Ewig Jung, B

  Ein Songdrama von Erik Gedeon

Regie: Erik Gedeon, Assistenz Sarah Schermuly, Bühne Frank Herzog, Kostüme Dagmar Fabisch, Maske Sabine Guthke-Pooch, Licht: Gerhard Littau, Ton Kamen Sheljasov
Eine Produktion des Renaissance-Theaters Berlin, Premire am 4.Oktober 2009

mit: Angelika Milster als Schwester Angelika,, Harry Ermer als Herr Ermer, Katharine Mehrling als Frau Mehrling, Dieter Landuris als Herr Landuris, Tomi Dierkes als Herr Dierkes, Guntbert Warns als Herr Warns, Anika Mauer als Frau Mauer.

 Evergreen mit tollem Ensemble

…und sie läuft und läuft und läuft, diese überbordende Produktion: mit Heiterkeit und Tiefsinn, mit Spaß an einem schwierigen Objekt, nämlich dem Älterwerden. Als das Ensemble mit dem Aufführungsreigen 2009 begann, waren alle jung und älter geschminkt, heute sind sie etwas älter und noch älter geschminkt, beinahe so absurd, dass die Insznierung jetzt schon beinahe an die Adams-Family erinnert, wäre sie nicht so voller Übermut und musikalischem Schwung . Wobei natürlich auch hin und wieder einige Ernsthaftigkeit impliziert ist. Dennoch alles in allem ein wahnsinnig groteskes Horrorszenario, in dem die Alten von der adretten, dem Sarkasmus nicht abgeneigten Schwester Angelika so überaus fürsorglich betreut werden, und ihr dennoch immer wieder entwischen, um sich auf eigene Faust nach Bedürfnis und Vermögen zu vergnügen, allerdings dann doch leider in Grenzen.

Einige Gags sind natürlich mittlerweile hinzugekommen, da sich ja auch die Eigenarten der Menschen im zunehmenden Alter ändern, nicht immer zum Vorteil für alle, aber doch mit viel Humor zu bewältigen sind. Die Masken sind herber geworden, die Ringe tiefer oder dicker, je nach Sitz, der Rücken gebeugter, die Macken unerbittlicher, die Wut über all das, was man nicht mehr kann, wird größer, aber man fügt sich auch wieder in das gegebene Schicksal. Was am besten funktioniert, ist die Erinnerung:  selig geradezu, wenn Frau Mehring, schlank und schwarz gewandet, vornehm im Äußeren und  gewaltig ordinär sich den Stil ihrer Jugend bewahrt hat, wo man freie Liebe pflege, Tag und Nacht konsumierte, die Bands und ihre Bandleader liebte und eine totale Freiheit hatte – jedenfalls in der Erinnerung. Jetzt faucht sie ihre Umgebung ungnädig und unflätig an, untermalt und kommentiert eigene wie anderer Leute Worte mit unglaublicher Mimik  – jeder Satz ein Lacher. Ebenbürtig Frau Mauer, kurzer Rock, krummer Rücken, Schalk hoch Drei im Gesicht lässt sie das Publikum teilhaben an ihren ungewöhnlichen Einfällen, mit denen sie allesamt aus ihren Sesseln wirbelt, den lethargisch-behäbigen Herrn Dierks, der sich nur noch mit albernem Blöken äußert, ab und zu allerdings verbotene Sachen aus der Truhe angelt wie eine dicke Zigarre, die sich allerdings bald als Haschisch-Delikatesse für alle entpuppt, Jeder darf mal einen Zug tun, was ein mittelschweres Chaos zur Folge hat:  jetzt wollen alle tanzen, nachdem Her Dierks ein geradezu überwältigend perfektes Potpourri aus allen alten Songs  ihrer Flower-Power, Antikriegs-und Liebe- für- immer-Zeit aus seinen gewaltigen Stimmbändern hervorgezaubert hat, begleitet von dem unverständlichen und einfühlsamen Herrn Ermer am Klavier. Auch Anika Mauer zeigt mal zwischenzeitlich, was sie noch immer am Saxophon so drauf hat, bis die blonde Schwester ihr das Instrument hartherzig fortnimmt.

Eine Steigerung ist wahrlich nicht mehr möglich, nachdem sich Beine und Rücken dem Rhythmus widersetzen und aus tänzerischer Anmut  hinfälliges aneinander-festhalten-tanzen geworden ist. Da muss der gepflegte Herr Landuris schon mal sein Goldfischglas aus der Hand geben, wenn die wütende Nachbarin ihn ergreift, und auch Herr Warns, der so nett zaubern kann, bewältigt den Tango nicht mehr ganz so perfekt wie einst und ist froh, dass seine geliebte Gattin ihm Halt gibt, wenn sie ihm auch ganz gerne mal ein Bein stellt oder ihn  kräftig schubst. Das scheint auch überhaupt eine beliebte Geste in der Runde alter Leute, für die sich Schwester Angelika auf ihre Weise zu rächen versteht: nämlich von Zeit zu Zeit mit  treuherzigen Gute-Nacht-Liedern anzustimmen, samt einer Zugabe, die wirklich böse ist. Aber da ohnehin keines ihrer Schäfchen zuhört, trifft es die alten Leute nicht. Lass sie doch machen, ist ihre Divise. Man kennt sich, weiß, wie alles jeden Tag wieder funktioniert und ist sich selbst genug. Gehorcht aber dennoch, denn so ganz alleine wäre das Leben doch zu schwer zu meistern.

Stehende Ovationen eines nicht minder ausgelassenen Publikums.

 

 

 

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