Die Welt von Heute und Gestern, B
Ansichten Europas, ein Schauspiel nach Stefan Zweig
in einer Fassung von Lars Georg Vogel
Vagtatenbühne,Berlin, Premiere am 25.11.2025
Die kosmische Schöpfung: Alexander Schatte
Regie: Lars Georg Vogel, Dramaturgie Daniela Guse,Bühne und Kostüme Clara Wanke, Mitarbeit Video Marion Tour, Licht, Technik Janis Willhausen und Frederik Wohlfahrt
mit Victoria Findlay und Urs Schotte Wohlfahrt
Ach, Europa! (s.auch Hans Magnus Enzensberger)
Eine lebendige, kurzweilige und ziemlich verzwickte Geschichte, die sich da letztlich doch wohl im Zusammenwirken aller Beteiligten entwickelt hat. Es wird häufig die Kleidung gewechselt, bedingt auch durch Tieftauchen in eine Grube, Wasserspielchen allgemein, aber auch Abendkleidung in langfallenden Gewändern, Mann und Frau im Gleichheitsdress, dann mal im glitzernden Abendanzug halb bis ganz als Adam und Eva. Dazu ein kuhartiger Stier, als der in der klassischen Sagenwelt Göttervater Zeus als verkleideter Liebhaber um die schöne Europa buhlt, aber eigentlich nur noch mal in Erinnerung rufen soll, woher nun also der Name dieser heutigen schwierigen Einheit der 27 Länder von West und Ost eigentlich abstammt.
Eigentlich bestand wohl die anfängliche Idee, eine Zusammenfassung aller politischen Ereignisse und Analysen der letzten Jahrzehnte rhetorisch und (überfordert in der Dichte) erinnnerungsträchtig in einer Form freudianischer Couchtherapie anzubieten, nicht schlecht. Aber sie wurde nicht wirklich durchgeführt. Wie auch hätte die aussehen sollen? Als Einzeltherapie für 27 Staaten oder als Gruppentherapie oder als moderne Variante der Verhaltenstherapie mit zielgerichteter Perspektive? Alle würden Jahrzehnte benötigen und wer weiß, was dann wäre… ähnlich unserer heutigen Entwicklungsprognosen?
Denn Europa in der Eigenanalyse, sagen wir, einmal seit der Gründung der Europäischen Union im Jahr 1993, wäre schon ein interessanter politischer Rückblick geworden. Nur, was hätte es an der derzeitigen Situation geändert? Und auch, ob man bei allen die Einsicht ihrer historischen Versäumnisse, ihrer politischen und territoralen Veränderungen und moralischen Verrenkungen in eine einzige Inszenierung hätte einbinden können, ist fraglich. Also blieb es doch eine erzählerisch gespielte Anreihung von Erinnerungen, Spekulationen und Empörung. Zu ewigen Sünden ein Moralspektakel, eine sich steigernde Empörungsmaschinerie, Fragen zu Einheit oder Vielfalt, mehr über Vergangenes und Gegenwärtiges als über Perspektiven zur Zukunft.
Tja, und dann ist da eigentlich nicht nur Stefan Zweig, den man als vielseitigen Schriftsteller einst verschlungen hat, weniger allerding seine politischen Auslassungen erfasste – ja, die kannte man eigentlich auch gar nicht.
Gut, dass die Vaganten einmal darauf hinweisen, welche prophetische Wahrnehmung dem wahren Künstler zu Eigen ist. Und Stefan Zweig ist erschütternd zeitnah zu interpretieren. Aber gleichermaßen aktuell auch die Schriftstellerin Carolin Emcke, deren schwierige Gedanken auch glücklicherweise im Programmheft nachzulesen sind, in einem Auszug aus ihrem Buch „Gegen den Hass“.
Es hat ja auch noch nie jemand behauptet, dass wir uns mit Europa leicht tun. Im Gegenteil. So kam es bisher nie zu einem dringend notwendigen einheitlichen Verfassungskonzept, das viele Politiker in Angriff genommen haben, aber nie durchsetzen konnten. Denn die Formation alter und ständig neu hinzugedachter Staaten barg schon immer Probleme, und sie bringt ständig neue Konstellationen politischer Richtungsströme. Was Stefan Zweig einst konstatierte (1932 in einem Vortrag für die Europatagung der Accademia di Roma) war die „seelische Zerstörung, der das Europa jener Tage „als einziger geistiger Organismus“ anheimgefallen war. Zweig spricht u.a.von „moralischer Ermüdung“, einem „Mangel an Optimismus, ein plötzliches Misstrauen aus dem Gefühl einer allgemeiner Unsicherheit“.
Ständige Anstrengung sei nötig, um im Gleichgewicht zu bleiben, den schlechten Nachrichten und alarmierenden Meldungen zu misstrauen und nicht in Hass zu verfallen, war einer seiner wichtigsten Appelle. Dass ein großer Spannungszustand noch immer als Nachwehen der letzten beiden Kriege verstanden werden müsse. Das damit verbundene Anfachen ständiger Hassgefühle,von Erbitterung und Zorn gipfele in der rauschgiftartigen politischen Spannung, die einen kollektiven Hasse weiterhin nähre. Das äußere Feindbild werde umgeschaltet in andere Richtungen in einem wohl instinktiven Bedürfnis, ein Feindbild für eigene Verzweiflung und Unfähigkeit bilden zu müssen. Und man (damals wie heute) Feindbilder in Gruppen, Rassen, Systemen, Parteien suche und bereit sei, diese auszubauen…So geht es weiter, weitsichtig, geistreich, bedenklich und in Ansätzen kompatibel auf unsere Gegenwart.
Wenn die beiden charmanten und unglaublich spannungsvoll geladenen Darsteller ihre Rhetorik ein wenig drosseln könnten, so dass der Text leichter verständlich wäre, könnte man mehr Gewinn aus diesem doch schwer verständlichen, inhaltlich wohl sehr bedachten Kostümwechsel ziehen.
Dass am Ende das Unbehagen an der heutigen Situation und in manchen Ländern, wie auch in dem unsrigen, auf den nationalistischen Ruck mit Sorge gesehen wird, ist keine Neuigkeit. Aber das Unbehagen, das sich in der Hilflosigkeit unserer Parteien und politischen verantwortlichen Volksvertreter offenbart, zwingt die beiden Schauspieler, sich in eine Wut hineinzusteigern, die, mit Trauer und wohl auch Hass gemischt, dann doch in ihrer Ungebremstheit schwer zu ertragen ist.
Wer dermaßen verzweifelt, hat keine Kraft mehr, seinen Verstand zu benutzen, um einer kühlen sachlichen Auseinandersetzung nicht länger aus dem Weg zu gehen zu müssen. A.C.