Jesus Christ Superstar, B

Musik von Andrew Lloyd Webber
Gesangstexte von Tim Rice
Komische Oper/Spielort Hangar 4 Flughafen/Tempelhof
Premiere 24.9.2025

Musikalische Leitung: Koen Schoots, Inszenierung: Andreas Homoki, Dramaturgie: Caniel André Eberhard, Bühnenbild: Philipp Stölzl, Künstlerische Mitarbeit: Franziska Harm, Kostüme: Frank Wilde, Choreografie: Sommer Ulrickson, Chöre: Davin Cavelius, Licht: Olaf Freese, Florian Schmitt, Sounddesign: Holger Schwark

mit: Ryan Vona als Jesus von Nazareth, Ryan Shaw als Judas Ischariot, Ilay Bal Arslan als Maria Magdalena, Kevin Taylor als Pontius Pilatur, Daniel Dodd-Ellis als Kajaphas, Michael Nigro als Hanna, Oedo Kuipers als Petrus, Dante Sáenz alsSimon Zeleotes, Jogi Kaiser als Herodesm Manues Lopes, Tom Schimon, Thomas Tucker als Priester/Apostel; Masengu Kanyinda, Amelia Francis, Coreena Brown als Soul Girls/Ensemble u.v.a. sowie Komparserie, Chorsolisten und Orchester derKomischen Oper Berlin, Diverse Tanzensembles und Tänerinnen aus ganz Belrin. Saxophon James Scannell, Rock -Band- Gitarren: Greg Dinunzi, Peter Geltat, Drums Leonardo von Papp, Keyboards Jarkko Riihimäki, Robert Paul, E-Bass Alex Tarber

Die etwas andere Rezension

Der Intendant saß an einem düsteren Novemberabend an seinem Schreibtisch und dachte nach. Sein nächstes Programm stand soweit fest: beliebte Darsteller, Sänger, Schauspieler und einige  Überraschungen, noch immer in provisorischen Spielstätten, weil Geld und guter Wille im Senat fehlten, um das eigene schöne Haus zeitgemäßen Anforderungen anzupassen. Ein Ensemble, das sich ergänzte, im wesentlich aber in den Grundfesten treu und solide stand und sich auf glücklicherweise inspirierte und inspirierende Regisseure, Bühnenbildner, Dramaturgen, Musiker und Sänger verlassen konnte – und auf das Berliner Publikum. Aber trotzdem. Der Herr über Erfolg und Misserfolg war, wenn nicht gerade verzweifelt, doch im Zweifel. Was würde als Highlight nicht nur die Anhänger und Mitarbeiter des Hauses, sondern ganz Berlin wachrütteln, auf andere Gedanken bringen, die von politischen Frustrationen zur Zeit beherrscht wurden. Was würde groß genug sein, um allen Berlinern für eine längere Dauer gegenwärtig zu bleiben und nicht so rasch zu verfliegen, wie manche der bejubelten Inszenierungen der letzten Jahre. Sie waren vorbei, verrauscht, verkonsumiert, obwohl in bester Erinnerung, aber vielleicht doch sehr aufwendig, sehr fordernd, was Personal und Verträge anbetraf. Es müsste, so dachte der vielgestresste Mann, etwas sein, was bedeutsam, bezahlbar und irgendwie zeitlos jeden erreichen konnte.

Plötzlich schien ihm, als ob etwas im Raum war, das er zuvor noch nicht bemerkt hatte, ein Schatten, eine Person im verglimmenden Abendlicht, Verwundert und ein wenig ärgerlich, warum ein nicht angemeldeter Gast in seinem Büro war, dreht er sich zur Seite und gewahrte schemenhaft einen jüngeren Mann, der ihn freundlich anlächelte und ansprach, bevor er selbst ihn hinauskomplementieren konnte. “Ich weiß, was Sie suchen”, sagte der Fremde mit leiser Stimme, “ich könne Ihnen helfen. Spielen Sie doch einfach MICH.”

Der Intendant schluckte und wolle den Irren ebenso energisch wie höflich vor die Türe setzen, doch dieser blieb. Ungerührt. Sitzen. Eine Erscheinung, die sprechen konnte. Was meinen Sie? Ganz einfach, die Antwort war wirklich ganz einfach. Der Mann schien jetzt doch ein wenig nebulös, mehr schemenhaft.  „Spielen Sie Jesus Christ Superstar. Es ist an der Zeit, wieder einmal an mich zu erinnern. Überdies sind die beiden Autoren Freunde von mir und wieder voll im Trend, 50 Jahre nach ihrem Durchbruch mit meiner Oper reißt man sich wieder um die Aufführungsrechte und geeignete Sänger.“

Wie  er sich das vorstelle, fragte der Intendant, erschüttert wie ungläubig noch dem Wort MICH nachhängend, er habe keine Leute, kein Geld, keinen Raum für solch ein Mammutprojekt.

Aber Jesus beschwichtigte ihn, schließlich galt er ja einst als bedeutender Redner. „Nehmen wir mal an“, sagte diese wunderbare Stimme,“ wir haben den Hangar im Flughafen, Wir kennen die Akustik und die räumlichen Möglichkeiten. Wir haben in der ganzen Tanzwelt begeisterte Tänzer und Sänger, die man schnell engagieren und ausbilden könnte, Wir haben begabte Bühnenkünstler und Arrangeure, Choreografen und Kostümdesigner mit unendlicher Phantasie, und ein fantastisches Orchester, das noch eine zusätzlich Rockband an der Seite brauchte – und natürlich müssen wir noch ein paar Supermänner mit Superstimmen engagieren.“ Denn, so fügte der Mann, der vielleicht Jesus war, fest hinzu: “ ich möchte authentisch dargestellt werden, nicht als Jammerlappen, nicht zu nachgiebig, auch nicht zu streng, menschlich eben“.

Der Intendant sagte nichts mehr, aber seine Gedanken rasten, und er hatte bereits Ideen, wen es zu engagieren galt, und wie er das Projekt mangagen könnte. Er würde natürlich Andreas Homoki für die Regie holen, ganz klar und als Jesus den großen Ryan Vona mit seiner unglaublichen Stimmgewalt, der aber zugleich große Zärtlichkeit und Verletzlichkeit zeigen konnte, der engerisch mit dem undankbaren Volk umspringen konnte, mit Judas kämpfen und seine egoistischen Jünger zurechtweisen konnte, aber der sich aber auch hifllos und übermüdet von Maria Magdalena trösten lassen konnte. “Aber, so unterbrach Jesus seinen Gedankengang  “ wir werden Judas so darstellen, wie Rice und Lloyd Webber das wollten: als Äquivalent zur Jesus, als Freund-Feind, als Revolutionär, dem Jesus nicht rabiat, nicht konsequent genug handelte, der ihm Vorwürfe machen durfte, doch letztlich der Gebrandmarkte blieb, weil er mit der Existenz eines Gottes haderte.“ „Wir müssen, so sagte die Erscheinung im Abendlicht, wir müssen beide gleichwertig sein. Denn ich, Jesus, zweifle und verzweifle ja letzen Endes auch an meinem Schicksal, aber ich füge mich dem Willen Gottes, der mich so leiden lässt und mir sogar den Verräter unter meinen Jüngern ausgesucht hat.“

Es entstand eine wohlgedachte Pause, in der beide schwiegen.

Es sei aber doch eine Rock Oper, sagte der Intendant, Wir müssen spielen und tanzen und toben und ein wahnsinniges Drive auf die Bühne bringen  und wir brauchen Stimmen, die dagegen ansingen können. Hast Du die? Haben wir, sagte Jesus. „Meine Person wird von Ryan Vona gesungen, ein Kraftvolumen, das gegen jede Rockband durchbricht. Und der Judas von Ryan Shaw, ein Berserker von Mann mit einer ebensolchen Stimmgewalt. Er spielt sich die Seele aus dem Leib. Ich garantier es Dir. Und Maria? Wir nehmen eine zarte, liebevolle exotische Sängerin, die so einfühlsam singen kann, dass sie selbst Jesus einlullt“. Noch hat der Theaterchef leichte Zweifel, ob alle Künstler und Darsteller zur Verfügung stehen, wie man das Budget auffrischen und die vielen Castings in aller Welt durchführen kann. Aber er wird Maria Magdalena, die einzige von seinen Jüngern, die ihn vielleicht wirklich liebt, mit Ilay Bal Arslan besetzen können. Sie ist wunderbar.

„Gut“, sagte Jesus, „und was macht du mit der Bande  von Pharisäern und Anklägern? Du musst sie genauso teuflisch darstellen, wie sie sind!“ So wird es sein. Der abgrundtiefe Bass  des Hohepriesters Kajaphas wird, von der E-Gitarre furios attakiert, direkt aus der Hölle aufsteigen, die ganze Bande wird in fiesen glänzenden schwarzen Stripperkostümen und absurd gigantischer Kopfbedeckung unheilvoll glänzen – und den Kontrast zu den engelsgleichen Tänzerinnen und Tänzern bilden, die durch die Gegend flattern. Und das Volk? „Da rufst Du ganz Berlin auf, wer mitmachen will. Die werden kommen und Dich feiern“  – typisch Jesus` Zuversicht  „ Ich bin zufrieden, wenn meine Rolle endlich wieder zeitgemäß aufgetankt wird. Ich war und bin allzeit ein Mensch mit allen menschlichen Gefühlen und Eigenschaften, ich war eigentlich kein Superstar, wenn man die Geschichte einmal genau betrachtet. Aber ich bin auch göttlich, weil ich alle Zeit da bin, nicht vergänglich, immer anrufbereit, per internet, oder in den Kirchen oder in der Disco. Ich bin überall da, wo man mich braucht, nicht immer sichtbar, aber präsent für jeden, der mich sucht.“

„Und, wen nehmen wir als Pilatus? Der hat ja nun auch eine sehr viel differenziertere Rolle als biblisch so bislang vorgesehen?” ” Wir können ihn noch mehr zweifeln lassen”, sagt Jesus “und dem wankelmütigen Volk die Bürde der Schuld auf die Schultern legen; vielleicht lernt es dann endlich, dass man nicht mit der Meute heulen, heute “Hosianna” und morgen “kreuzigt ihn” schreien soll!“ Jesus wirkt plötzlich sehr müde. Vielleicht, weil er selbst da wenig Hoffnung hat. Und der Intendant denkt bereits an die passenden Darsteller und Sänger für diese brisante Rolle: Kevin Taylor, der mit sich selbst, seiner menschlichen Schwäche, seiner Überforderung, Caesar zu dienen und das israelische Volk in Schach zu halten, kämpft. „Er ist nicht mein Feind“, sagt Jesus, „er muß so handeln – wie alle anderen auch“.

Und wie er, Jesus, selbst nun eigentlich zu Judas stehe, fragt der Intendant. Jesus überlegt länger und sehr in sich gekehrt. „Judas ist jung, wild und aggressiv, er klagt an, er sucht etwas, das Jesus ihm nicht geben kann. Er braucht reale Antworten und Hilfe gegen die Unterdrückung durch die römische Miliz, aber das ist nicht Jesus` Problem. Er verkündet Gottes Botschaft. Aber Judas ist die Jugend, die kritische, aufmüpfige, nach Gewissheiten suchende Generation aller Zeiten. Und so entsteht der Konflikt zwischen beiden. „Das müssen die austragen“, sagt Jesus schließlich, “du wirst sehen, das werden die besten, größten und ergreifendsten Szenen. Lass sie einfach spielen, sie werden das großartig machen! “
„Du wirst es schaffen“, sagt er so überzeugend, dass der Intendant den Funken spürt und weiß, es wird eine überwältigende Show werden. Er wird das bisher letzte und größte Rockkonzert dieser Art auf die Bühne stellen, mit einem unglaublichen Sound und einer musikalischen wie optischen Eindringlichkeit, die den Zuschauern die Tränen in die Augen treibt. So, als Jesus im Garten Gethsemane als einziger wach in der Runde seiner Jünger angstvoll auf die Stunde des Verrats wartet und Gott um Hilfe anfleht. Der Song  cancelt alle Gewalt, löscht die letzten Aggressionen und flüchtet sich in die Ewigkeit der leidenden Menschheit mit einer „melancholischen Ballade“, die sich langsam zu einer „ekstatischen Rockhymne ausdehnt“.
„Du darfst das ruhig so Deinen Mitarbeitern auftragen. So muss gesungen und gespielt werden. Denn Gott hat gewusst, was er tut und was sein wird. Ich werde immer ein Solitär bleiben – wer zu mir finden will, sagt er noch sehr leise, während er sich langsam verflüchtigt, „der wird einen Weg finden.“

Wer die Rockoper finden will, braucht  nur ein Ticket zu kaufen und er wird einen unvergesslichen Abend erleben. Der, so darf man nicht vergessen, zu sagen: mit Brillanz von seinem Dirigenten Koen Schoots geleitet wird, der Band, Orchester, Sänger/innen durch den Abend mit Verve und kontra-punktueller Sicherheit führt. A.C.

 

 

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One comment

  • Monika Winny

    Ach Angelika, wie wundervoll du deine “etwas andere Rezension” formuliert hast!
    Ich werde übermorgen in diese “göttliche” Sphären eindringen und freue mich wahnsinnig, dass ich die letzte Karte in der letzten Reihe bekommen habe.
    Aber: warum all dies Spektakel nur für 2 Wochen?
    Liebe Grüße und bis bald
    Monika

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