Hexenjagd, HB

Hexenjagd, erschütternd wie eh und je. Foto: Jörg Landsberg

Hexenjagd, erschütternd wie eh und je. Foto: Jörg Landsberg

von Arthur Miller, Uraufführung 1957

Theater am Goetheplatz, Bremen, 2016
Regie: Klaus Schumacher, Bühne: Karin Plötzky, Kostüme: Karen Simon, Dramaturgie: Simone Sterr, Licht: Christopher Moos
mit: Matthieu Svetchine, Lotte Rudhart, Annemaaike Bakker, Irene Kleinschmidt, Lisa Guth, Frank Seppeler, Gabriele Möller-Lukasz, Benno Ifland, Johannes Nehlsen, Susanne Schrader, Peter Fasching, Guido Gallmann

Vom Hexentanz zur Hexenjagd

Zunächst ist es nur ein harmloses, und doch auch schon gegen Stachel der abergläubischen Erwachsenen pieksendes Vergnügen, das sich eine kleine Mädchengruppe bei nächtlichem Hexenreigen um einen dampfenden Wassserkessel im mondlichten Wald erlaubt. Sie tanzen sich in einen ekstatischen Zustand, bei dem die Kleinen auch schon mal umfallen und, einer Ohnmacht ähnlich, länger liegenbleiben als nötig. Anführerin dieser selbsternannten Hexen ist die 18jährige Tochter des Pfarrers, Abigail Parris, die von Annemaaike Bakker mit lustvoller zerstörerischer Leidenschaft gespielt wird. Reverend Parris hat sich nicht nur dem pekuniären Eigennutz, sondern auch den Kampf gegen das Böse verschrieben und wird sie künftig für seine Ziele gnadenlos benutzen.  Denn dieser Mann ist leider wahnsinnig, irre, hysterisch, so wie ihn Matthieu Svetchine sich immer noch steigernd zweieinhalb Stunden lang durch die Auführung als kleinbürgerlicher und kleingeistiger Antreiber gegen das scheinbar Teuflische peitscht. Um sich Bedeutung zu verschaffen, dient er den Mächtigen, die ihn zur eigenen Politik gern mißbrauchen und verfolgt fanatisch den Hexentanz der Jugend als Inkarnation Luzifers, der sich seiner Schäfchen bemächtigt hat.

Von dieser Idee besessen, die bei der schlichten Bevölkerung zunächst gar nicht ankommt, holt er als “Teufelsaustreiber” seinen geistlichen Vorgesetzen, Pastor Hale, der die merkwürdigen Rituale lokalisieren und die Schuldigen richten soll. Johannes Nehlsen als differenzierte Persönlichkeit im Zwiespalt zwischen Vernunft und blindem Glaubenseifer ist zunächst ein Mann der Kirchenjustiz und sieht sich verpflichtet, die Ahndung und Verurteilung der vom Teufel besessenen Einflüsterer in der Gemeinde mit unerbittlicher Härte vorzunehmen – das heißt, mit unmenschlicher Folter an einem   offensichtlich behinderten jungen Mädchen (selten hörte man so ergreifende Schmerzensschreie!)! Blind ist er für die Widersinnigkeit des Geschehens, für die bösartigen Intrigen der mächtigen Gutsherrin, gegen die um ihren Glauben und ihre Familien und ihren kleinen Besitz kämpfenden Bauern. Die Strenge, mit der er vorgeht, gute Argumente mit gnadenloser Härte zerschmettert, die Bürger bis zu deren psychischen Erschöpfung beugt und somit alle Hoffnung auf einen vernunftbegabten klugen Glaubensbruder zunichte macht, geht der folgenden Lynchjustiz voraus. Als es zu spät ist, sein Wort kein Gewicht mehr hat, erfasst er voller Entsetzen und Verzweiflung den grausamen Zauber.

Und gänzlich eisgekühlt lehren Richter John Hathorne und sein übereifriger Hilfsrichter Ezekiel Chever die Menschen das Fürchten. Ein Machtmensch und sein Büttel, die mit der Würde des Amtes ihre Eitelkeit und Geltungssucht tarnen und nicht einen Funkchen Vernunft zulassen. Gnadenlos richten sie selbst den Besten, Ehrlichsten und Getreuesten der Kirche hin, der sich ihnen mit Würde und Mut klug entgegenstellt: Franz Seppeler, der erschütternd zeigt, was man aus dieser Charakterrolle herausholen kann. Er läßt den Bauern John Proctor in der ganzen Komplexität des liebevollen, reuigen, gläubigen Ehemannes und Vaters in die Facetten seiner Seele blicken und wird damit zum infamen Spiel des Richters, der jedermann das Gruseln lehrt. Johns starre, verhärmte, in Krankheit und Bigotterie versteinerte Ehefrau Elisabeth, die Susanne Schrader ebenso unversöhnlich wie hilflos in ihrer zerstörerischen Einfalt darstellt, wird ihren Ehemann ins Unglück stürzen. Der Fatalismus, der Arthur Miller niemals einen Ausweg aus den tragischen Verhältnissen seiner Protagonisten erlaubte, kennt auch hier keinen anderen Weg als den des selbstvernichtenden Erhalts der eigenen Glaubwürdigkeit.

Die eisige Starre, die bei diesem Terror um das sogenannte “Böse” beinahe alle Dorfbewohner zur moralischen Hilflosigkeit verurteilt, hat  die Gutsfrau Ann Putnam mit noch einigen Minusgraden mehr bedacht. Wie Irene Kleinschmidt festlich gekleidet, groß und hoheitsvoll, ehrfurcht gebietend, mit eiserner Miene die Herrin hervorkehrt, wie sie den Pfarrer herunterputzt, wie sie die Bauern betrügt, wie sie lügt – und, tief im Innersten von Neid und Kummer zerfressen die Hebamme Rebecca, eine aufrechte, gütige und ausgleichende Frau, die elf Kinder großzog, nun erbarmungslos dem Henker ausliefert, indem sie Ann Putnams der Tötung ihrer Kinder beschuldigt.

Haben wir jemanden vergessen? Den mutigen Giles Corey, den Benno Ifland als aufrechter Streiter gegen Willkür und Aberglaube verkörpert, als streitfreudigen Bauern, der sich mit genügend Ehrfurcht, aber auch Selbstvertrauen der Obrigkeit entgegenstellt? Und der tapferen, erbarmungswürdigen Mary Warren, die der charismatischen Anführerin Abigail hörig ist, sich vom Hexenhokuspokus abwendet und dann doch wieder in die Lüge zurückfällt? Lisa Guth zeigt Mary als schwaches Rädchen im Strudel der Ereignisse, der in ihrer Todesfurcht niemand mehr zur Seite stehen kann.

Aus historischen Eriegnissen des 17. Jahrhundert entlehnte Arthur Miller in den 50er Jahren unter der regiden Kommunistenjagd der MacCarthy-Ära die Idee einer Verleumdungskampagne, die vor nichts haltmacht. So wie die Inquisition den Namen Gottes mißbrauchte, um eine religiöse Besessenheit als tödliche Folter willkürlich gegen jeden Widerstand einzusetzen, entwickelte er in seinem Drama “Hexenjagd”  das für jede Zeit geltende Psychogramm einer Gesellschaft, die sich von einer scheinbaren Wahrheit, Ideologie oder Glaubensverkündung terrorisieren läßt. A.C.

 

 

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