Xerxes, OL
Oper von Georg Friedrich Händel (Uraufführung 1738,
Libretto nach Niccoló Minato und Silvio Stampiglia
Oldenburgisches Staatstheater, 2024
mit dem Opernchor, dem Staatsorchester und der Statisterie des Oldenburgischen Staatstheaters
Musikalische Leitung und Choreinstudierung: Thomas Bönisch
mit: Xerxes, König der Perser: Maayan Licht (als Gast: der Sopran schloss sein Gesangsstudium der Alten Musik am Konservatorium von Amsterdam bei Xenia Meijer ab und erhielt 2021 sein Diplom mit Auszeichnung) , Arsamene, sein Stiefbruder: Anna Dowsley, Amastre, Verlobte Xerxes': Dorothee Bienert, Romilda, Geliebte des Arsamene: Stephanie Hershaw, Atalanta, ihre Schwester: Penelope Kendros, Ariodate, Feldherr): Ryan Stoll, Elviro, Diener der Romilda): Seungweon Lee.
Orchester: Fabian Boreck (Violoncello), Jochen Zillessen (Kontrabass), Susanne Peukert (Theorbe und Barockgitarre), Lee Santana (Theorbe), Jens Pfaff (Fagott), Thomas Bönisch (Cembalo)
Ein Opernabend auf dem Silbertablett
Ein Spiel um Liebe, Verrat, vom Erwachsenwerden in einer stilvollen Kulisse: einer Gemäldegalerie, wo sich das Leben in Gemälden aus Jahrhunderten präsentiert. Aber der Auftakt ist ein äußerst informativer Einstieg: der historische Xerxes (486 bis 465 v.Chr.) und sein Machthunger, das Meer zu besiegen – in der Seeschlacht bei Salamis wie auch in einer naiv-verrückten Bestrafung der wilden Wogen am Hellespont. Zugleich auch weist der Vorspann in einem hübschen Bildnis auf das berühmte “Largo”, das in der ersten Radioübertragung seines Erfinders Reginald Fessenden weltweit 1906 in einem Weihnachtsprogramm über den gesamten Äther geschickt wurde. Zerkratzt und unscharf noch, aber der Durchbruch zur modernen Kommunikation.
Die gespaltene Persönlichkeit dieses Königs, der das Großpersische Reich regierte, hat Händel als Idee, als Vorlage nach berühmten Anekdoten und historischen Überlieferungen aufgegriffen und in einer absurden, teils satirischen, teils auch durchaus tragischen Version in wunderbarer Leichtigkeit komponiert und talentierten Sängern (seinerzeit vor allem dem Kastraten Gaetano Majorano, genannt Caffarelli) auf den Leib oder besser in die Kehle geschrieben. Ein Meisterwerk, dessen Glanz aber erst sehr viel später gewürdigt wurde. In seiner Uraufführung erschien es dem Publikum noch zu ungewöhnlich, dass man Ernstes mit Heiterem vermengte und sich spottend über Herrscher, Liebende und ihre Leidenschaften erhob.
Heutzutage ist es die beste Möglichkeit, eine große Musik in Ihrer Vielfalt auf hohem musikalischen und schauspielerischen Niveau zugänglich zu machen. Und das ist hier einmal wieder bestens geglückt! Mit virtuosen, in höchsten Tönen spielenden Stimmen und -immerhin- zwei männlichen Sängern serviert ein kleines, feines Barockorchester mit Blockflöten und Theorbe unter der Leitung von Thomas Bönisch – immer eins mit Spiel und Stimmen auf der Bühne und dynamisch ausgefeilt – einen Opernabend auf dem Silbertablett.
Maayan Licht zeigt einen Xerxes, wie er sein soll: unglaublich beweglich, körperlich und stimmlich, kindlich romantisch und exzessiv herrisch, wenn es um eigene Begierden geht. Denn das ist sein Profil: ein noch unbeherrschter Knabe, dem die Krone viel zu groß und weit ist, auf dem Kopf wankt, so dass er sie ständig zurechtrücken muss, um vor sich selbst und seinen Untertanen Macht und Würde zu beweisen. Noch ist er viel zu unsicher, spontan, romantisch, ein Junge, der Bäume liebt und umarmt, noch weit davon entfernt, Verständnis für eine unangenehme Realität zu zeigen, weder den Krieg als schreckliche Schlächterei noch die Liebe als große Verpflichtung begreift. Was der Auftakt wegweisend zeigt, sind zwei kleine Jungen in einem Spielzimmer, die miteinander kindlich kämpfen und der ältere dem Kleinen die Krone aufzusetzen versucht. Das ist noch eine gute Beziehung, die sich jäh ändert, als die Brüder halbwegs auf die Weltenbühne geschleudert werden. Xerxes besteht auf die sofortige Erfüllung seiner Wünsche und Begierden, und kaum, dass er die zauberhafte Romilda, die Geliebte seines Bruders, gehört und gesehen hat, will er sie besitzen und schickt den widerspenstigen Arsamene ins Exil.
In eleganten, temporeichen und gefühlvoll variierenden Kolloraturen kämpfen in dem beinahe dreistündigen Spiel Xerxes und Arsamene, von der knabenhaft verkleideten Anna Dowsley mit gleichstimmiger Beweglichkeit in leidenschaftlichen Arien und Duetten um die Liebe Romildas, die mit Stephanie Hershaw ebenso wie den beiden Brüder als ein gesangliches Energiebündel zeit- und raumbeherrschend ein fortwährenden Faszinosum darstellt. In einer nicht absehbaren verzwickten und verworrenden Konstellation, in der auch noch die Schwester Romildas, Atalanta, die Penelope Kendros als eine herrisch selbstbewusste Chefsekretärin jedermann das Fürchten lehrt und dafür sorgt ist, dass der von ihr angebetete Arsamene durch allerlei Intrigen beinahe seine große Liebe verliert. Diese aber sich nicht scheut, todesmutig dem König Widerstand zu leisten, der ihr alle Schätze, Krone und Reich verspricht, doch gegen ihre Liebe zu Arsamene wie gegen eine Betonwand rennt.
Wen Xerxes bei aller Glut seines jugendlichen Herzens völlig vergessen hat, ist Amastre, seine Verlobte, die nach altem barocken Bühnenbrauch als Mann verkleidet, sogar als Soldat in den Krieg zieht, weil sie an ihrer Liebe zu Xerxes bis zum Suizid leidet. Noch eine Frau, die verzeifelt, von Dorothee Bienert warmherzig mit einfühlsamer Altstimme in die Zeitlosigkeit gerückt. Denn die choreografisch kurzgehaltene, eher tänzerisch gestaltete Schlachtszene, macht doch die Brutalität aller Kriege und Eroberungen bewusst – in jenen wie in anderen Zeiten,
Dann gibt es da noch den Feldherrn Ariodate, überdies der Vater in Personalunion der rivalisierenden Schwestern, der gerade siegreich aus dem Krieg zurückgekehrt ist und von dem begeisterten Kind-König den Auftrag erhält, nun Europa zu erreichen. Dass Ryan Stoll an diesem Abend für einen erkrankten Kollegen einspringt, beschert dem Spiel einen souveränen Bass, der den kleinen Herrscher geschickt auszutricksen versteht und ihn am Ende doch noch väterlich aufbaut, damit er sich seiner Aufgabe endlich bewusst wird und einen Verzicht leistet, der eines Herrschers würdig Ist. Und dann die letzte große Arie von Maayan Licht, in der er den großen Kummer des kleinen Xerxes so herzzerreißend, voller Zartheit und Zerbrechlichkeit in Töne kleidet, das wir einmal mehr gewiß sind, ein großartiges Ensemble und einen Sänger mit einer außergewöhnliche Stimme erlebt zu haben.
Begeisterter Beifall für eine phantasievoll und durchdachte Inszenierung. A.C.
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Der Mann ist ein emotionaler Tornado. Es scheint völlig sinnlos, sich seiner vibrierenden Laune entziehen zu wollen, ist man doch von der ersten Sekunde an infiziert. Maayan Licht strahlt auch nach mehreren Probenstunden noch hell wie sein Nachname, der sich übrigens nicht aus dem Deutschen herleitet, sondern polnischen Vorfahren geschuldet ist.