Rot
Renaissance Theater Berlin – 2013 auch als Gastspiel in Norddeutschland
Schauspiel von John Logan
Regie: Torsten Fischer
Ausstattung: Vasilis Triantafillopoulos
Mit Dominique Horwitz und Benno Lehmann
Aber Schwarz hat gewonnen
“Was siehst Du”, fragt Mark Rothko (Dominique Horwitz) am Ende des Stückes seinen geduligen Schüler Ken (Benno Lehmann). Und der antwortet schlicht “Rot”! Dann geht er ab. Für immer wird er den exzentrischen, unerträglich selbstgefälligen und doch so labil-verletzlichen Meister verlassen. Beide haben begriffen, das ihre gemeinsame Zeit um ist, was die Stunde geschlagen hat. Der eine, der Alte, Rothko, der gebürtige Russe, vertriebene Jude, hoch in Preis und Gunst stehende Maler ist 1958 auf dem Zenit seines Schaffens mit seinem bisher höchst dotierten Auftrag. Der andere, der junge lernbegierige, wissensdurstige Schüler hat die Zukunft vor sich, die Zukunft einer neuen aufmüpfigen eigenwilligen Künstlergeneration, die mit Jackson Pollock und Andy Warhol u.a neue Wege beschreiten, sich gegen die Altvorderen rüstet wie diese zuvor gegen Pablo Picasso (“diese schrecklichen zerstückelten Frauen”), gegen Braque und den “verschachtelten” Kubismus. Er, Rothko-Horwitz wütet wie ein Wahnsinniger gegen die Vorgänger, gegen alles, von dem er glaubt, es mit seiner überbordenen Explosivität und Egomanie künstlerisch überflügelt zu haben.
Horwitz spielt diesen psychopathischen Exzentriker bis an die eigene Kraftgrenze. Er raucht pausenlos, trinkt, prügelt, schreit und tobt dermaßen explosiv und unbeherrscht, dass man ihm eigentlich eine Zwangsjacke anlegen müßte. Dass sein Schüler Ken sich das alles gefallen läßt, mit zunehmender Selbstsicherheit aber die ebenso intelligenten wie eigensinnigen statements des Meisters über Gott, die Welt, die Kunst im Allgmeinen und andere Künstler im Besonderen mit provozierenden Argumenten herausfordert, macht den Spannungsbogen in diesem vibrierenden Stück aus. Der junge Mann ist fasziniert, gebannt von der Vitalität der Farben, der kreativen Macht und Besssenheit des genialen Malers. Ken geht es wie dem Publikum, das schon beim ersten Anblick des offenen Bühnenbildes den Blick starr wie das Kaninchen vor der Schlange auf die riesigen Leinwände richtet: Ein überdimensionales Bild mit einem Rot, das pulsiert wie das blank liegende Herz. Lebendigkeit pur, ein Blau, ein Schwarz, ein Gelb – gnadenlose optische Visionen, die sich ins Hirn beißen, ins Auge einsaugen und zwischen den beiden Männern einen beinahe lebensgefährlichen Disput über die Eigenschaften der Farben heraufbeschwören.Was ist Schwarz? Der Tod, das Ende oder ein Nichts, also alles, auch ein Anfang? Horwitz überzeichnet seinen Rothko gnadenlos indem er dessen drohendes Schicksal schmerzlich heraufbeschwört: er wird sich im Jahr 1970 das Leben nehmen. Das Schwarz hatte ihn besiegt.
Rothko, der alles malen und zeichnen konnte, was er nur wollte, der der Welt längst bewiesen hatte, wozu er auch fähig war im konventionellen Sinn, dieser Künstler fand den Weg über alles bisher Dagewesene und malte das Schwierigste, was es in der Kunst gibt: die reine Farbkomposition – seinen Emotionen entsprechend, tiefdepressiv, schwarz, hochmanisch rot, gelb, blau. Sie habe es wieder und wieder versucht, die Farben rot und gelb zusammenzubringen, es sie ihr nie gelungen, bekannte eine Dame vor eben diesem Gemälde Rothkos in einer Münchener Kunstgalerie. Man mag es nicht glauben. Doch Rothko war nicht der einzige großartige Künstler, dessen Geist sich selbst überforderte, den sein absoluter Anspruch an die Kunst in den Wahnsinn trieb oder war es umgekehrt? Forscher wissen es nicht, wir brauchen es nicht zu wissen, solange uns seinen Bilder in den Bann schlagen können.
Dass Dominique Horwitz zu den größten Schauspielern unserer Zeit gehört, sollte man auch in Delmenhorst und anderen Städten zur Kenntnis nehmen. Natürlich ist der Textaufbau des amerikanischen Autors John Logan, der mit diesem anspruchvollen Stück unzählige Auszeichnungen verbuchen konnte, alles andere als sofort eingängig. Es darf aber nicht in seiner blitzgescheiten Komplixität darüber hinwegtäuschen, dass wir es hier mit einem Beinahe-Irren zu tun haben, der sein ungeheures Maß an Wissen und Bildung auf seinen Schüler schüttet, ja ihn geistig und körperlich beinahe zu erschlagen droht. Wir müssen das alles nicht wissen – weder Nietzsche lesen noch Vita und Wert all der anderen bedeutenden und weniger bedeutenden Maler kennen, sondern allein und intensiv diesen Mann zu erfassen versuchen, der da zwischen seinen Wahn-Welten herumirrt, tobend, verzweifend Wahres erkennend, dabei gleichzeitig bedeutende Werke erschafft. Sein Schüler ahnt und fühlt dies alles mehr als er es weiß, sonst hätte er schnellstens das Weite gesucht. So aber bleibt er gebannt in dieser explosiv geladenen Höhle der Farben und glühenden Leidenschaft, bald selbst erfaßt und mitgerissen von des Malers ungebändigt brennender Farbenglut.
Doch dann, eines Tages, hat Ken diesen Mann durchschaut,vor dem er solange sich ducken mußte und schleudert ihm seine Mißachtung so unverblümt entgegen, das man den Atem anhält und um sein Leben fürchtet. Wird Rothko ihn erschlagen? Lehmanns Ken zeigt Zivilcourage und erreicht, was Zivilcourage noch immer erwirkt: die Ohnmacht des anderen, der wie in einen Spiegel sehen muß, gezwungen, die Schizophrenie seines Handelns zu erkennen: Er hat seine Bilder an den Gott des Mammons verkauft – für Geld, das er nicht einmal benötigt, damit ein Restaurantbesitzer die kahlen Wände dekorieren kann. Niemals wird einer der vermögenden und versnobten Gästen diese Kunst erkennen und achten.
Wie Horwitz und Lehmann ihr Zusammenspiel erwirken, wie der ruhige junge Mann mit der Sicherheit der kommenden Künstlergeneration dem Mann entgegentritt, der bereits ein Geist, Geschichte seiner selbst und seiner Größe ist, läßt diesen Abend zu einem Kunst-Ereignis intelligenter und überaus lehrreicher Art werden. Denn ganz nebenbei erfahren wir viel über Sein und Schein, über Scharlatanierie und wahres Können, über die Flüchtigkeit von Ruhm und Zeit. A.C.