Die Wunderkammer, B

Choreographie und Inszenierung Marcos Morau
Berliner Staatsballett
Komische Oper Berlin, Uraufführung 31.oktober 2025

Musik: Claire Aguilarc(Gesang) und Ben Meerwein (Gesang), Songtexte: Katja Wiegand, Ben Meerwein und Marcos Morau, Bühne: Max Glaenzel, Kostüme: Silvia Delagneau, Licht: cube.bz, Dramaturgie und Texte: Katja Wiegand,  40 Tänzerinnen und Tänzer des Staatsballetts Berlin

 

 

Wo bleibt das Individuum?

Es ist viel in Texten und Interviews im Programmheft von der Notwendigkeit der Abgrenzung sowie  auch der Einbeziehung des Individuums in die Gemeinschaft die Rede. Was wir in dem neuen Tanztheater, dem zweiten von Marcos Morau, erleben, ist vor allem eine ungemeine Intensität der Zusammenballung der Tänzer in ihren brillanten, geheimnisvoll bedruckten Trikos und futuristischen Masken und angeklebten Frisuren. Dazu flutet eine hämmernde, harte, stark den traditionellen Rhythmen von Initiations- und anderen archaischen Zeremonien entlehnte Musik den dunklen Raum. Eine Wunderkammer allerdings habe ich nicht gesehen. Denn das sind früher, zu Zeiten der reichen Fürsten und Kaufleute Räume gewesen, in denen man Schmuckstücke, Preziosen aller Art aufbewahrte, geheime Schätze, Kostbarkeiten bunt durcheinander gewürfelt und wild dekoriert- und immer auch mittendrin ein Vergänglichkeitssymbol, eine Totenmaske, ein Mahnmal an die Endlichkeit alles Schönen und aller Reichtümer.

Die Bühne ist im Halbdunkel gehalten, von Zeit zu Zeit mit grellem Licht, Scheinwerfern, Neonröhren gezielt und punktuell auf die Tanzszenen ausgerichtet. Die Leuchtkörper heben und senken sich und tauchen und umhüllen die Gruppe, auch vereinzelt wie in der Pyramidenspitze, die sich akrobatisch formiert hat. Die Aufführung beginnt mit einem langen Satz “Prelude of a broken Akkordeons” und einer fast bängstigenden Einbindung des Publikum, dem die Tänzer, wohl auch Tänzerinnen – obwohl hier eher kostümiert  und maskenartig Unisex in den schlanken, abstrakten Figuren vorgesehen ist – , ein Ansturm also auf das Publikum, das sich kreischenden, düsteren Tönen und Gesichtern jäh frontal gegenübersieht, ihren aufgerissenen Mündern und geheimnisvollen wilden Gestikulationen.

Verschlingungen, Verstrickungen wie jede erdenklichen körperlichen Verrenkungen gehören zum schlangenhaften Tanz und gestenreichen Ausdrucksvokabular dieses Ensembles, dass  sich sogar in einem Szenenabschnitt dann noch uenrmüdlich, fast schon schikanös an der Stange abarbeiten muß, wobei, absichtlich, auch einige Tänzer schon mal umfallen und von den Partnern wieder aufgerichtet werden. Aber so richtige klassische Formationen bis auf einige Ausnahmen sind hier nicht vorgesehen, wenn sich eine revueartige Anordnung formiert oder die behutsame Zuwendung einiger Tänzer zueinander wie auch einzelne grazile Figuren und Formationen herausschälen. Aber alle bilden vorrangig eine, zugegeben, exakt synchrone Einheit. Die Deutung der engischen Texte sind der Phantasie überlassen, die wir aus dem unentwegten Wirbel der Schaubilder entnehmen wollen. Zur Deutung gibt es im Progammheft Hinweise auf das großstädtische Nachtleben mit absurdenj Vorstellungen wilder Orgien von Transvestiten oder Dragqueens, deren Glitzerfähnchen am Rock und angeklebte schwarze Locken allesamt den 20erJahren entnommen sein könnten. Neben der nächtlichen Halbwelt könnte man auch die Vorstellung eines Überfalls von Außerirdischen oder einer KI assoziieren oder, wer Franz Werfels Utopien nach dem großen Atomunfall gelesen hat, wird auch hier diese dünnen, geschlechtslosen, rein uniform intellektuell ausgerichteten Wesen herbeiphantasiren können.

Alles in allem ist es ein großes Fest der körperlichen Ausdrucksfähigkeit und Kraft, aber es ist von sehr hartem Sound begleitet, mit schwierigen Texten versehen und mit so viel Lärm und Getöse, dass man sich ständig bedrohlich mit der Welt konfrontiert sieht, zu der abzubilden sich der Choreograf und Regisseur hier vorgenommen hat. Dass zu Beginn ein einsamer dunkler Akkordeonspieler sich von einer Menge unwissender Geschöpfe umringt sieht, hat noch einen gewissen clownesken Charme. Denn die lustigen, neugierig herantrippelnden Gestalten ahmen sein Instrument nach, benutzen es aber als Schmuck und Kopfzierde und wissen rein gar nichts mit diesen langgetreckten melancholischen Tönen anzufangen. Am Ende ist auch dieses Individuum in die Gruppe integriert und stampft und hüpft und verrenkt sich mit allen anderen zu einmaliger Gleichheit und Ordnung. Zuweilen glaubt man, sich einer Menge KI Kreationen gegenüber zu sehen, so  dynamisch und präzise bewegt sich diese uniformierte Compagnie, so daß sie letztlich für ein begesitertes Publikum doch einer Wunderkammer entnommen zu sein scheint. A.C.

 

 

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *


− drei = 1