinnerung an die Untaten Neros und seiner machtgierigen Geliebten Poppea als heitere Unterhaltung für eine barock-genußfreudige Gesellschaft; sicher, man gruselte sich vielleicht ein wenig, bezog aber  die Dekadenz so gar nicht auf die eigene Zeit. Denn erstmals haben der Komponist und sein Librettist hier alle Tabus über Bord geworfen, auf Götter und Mythen verzichtet und zum erstenmal nach Tacitus’ Aufzeichnungen wahre Menschen in musikalischer Darstellung vorgeführt..

Kaiser Nero wird von Ulrike Mayer gesungen und gespielt. Abgesehen davon, dass im Barock die Männerstimmen von Kastraten gesungen wurden, auch ein Zeichen unglaublicher Dekadenz und Menschenverachtung, stellt sich hier die Frage “Warum”? Sollte es keine männliche Stimme geben, die dieses amoralische Ungetüm glaubhaft auf die Bühne bringen könnte? Die Erklärungen im Programmheft kann man akzeptieren, muss man aber nicht. Obwohl Ulrike Mayer durchdringend alle emotionalen Register der schwierigen Aufgabe meistert und diese Rolle betörend singt (und sich wie ein rasender, blutrüstiger Kobold gebärdet als sie Ottone und Drisilla in die Verbannung und damit ins Jenseits befördert) könnte man doch fragen, warum die zur Zeit so auf ihre unantastbare weibliche Würde bedachten Frauen (und Künstlerinnen ganz besonders), einen derartigen Unhold verkörpern wollen, und warum sich die männlichen Sänger diese Rolle heutzutage nehmen lassen? So wie man mit Dimitri Egorow auch einen Countertenor als Ottone engagiert hat, wäre eine helle Stimme für Nero sicher auch passend, seinen zwiespältigen Charakter kennzeichnend und entlarvend gewesen? Außerdem hat man natürlich in Erinnerung, dass mit Nero ein abschreckender, widerlicher Lüstling in der einmaligen Darstellung des großen englischen Schauspielers Sir Peter Ustinov für alle Zeiten geprägt wurde. In Bremen ist er ein schlanker, hübscher, blind verliebter, leicht bekloppter Schwachkopf, der nicht wirklich so schrecklich wirkt, wie er sein sollte!
Weiblichkeit pur und gleichermaßen machtversessen und bösartig wie einst Shakespeare’s Lady Macbeth allerdings darf Marie Smolka als Poppea sein, die in ihren lasziven Liebesbetörungen noch so viel Bösartigkeit und tückische List aus den Augen sprühen lässt, dass man ihr trickreiches Verführungsspiel nur allzu schnell durchschauen sollte, aber da sei Amor vor, der sie bis in den Schlaf hinein behütet und die Attentäter austrickst. Das Getümmel der liebes – und lustbesessenen Getreuen, mit denen Kaiser Nero zu prassen pflegte, kann nur andeutungsweise mit sich windenden Körpern in grellbunten Kostümierungen verfolgt werden. Das genügt auch, denn die alten Instrumente und der faszinierende sprechartige Beigesang, der das Spiel fortschreitend illustriert, ist mit dieser beinahe sphärischen, zuweilen poetisch zart gestimmten und dann wieder dramatisch fordernden Sprach-Spiel-Gesangstechnik von großer Eindringlichkeit. Und der Narr, dieser Amor, ein geschmeidiger, sich durch alles Geschehen hindurch windender Genosse der Liebe, einerlei, welchen Zwecken sie dient, spielt so unbarmherzig mit den Herzen aller, dass er wahrlich teuflisch daherkommt.

Natürlich ist Christoph Heinrich ein wunderbar abgeklärter, wenn auch durchaus betrübter großartiger Philosoph; doch weder reichen seine klugen Aphorismen noch seine liebevoll warnenden Gesten und Worte für Nero aus, um ihn vor dem eigenen Todesurteil zu retten. Er fügt sich, wie einst auch Sokrates,  ergeben in sein Schicksal, wohl wissend, dass alle Weisheit der Welt ihn nicht vor Dummheit,Tollwut, Machtgier, Liebeswahn und was es sonst noch alles an sich selbst und andere vernichtenden menschlichen Eigenschaften gibt, zu retten vermag.

Nachdem die Bühne nur noch ein Feld voller Toter ist, die Musik leise verklingt, Nero und seine Geliebte noch ein letztes schmelzendes Duett gesungen haben, zeigt sich Poppea bis ins Mark erschüttert, am ganzen Körper zitternd, erstmals sich ihrer Bluttaten bewusst, verlöschen die drei großen Leuchtkugel auf der Bühne, und alles taucht ins volle Dunkel der Geschichte. Dass der Kaiser und seine neue Kaiserin so enden wie sie selbst geherrscht haben, ist bekannt. Wohl seltener wird aber dieser Wahnsinn so expressiv dargestellt. Ein Kleinod der vergangenen Spielzeit. A.C.

 

 

 

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