Caravaggio

von Mauro Bigonzetti
Musik von Bruno Moretti nach Claudio Monteverdi

Staatsballet Berlin, 2008/9

Choreographie: Mauro Bigonzetti; Bühne und Licht: Carlo Ceri; Kostüme: Kristopher Millar & Lois Swandale; Musikalische Leitung: Paul Connelly; Staatskapelle Berlin

Es tanzen: Vladimir Malakhov; Polina Semionova; Beatrice Knop; Mikhail Kaniskin/Dmitry Semionov; Elisa Carrillo Cabrera; Shoko Nakamura-Michael Banzhaf; Leonard Jakovina; das Corps de Ballett 

 Die Tänzer und Prima Ballerinen brillieren mit artistischen Spitzenleistungen, und Vladimir Malakhov kann seine sich wie Feen schwerelos auf- und niederschwebenden, verwebenden und alle Körperteile verrenkenden Gespielinnen auf der Bühne einem faszinierten Publikum in Höchstform präsentieren. Im Hell-Dunkel-Kontrast, auf einer schwarz-golden nach flämischer Genremalerei ausgeleuchteten schwarzen Bühne verbinden sich die Tänzerinnen und Tänzer des Corps de Ballet zu ausgefallenen, bizarren Formen und Figuren, zeigen alle Möglichkeiten scheinbar knochenloser Bewegungsabläufe und Darstellungen, formen Soli, Pas de Deux, de Trois, de Quatre, zu immer mehr anwachsenden Verbindungen, in denen sich die Körper an Körper fest mit -und ineinander verschlingen. Es entstehen ausdrucksstarke Formationen des Sich-Findens und Auseinanderbrechens – aber mit dem Leben und der Seele des großen italienischen Barockmalers Michelangelo Merisi, genannt Caravaggio, aus dem norditalienischen Bergamo hat das nicht viel zu tun. Seine aufbrechende, revolutionäre, vitale Kunst, mit der er nicht nur seine Zeitgenossen, sondern leider auch seine Auftraggeber brüskierte, erlebt hier keine Renaissance.

Zwar deutet sich zuweilen, wenn zwei Tänzer sich mehr plakativ als genüsslich dem Rausch Weines (hier nur überdimensionaler Trauben) hingeben, und die Gespielinnen in locker-süßen Kleidchen das Leben früher Unbeschwertheit im Rückblick vorübergleiten lassen, die Lebenslust der späten Renaissancemenschen an. Doch so richtig will keine Vitalität aufkommen. Nur ansatzweise in Detailbildern, wenn sich aus dem großen goldenen Rahmen, der spiegelartig vor einem schwarzem Hintergrund eine neue Raumdimension freigibt, aus der die sich nun auflösenden Bilder herunter auf die vordere Bühne gleiten, Malakhov, sich nach einem kraftvolleren alter Ego sehend, mit diesem verschmilzt (Leonard Jakovina). Leidend wie ein Märtyrer, in weißes, gleißendes Licht getaucht, aber geht der Maler an seinem Lebensende mit seinen Bildern eine blutsbruderartige Symbiose ein, erlöst und geleitet von einem Engel. Aber das sind leider nur sehr kurze, letzte Einblendungen, und zudem von den rechten Zuschauerplätzen nicht zu sehen!!

Die Bühne bleibt insgesamt leer und dunkel, nur die Tänzer sind in diese wunderbaren Lichtkontraste gehüllt – aber das allein reicht nicht. Die Musik ist mal zärtlich, leicht, elegisch, dann wieder türmt sie Wellen der Leidenschaft auf; sehnsüchtiges Verlangen wechselt mit Momenten der Hilflosigkeit und des Verzagens, die zeitweilig an die Oberfläche einer wohl verrissenen Persönlichkeit drängen. Die Darstellung aber bleibt hier bis auf wenige Ausnahmen – wenn Elisa Carrillo Cabrera die verführerisch-geheimnisvolle Wahrsagerin tanzt -fern aller erlebten und nacherlebbaren Sinnlichkeit; denn die Akkuratesse und Perfektion, mit der die Choreographie den Aufbau der Szenen vorgibt, kann weder ein Fluidum von Erotik noch von Homoerotik vermitteln. Zuweilen zeigt sie zwar kraftvolle und dynamische Momente, in denen die unkontrollierten Gefühle des Künstlers transparent werden, aber letztendlich kann Malakhov sich wohl doch nicht so recht mit den inneren Kämpfen und Qualen des Malers identifizieren; zwar wird er seiner eigenen Virtuosität gerecht, aber durch die oberflächliche, eher dem tänzerischen Effekt als der Psychologie verpflichtete Choreographie von Bigonzetti und seinem römischen Team (Licht, Bühne, Kostüme) hat er keine Chance, darüber hinaus ein anderes, lebensfrohes künstlerisches Vermächtnis präsent werden zu lassen.

Die Ballerinen dürfen mal als fröhliche römische Partymädchen übermütig das Terrain erobern oder wie Paulina Semionova als seine Muse den armen Caravaggio liebkosend von seinen schrecklichen Visionen erlösen, mit denen ihn dann wieder eine andere – Beatrice Knop – als biblische Rächerin traktiert. Der großartige Michael Banzhaf und die zauberhaft grazile Shoko Nakamura zeigen ein derart zärtliches Intermezzo, dass es Malakhov, respektive, Caravaggio, nicht schwer fällt, sich in diese amouröse Ménage à Trois einbeziehen zu lassen. Szeneneinfälle, Capriziosi, Flüchtigkeiten. Im richtigen Leben waren es wohl die Dirne Lena und ihr Geliebter Ranuccio, mit denen der Künstler sich einließ!

Nach der beeindruckenden Choreographie des “Tschaikowsky” hat man mehr erwartet – zumal das Leben, Wüten, Leiden, Lieben und Sterben des skandalumwitterten Italieners ein großartiges Kaleidoskop von Bildern und Elementen wiedergibt, die ausschweifend hätten getanzt und gestanzt werden können. Möglichkeiten einer phantasievollen, phantastischen Choreographie, in der Bilder entstehen, die aus dem Umfeld eines aufregenden, prallen Lebens erwachsen, wie sie ihr Meister einst schuf! Allen Konventionen der Renaissancemalerei trotzend, suchte er sich seine Modelle -blühende Frauen und Jünglinge, verhärmte Arme und Alte – aus dem Milieu der Außenseiter der Gesellschaft; Er malte, was ihm seine innere Unruhe, seine Leidenschaft diktierte, wie ein Besessener, wie ein Genie, ohne Rücksicht auf Kritiker, Freunde, Auftraggeber. Das alles, wie auch sein unsteter Lebenswandel, seine Heftigkeit, die ihn mit dem Gesetz in Konflikt brachte, seine Maßlosigkeit, die sich in der verschwenderischen Körperlichkeit seiner wundersam lichtvoll gleißenden oder dann wieder dunkel-mystischen Bilderwelt widerspiegelt, hat sicherlich zu seinem frühen Tode beigetragen. Der Sohn aus reichem Hause, der berühmteste Maler seiner Zeit starb mit 39 Jahren, krank und völlig verarmt.  Sein Vermächtnis sind Bilder, an denen man stets von neuem berauscht. Was man von dieser Inszenierung nicht sagen kann. A.C.

 

 

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