Der Schimmelreiter, HB

nach einer Novelle von Theodor Storm (1817-1888)
bearbeitet von John von Düffel
Theater am Goetheplatz, Bremen, 2018
Regie: Alize Zandwijk, Dramaturgie: Marianne Seidler, Bühne: Thomas Rupert, Kostüme: Sophie Klenk-Wulf, Musik: Maartje Teussink, Masken: Nadine Geyersbach, Licht: Mark van Denesse
mit: Martin Baum, Guido Gallmann, Nadine Geyersbach, Bastian Hagen, Benno Ifland, Gabriele Möller-Lukasz, Stephanie Schadeweg, Susanne Schrader, Alexander Swoboda, Maartje Teussink

 

Apokalypse mit Plastikschimmel

Die Stimmung ist von Anfang bis zum bitteren Ende trostlos: ein düsterer Himmel schiebt sich vom Horizont aufwärts, die dunklen Instrumente der einfühlsame die Aufführung begleitenden Musikerin verklingen ahnungsvoll schwermütig, der Mond schwebt als großer Ball am Bühnenhimmel – kalt und fern jeglicher Romantik.

Es bleibt bei der düsteren apokalyptischen Version von Theodor Storm, der Mystik und Märchen mit der Kleingeistigkeit der Marschenbauern in hoher Sprachkunst verdichtet, und die in einer für damalige Zeiten schwer fassbare Vision eines widerstandsfähigen Deichbaus gegen die verheerenden Sturmfluten verknüpft. Assoziationen zur Neuzeit –  und die ist ja nun wahrlich auch noch nicht gegen das Jahrhunderthochwasser an den Küsten endgültig gefeit, wie die letzten Überschwemmungen und Deichbrüche gezeigt haben – bleiben aus. Eher hätte die dramaturgische Weiterführung der Bühnendekoration  – der Boden des gedachten Marschenvorlandes ist mit Plastikmüll übersäät  – eine Möglichkeit geboten, diese allzu realistische, schwer verdauliche Bühnenadaption als ein Symbol für die zunehmende Planzen und Tierwelt bedrohende Vermüllung unseres Meeres zu verändern. Auch der Klimawandel hätte einen Platz in einem weiterführenden Gedankenspiel eine gewichtige Rolle einnehmen könnnen. Das wäre dann vielleicht eine beängstigende Neufassung gewesen: ein Meer, das wieder für Tiere und Menschen lebensgefährlich werden könnte.

Doch in Oldenburg hat man einem Gruseldrama den Vorrang gegeben und sich treu an den Handlungsablauf der Novelle gehalten. Die lebhafte, zuweilen leidenschaftliche Aufführung, die     von Alexander Swoboda, als dem neuen Deichgrafen Hauke Haien dominiert wird, der von seiner verantwortungsvollen Aufgabe getrieben wird und bis zur Verzweiflung gegen die Dummheit und Mißgunst seiner Dorfgemeinschaft anrechnen muss, zeigt allerdings einige verstörende Brüche. Da sind – im Auftakt – die fratzenhaften Masken, die die Protagonisten tragen, und die an die Puppenspielleidenschaft von Theodor Storm erinnern sollen. Die viereckig kantigen Gesichter zeigen kunstvoll und treffend die Gesinnung, Angst und Mißgunst ihrer Träger, die die Pläne eines neuen Schutzdeiches, der auch der Landgewinnung dient, vehement ablehnen. Für sie bleibt dieser Hauke Haien ein ehemaliger Kleinknecht, dessen Intelligenz sie zwar widerwillig akzeptieren, dessen Vorrangstellung sie aber auch nach der Heirat mit des alten Deichgrafen Tochter Elke nicht anerkennen wollen. Rädelsführer der Opposition ist Ole Peters, den Martin Baum als gefährlichen Gegenspieler mit dynamisch ausgespielter Hass-Leidenschaft nährt. Seinem Zweifel und seinem Ehrgeiz werden nicht nur der Deichgraf und seine Familie zum Opfer fallen. Denn die Dorfbewohner werden ihre Angst und ihre Kleinmütigkeit angesichts eines solch für sie unbegreiflichen, technisch fortschrittlichen Projektes nicht bezwingen, und, angestachelt vom ehemaligen Geistlichen der Gemeinde, durch Aberglauben alles zerstören.

Dass sich in diese Atmosphäre der düsteren Vorahnung noch die Schreie gebärdender Frauen, die sich auf den Kunsstofffetzen wälzen, mischen, dass sich im Hintergrund auf höherer Ebene der berühmte Schimmel als Geisterpferd aus aufgeblähtem Kunststoff in ein schwarzes Ungetüm verwandelt, kann die wuchtige Szene des sich wahnsinnig in die alles verschlingenden Fluten stürzenden Schimmelreiters Hauke Haien nicht annähern verbildlichen. Und verwirrend ist auch, dass diese Elke, die ihrem Mann an Intelligenz ebenbürtig, an Klugheit und Diplomatie allerdings überlegen ist, von Nadine Geyersbach dermaßen verhuscht und verhärmt über die Bühne schleichend, händeringend, gebeugt und depressiv dargestellt werden muss. Denn eigentlich ist sie eine starke Persönlichkeit, die schließlich weiß, dass sie und Hauke sich gedulden müssen bis der schwerkranke alte Deichgraf das Zeitliche gesegnet hat, um ihre großen Pläne anzugehen. Sie überträgt in einem klugen Schachzug Hauke noch vor ihrer Hochzeit das Hoferbe, um seinen Einfluss mit der nötigen Reputation zu stärken. Dass dieser allerdings sein großes Deichbauprojekt, abgesegnet zwar von der nächsten Aufsichtsbehörde, mit Biegen und Brechen und so ganz und gar gegen seine wutentbrannten und zugleich angstgelähmten Bauern durchsetzen will, kann auch die kluge, doch von der Sorge um ihre kranke Tochter schwermütig gewordene Elke nicht verhindern.

Ein Spiel, das  Dramatik aufbaut, nichts an Leid und Traurigkeit ausläßt,  wobei sich die Sprachkunst der Dichtung des 19. Jahrhunderts noch mit romantischer Gefühlstiefe verband. Da ist der grausame biblische Anspruch und Ansporn ständiger Gottesfurcht, da ist das Leben hart und entbehrungsreich, voller Ungewisssheit, Angst und Eigensinn. Das alles ist sehr verstörend und beeindruckend inszeniert, und die maskierten Figuren, die bald schnell ihre echten Menschengesichter zeigen, schützen sich gegen Neuerungen, die von Menschen erdacht und berechnet werden, mit einem Panzer aus Glauben und Aberglauben. Der feindlichen Natur, den unvorhersehbaren Sturmfluten begegnen sie mit Blindheit und Fatalismus. Für den Mann, der seiner Zeit voraus, die Zukunft der Menschen mit einem neuen Deich sichern will, gibt es in seiner Dorfgemeinde keinen Rückhalt.

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