Woyzeck, OL
nach Georg Büchner
Staatstheater Oldenburg 2013
Songs und Liedtexte: Tom Waits und Kathleen Brennan; Konzept: Robert Wileson; Textfassung: Ann-Christin Rommen und Wolfgang Wiens; Inszenierung: K.D. Schmidt; Musikalische Leitung: Christoph Iacona; Bühne: Thomas Drescher, Kostüme: Sabine Böing, Licht: Herbert Janßen, Dramaturgie: Jörg Vorhaben; Band: Christoph Iacono (Keyboard), Jochen Bens/Henrik Kolenda (Guitars), Dagmar Ludwig (Reeds), Eckhard Meyer (Brass), Martin Kruzig Percussion).
Darsteller: Klaas Schramm, Sarah Bauerett, Thomas Lichtenstein, Gilbert Mieroph, Henner Momann, René Schack, Eva Maria Pichler, Juliana Djulgerova
Misery is the river of the world
Eine Vorstellung für Schüler, nicht explizit, aber sie waren da, füllten die Zuschauerreihen und waren sichtlich angetan, ergriffen, begeistert. Eine Menge Emotionen nämlich kann diese ungewöhnliche Inszenierung wecken, und damit ist auch das Schauspiel im Großen Haus im 21. Jahrhundert angekommen. Mit den poppig-sentimentalen, aber auch ebenso angriffsstarken wie sozialkritisch-poetischen Songs von Waits und Brennan ist Georg Büchners Bearbeitung des Schicksals des arbeitslosen Frisörs Johann Christian Woyzeck, der 1821 in einer Wahnvorstellung seine Geliebte ersticht, eine weitere Dimension erhalten; Es geht in dieser, aus vielen musikalischen Genres zusammengesetzten, Fassung des Dramas nicht mehr allein um den einfachen Gefreiten Woyzeck, der, getrieben von Wahnsinn, Armut, Verzweiflung und Eifersucht sich selbst, seine Geliebte und ihr gemeinsames Kind ins Elend stürzt; es geht um eine gnadenlose, egoistisch-höhnische Außenseiter-Gesellschaft, die ums Überleben kämpft und dabei den Anderen erbarmungslos ins Abseits drängt, denn so sagt Woyzeck: „Jeder Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt einem, wenn man hinabsieht.“
Thomas Drecher hat symbolträchtrig einen Wohnkäfig mit mehren Etagen auf der sich drehenden Bühne errichtet, mit Gittern versehen, teils aber auch geöffnet, damit vor allem der arme Woyzeck zwischen den Ebenen heurmklettern, turnen, flüchten kann, rastlos, ruhelos, getrieben von bösen Geistern: Hunger, Elend, Angst. Die Band setzt die musikalischen Akzente in faszinierend farbiger Pointierung, oft nahe an und nach Kurt Weill, während die bitterböse Satire eines Bert Brecht in gebrochener Fassung vor uns abrollt; Tom Waits (Jahrgang 1949), dessen eigenes Schicksal uns in der rauhen Emotionalität der zwischen Folk- Blues, Jazz- Rock und Rap variierenden Kompositionen begegnet, hat zwischen Punk und Drogen gelernt, wie elend sich ein Mensch fühlt und bewegt, der sich selbst verloren hat. Robert Wilson, der eigentlich die bühnenwirksame Satire mit skurrilen Masken und Frisuren als Markenzeichen für sich in Anspruch nimmt, verzichtet hier auf die stereotype geisterhafte Darstellung der Menschen, sondern läßt sie als leidende und bemitleidenswerte Charaktere agieren. Dass die Schauspieler hier keine Musical-Sänger sind, gibt dem Ganzen Authentizität: denn solch arme Schlucker, die von der Hand in den Mund, von Almosen und auf der Straße leben, können sich selbst nur mit gebrochener, heiserer, angedeutender Melancholie vorführen.
Klaas Schramm spielt einen bemitleidenswerten Woyzeck, der bereits am Anfang wahnhaft phantasiert und doch das Licht hinter dem dunklen Horizont seines kleinen Lebens leuchten sieht, was für seinen robusten Freund Andres unmöglich ist; Dieser Woyzeck auch ist es, der sich mit seinem kleinen armseligen Wortschatz gegen die schmerzhafte Stupidität des satten Hauptmanns (Thomas Lichtenstein als gelungene Karikatur a la Gulbranson) kläglich zur Wehr zu setzen versucht, der um Worte ringt, um dem fanatischen Doktor (Gilbert Mieroph als komödiantischer Scharlatan), der ihn als “wissenschaftliches” Versuchskaninchen schikaniert, seine Not erklären möchte; aber niemand versteht ihn oder will ihn nicht verstehen, denn wer arm ist, ist nichts wert. Büchner hat Brecht vorweggenommen. Woyzeck turnt am Abgrund, ist ausgelaugt, körperlich und seelisch zerstört, und Marie, seine schöne Geliebte, hat Angst vor ihm, hungert nach Liebe und Leben; welch Wunder, dass sie dem eitlen Tambormajor verfällt; Sarah Bauerett gibt ihrer Marie eine starke Präsenz mit dem nötigen Quentchen Koketterie und sehr viel Gefühl, ringt glaubhaft sichtbar in ihrer inneren Not um ihre Ehre und Moral, da sich ihr Woyzeck bereits so furchterregend verhält. Das Kind in ihren Armen ist so klein, und der smarte Verführer lauert vor der Tür.
Vielleicht sind es ein bißchen reichlich songs, die das dramatische Fragment mit durchaus stringenter Handlung immer wieder auf eine Ebene jenseits dieser expliziten Geschichte übertragen – mit ewigem Weltschmerz, beklagenswerter Isolation all jener, die den Codex der tonangebenden Gesellschaft ihrer jeweiligen Zeit nicht einzuhalten, den Reigen nicht mitzutanzen vermögen; auch das Kind, das zurückbleibt, ist durch das Schicksal seiner Eltern stigmatisiert, ein outcast – es bleibt allein unter einer roten Sonne und einem grünen Mond. A.C.