Tartuffe, B

Der Rest der Familie ist weniger begeistert. Die Zofe Dorine wittert gar Betrug. Aber Orgon verspricht Tartuffe die Hand seiner Tochter und enterbt den Sohn, um den Prediger zum Alleinerben einzusetzen. Nicht einmal die amourösen Avancen, die Tartuffe schamlos Orgons Ehefrau macht, will er gesehen haben. Erst als seine Frau Elmire ihm in einem arrangierten ScheinRendezvous die Lüsternheit Tartuffes beweist, wird Orgon der Betrug klar. Doch dann ist es zu spät …Bild und Text: Ann-Marie Schwanke
Jean­ Baptiste Poquelin alias Molière, der Großmeister der französischen Komödie, hat sich mit seinem „Tartuffe“ selbst viele Probleme bereitet. Die schonungslose Kritik, die er darin am Klerus betreibt, ließ ihn in der Gunst seines Herrschers und Förderers Ludwig XIV. sinken. Erst nach dreimaligem Umarbeiten durfte der „Tartuffe“ die Bretter und die Herzen seiner Zuschauer erobern. Zeitlos aktuell ist dieser schamlose Betrüger, der sich als charismatischer (Ver­)Führer gibt. Molière hält mit seinem beißend kritischen Humor einer Gesellschaft, die solche Blender möglich macht, den Spiegel vor.( RT)

Künstler/Beteiligte: Stefan Jürgens (Tartuffe), Emese Fay, Ingo Hülsmann, Christin Nichols, Dirk Nocker, Martin Schneider, Skye MacDonald, Flavia Lefèvre, Maxim Kurze, Aaron Blanck, Guntbert Warns, Ezio Toffolutti (Bühne), Erika Navas (Kostüme), Bernhard Moshammer (Musik)

 Renaissance Theater Berlin, 2024

Eine Koproduktion mit den Festspielen Reichenau
Endlich einmal wieder Theater mit großartiger Sprache und gut sprechenden Schauspielern! Das ist vielleicht das Beste an den Altvorderen; dass sie zu Ihrer Zeit nicht nur mit kritischer Ironie die Alltäglichkeit um sie herum, die Irrungen und Wirrungen der Menschen an den Pranger stellten, sondern das alles auch noch mit Sprachschatz und Sprachwitz, der seit vielen Jahrzehnten in unserer Literratur nur mehr selten vorkommt.
Aber wir haben unter anderem noch immer die Erinnerung in den Schränken und Schubladen der Intendanten, Regisseure und Dramaturgen, und so pickte Guntbert Warns eben diese Inszenierung  aus den Reichenauer Festspielen heraus und präsentierte sie einen Winter lang in Berlin. Besetzt ist sie zudem mit berühmten Schauspielern wie Stefan Jürgens als absolut lässig-devoten und hinterhältigen Gurotypen Tartuffe, Ingo Hülsmann als den absolut vernünftigen, realitätswachen Cleont, Schwager des emotionalen Schwächlings Orgon, den er, vergebens wie alle, trotz aller offensichtlichen Tatsachen und Eleoquenz nicht vor dem gefährlichen Einfluss des scheinbar gottesfürchtigen, jedoch falschen Frömmlers zu bewahren versucht. Hülsmann versteht es perfekt, die geistreiche Dichtung nicht durch einen übereilten Sprechablauf zu verschleiern, sondern weis die Wortgefechte elegant und kongruent mit seiner Körpersprache zu verstärken. Denn gerade die ausgefeilte Reimkunst verliert schnell ihren Sinn, wenn die Verse zu schnell voraneilen.
Auch die Zofe Dorine, deren Überlegenheit und Allgegenwärtigkeit Christin Nicols wieselflink, keck und klug furios zu nutzen versteht, hat Tartuffe längst duchschaut und bemüht sich, die Kinder Orgons vor Schaden zu bewahren. Alle wissen, was sich hinter dem Nichtsnutz und Scharlatan Tartuffe verbirgt – bis auf die herrische Gromutter Madame Pernelle, die bis zum bitteren Ende an ihrem Glauben an den guten frommen Mann festhält, der die Familie sehr bald um ihr gesamtes Hab und Gut bringen wird.
Flavia Lefèvre als die geplagte Ehefrau Elmire, die unter ihrem blindwütig verwirrten Orgon (hier als durchgeknallter Trottel gezeichnet) und den heimlichen Nachstellungen von Tartuffe leiden muss, gelingt es dank klug angewandter Weiblichkeit Tartuffe in die einzige Falle zu locken, die ihn   entlarven  kann. Als sie ihren ihren Mann endlich von den unehrlichen und unredlichen Absichten des fiesen Scheinheiligen überzeugt hat, da ist es schon beinahe zu spät. Aber unerwartet geschieht dann doch noch ein Wunder, etwas kompliziert, aber der Falschspieler wird entlarvt, und die Familie wieder glücklich vereint.
Der geschickt aufgebaute Spielablauf garantiert dramaturgisch natürlich eine tolle Spannung, und die Wut und Unmut, die sich auf das wache Publikum angesichts dieser unerhörten Verhöhnung der menschlichen Vernunft ihren Weg gebahnt haben, können sich am glücklichen Ende wieder legen.
Aber gibt es im echten Leben wirklich immer eine Rettung in letzter MInute? Wieviele Gurus gab und gibt es jederzeit, die zu blenden und zu betrügen verstehen und kleine und große Verbrechen verschulden, ohne, dass man ihre Spielchen rechtzeitig erkennt.
Dass seinerzeit die machtlüsterne Kirche natürlich im Visier aller Künstler, Denker und freiheitsliebenden Menschen wie Molière stand, machte einst das Spiel auf dem Theater zu einer beliebten, aber gefährlichen Freude und Genugtuung. Darin bleibt dieser Molière ein Meister. A.C.

 

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